[951] Reichshofrath, der Geheime Rath des Deutschen Kaisers in Rechts-, Gnaden- u. politischen Gegenständen, welche Deutschland u. das solchem zum Theil noch angehörige Italien betrafen. Der R. trug hiernach einen zweifachen Charakter; er war kaiserliches Regierungscollegium od. Staatsrath u. höchstes Reichsgericht. In letzter Eigenschaft hatte der R. mit dem Reichskammergericht vollkommen concurrirende Gerichtsbarkeit, so daß theils durch die Wahl des Klägers, theils durch Prävention bestimmt wurde, an welchem dieser beiden höchsten Gerichte eine Sache zu verhandeln war. Doch hatte der R. daneben noch viele Sachen zu erledigen, in denen das Reichskammergericht nicht competent war. Diese ausschließliche Competenz des R-s erstreckte sich namentlich auf alle Rechtssachen der zu ihm gehörigen Mitglieder, auf die zum Deutschen Reiche gehörigen italienischen Länder, auf die Streitigkeiten über Gültigkeit, Auslegung u. Verlust kaiserlicher Privilegien, Erwerb des Adels u. Rangstreitigkeiten der Reichsstände unter sich. In Betreff der willkürlichen Gerichtsbarkeit gehörte zu seiner Competenz Alles, was den Charakter einer Gnade an sich trug, daher namentlich die Ausübung der sogenannten kaiserlichen Reservatrechte (s.d.) u. die Verleihung der Reichslehen als oberster Reichslehnhof. Im Ganzen pflegte man in letzter Zeit lieber sich an den R. zu wenden, als an das Reichskammergericht, da der erstere die Sachen prompter erledigte u. die Vollziehung der Beschlüsse eine exactere war. Die innere Einrichtung des R-s erklärt sich zum Theil aus seiner Entstehung. Sie hing mit der uralten Gerichtsverfassung des Deutschen Reiches zusammen, wonach jeder Deutsche Kaiser das für seine Erblande bestehende Hofgericht als Reichsgericht benutzen, auch ein Hofgericht zur Ausübung der kaiserlichen Gerichtsbarkeit bes. anordnen u. zusammensetzen konnte. Diese Einrichtung behielt Maximilian I. bei Errichtung des Reichskammergerichts bei u. ließ daher durch das von ihm im Jahre 1501 zunächst für seine Erblande errichtete Hofrathscollegium auch Reichssachen behandeln. Im Jahre 1518 wurde das Collegium als R. ausdrücklich auch als Behörde für Reichssachen constituirt u. erhielt darauf eine entsprechende Einrichtung, nach welcher von den 18 Mitgliedern 5 aus dem Reiche, die übrigen aus den Erblanden genommen werden sollten. Karl V. bestätigte dies Collegium 1520 mit einigen Änderungen; Ferdinand I. schied 1559 den R. für Reichssachen von dem Hofrath für Österreich u. gab auch die erste Reichshofrathsordnung. Maximilian II. ließ einige protestantische Räthe zum R. zu, Ferdinand II. u. Ferdinand III. schlossen sie aber wieder aus. Im Westfälischen Frieden wurde die Zahl der protestantischen Mitglieder auf 6 festgesetzt u. 1694 dem Kurfürsten von Brandenburg darunter ein reformirter zugestanden. 1654 gab Ferdinand III. die letzte Reichshofrathsordnung, welche von Karl VI. 1714 noch vervollständigt wurde. Auch Joseph II. machte mehre wesentliche Zusätze. Nach diesen gesetzlichen Bestimmungen hatte der R. Sitz in der jedesmaligen Residenz des Kaisers, also die letzte Zeit in Wien. Dem R. präsidirte ein Reichshofrathspräsident, welchen ein Reichshofrathsvicekanzler u. zuweilen ein Reichshofrathsvicepräsident ersetzte. Die Beisitzer waren 18 Reichshofräthe, die, wenn sie Reichsgrafen od. Reichsfreiherren waren, auf der Grafen- u. Herrenbank, sonst aber auf der Ritter- u. Gelehrtenbank saßen. Mehre von Kurmainz angestellte Secretarien u. Kanzleibeamte, ein Reichsfiscal, 2 Reichshofrathsreferendare, einer für deutsche, der andere für lateinische Ausfertigungen, 30 Reichshofrathsagenten u. Procuratoren (Geschäftsführer, Advocaten) waren noch bei diesem Gericht angestellt. Von den Reichshofräthen waren 12 katholisch, 6 (darunter ein reformirter) protestantisch. Appellation fand von dem R. nicht Statt, wohl aber Recurs an den Reichstag, in Fällen, welche alle Reichsstände interessirten. Die Deutschen erhielten in ihrer, die Italiener in Lateinischer Sprache Bescheid. In wichtigen Sachen wurde das Gutachten über die Sache an den Kaiser gestellt, dieser ließ sich hierüber in Gegenwart mehrer Glieder des R-s referiren u. entschied. Die Reichshofrathsschlüsse (Conclusa) wurden vom Reichshofrathsvicekanzler u. einem Secretär, die Mandate aber vom Kaiser unterzeichnet. Nach jedes Kaisers Tode erlosch der R., wenn kein Römischer König da war, u. die Acten blieben bis zur neuen Kaiserwahl versiegelt. Mit der Auflösung des Deutschen Reiches endete auch der R. Vgl. Herchenhahn, Geschichte u. Entstehung, Bildung u. gegenwärtige Verfassung des R-s, Manh. 179193; v. Riefl, Der R. in Justiz-, Gnaden- u.a. Sachen, Augsb. 179193, 4 Thle.; B. F. Mohl, Historisch-politische Vergleichung der beiden höchsten Reichsgerichte, Ulm 1789.