Küchlein (Gallina).
1. Besser heut' ein Küchlein als morgen ein Huhn. – Reinsberg IV, 15.
Die Hebräer: Ein kleiner Kürbis gleich ist besser als ein grosser später. (Reinsberg IV, 15.) Ein Kibitzei in der Hand gilt vor dem Kibitz im Röhricht. (Altmann V, 102.)
2. Das Küchlein lehrt die Glucke scharren.
Die Russen: Die Küchlein wollen den Hahn picken lehren. (Altmann VI, 498.)
Frz.: Les poucins menent les gelines. (Leroux, I, 127.)
Ung.: Csirke oktattya a' tyukot.
3. Das Küchlein mustert die Henne.
4. Die Küchlein im Korbe wollen heraus, die aussen sind, wollen hinein.
Mit Bezug auf Ehestand und Amt.
Dän.: De kyllinger som ere i kurven ville gierne ud, og de som ere uden for, ville iud. (Prov. dan., 368.)
5. Die Küchlein laufen der Glucke nach.
[1660] 6. Ein Küchlein, das nicht kommt, wenn die Mutter ruft, hat der Geier bald geholt.
Holl.: Het kuiken, dat niet komen wil, als de klokken klokt, mag wel door den havik verslonden worden. (Harrebomée, I, 456a.)
7. Es kommt wol auch ein schwarz Küchlein aus einem weissen Ei.
Dän.: Ofte kommer en sort unga af at hvidt æg. (Prov. dan., 349.)
8. Es will manch Küchlein auffliegen und kann kein Stämmchen finden.
9. Junge Küchlein, weiche Schnäblein.
Kinder können nicht viel ausstehen.
10. Junge Küken hewt wêke Billen (Schnäbel). (Büren.)
11. Kleine Küicken haben weiche Schnibben. – Petri, II, 423.
12. Kücken könnt kîne Eier leggen, en old Hohn het dar genog mit to dohn. (Oldenburg.)
13. Küken un Kinner könnt eaten ümmer. (Büren.)
14. Lêver en halv Küken im Pütt as en gans im Dopp. – Schütze, II, 93.
Das Gewisse ist dem Ungewissen vorzuziehen.
15. Man muss die Küchlein nicht verkaufen, ehe die Henne sie ausgebrütet hat.
16. Man soll die Küchlein nicht zählen, bevor sie ausgekrochen sind. – Reinsberg IV, 24.
17. Spintrige Kuiken hett liuter sualle Füötte (oder: Aese). (Hamm.)
Verwöhnte und schwächliche Menschen klagen über allerlei Gebrechen.
18. Wêke Küken hebben wêke Nibben. – Schiller, III, 14b.
19. Wer sich zum Küchlein macht, der wird dem Habicht zur Beute.
Holl.: Die zich als een kieken aanstelt, zal vroeg of laat van den havik weggerukt en verslonden worden. (Harrebomée, I, 455b.)
20. Willst keine bösen Küchlein han, so schlag' die Eier in die Pfann'.
Holl.: Sla de eijers in de pan, dan komen er geen kwâ kuikens van. (Harrebomée, I, 178.)
*21. Wo die Küchlein sind, dahin richtet die Glucke ihre Augen.
Frz.: Là où sont les poussins la poule a les yeux. (Bohn I, 30.)
*22. Das Küchlein über dem Tisch holen, da man die Schuhe unter das Bett stellt.
Sich als Gäste einschleichen und die Hausfrau verführen. »Das Küchlein holen«, eine frühere Volkssitte.
*23. Dat is'n mall Küken. – Kern, 742.
Ein Bruder Lustig, wenn nicht gar Liederlich.
*24. Dat Küken will woll klöger wäsen as 't Hohn. (Strelitz.) – Firmenich, III, 73, 99.
*25. Dat was ên dull Küken. – Dähnert, 259b.
Es war ein muthwilliger Junge.
*26. Er glaubt, es sey nur Küchlein essen. – Ayrer, II, 955, 21.
Ob hier junge Hühner oder kleine Kuchen gemeint sind, das weiss ich nicht.
*27. Er zählt die Küchlein, ehe die Eier gelegt sind.
Holl.: Hij telt zijne kiekens, eer de eijers gelegd zijn. (Harrebomée, I, 456a; Bohn I, 327.)
*28. Es soll ein Küchlein sein, es ist aber noch ein ungelegt Ei.
Holl.: Hij gelooft reeds een kieken te wezen, daar hij nog een ongelegd ei is. (Harrebomée, I, 456a.)
*29. Es wird nicht Küchleins essen sein. – Ayrer, II, 1346, 4.
*30. He is 't lêv Küken. – Kern, 741.
Vom jüngsten Kinde, welches insbesondere von der Mutter mit grosser Sorgfalt gepflegt wird.
*31. Hei kann kein Kuiken öewer den Süll böiren1. (Werl.) – Firmenich, I, 350, 2.
1) Schwelle heben. – Von jemand, der sehr schwach und kraftlos ist.
*32. Ich kenne meine Küchlein. – Reinsberg IV, 143.
*33. Kriegen wir Küchlein, wann wir Hühnerköpfe pflanzen? – Reinsberg IV, 149.
Charakterisirung oder Abweisung einer dummen Frage.
*34. Trett de Küche (Küchlein) ni dût. (Köln.) – Firmenich, I, 477, 279.
Sagt man zu jemand, der sehr spät aufsteht. In Pommern: Trett mi de Kücken nig dôd. (Dähnert, 259b.)
35. Das Küchlein zeigt sich im Ei, das Kind in der Wiege. – Ausland, 1871, 403.
36. Es sind nicht alles Küchlein, die gern Grütze fressen.
Bei Tunnicius (1011): It sint nicht al küken, de gêrne gorte eten. (Non omnes vaccae lactantes gramine campi.)
37. He will dat best Küken in 'n Korf blîb'n. – Schwerin, 32.
Er will es mit niemand, besonders nicht mit einflussreichen Personen, verderben, will stets lieb Kind bleiben.
38. Vete Küken hebben vete Ribben. – Dähnert, 318b.
In Bezug auf zärtliche Leute, denen ein leichtes Anrühren schon empfindlich ist.
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