Katharina II.

Katharina II.

[582] Katharīna II., 1762–96 Kaiserin von Rußland, hieß eigentlich Sophia Augusta und war, geb. 1729, eine Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst.

Der preuß. König Friedrich II. empfahl sie der russ. Kaiserin Elisabeth zur Gemahlin ihres zum Thronfolger ernannten Neffen Peter. Die Prinzessin trat zur griech. Kirche über, erhielt die Namen Katharina Alexiewna, und ward 1745 mit dem russ. Thronfolger vermählt. K. war geistreich und gebildet, ihr Gemahl dagegen beschränkt und roh, so daß ihre Ehe nur unglücklich sein konnte. Von ihrem Gemahl gemishandelt und vernachlässigt, ließ sich K. verleiten, andern gebildeteren Männern an dem russ. Hofe ihre Neigung [582] zuzuwenden. Namentlich war es der nachmalige König von Polen, Poniatowski, welchem sie ihr ganzes Vertrauen schenkte, und zwar nicht ohne daß die Kaiserin Elisabeth von diesem Verhältniß gewußt hätte. Derselbe war damals als polnischer Gesandter in Petersburg; aus politischen Rücksichten wußte jedoch der franz. Hof die Zurückberufung Poniatowski's zu bewirken, und nun wandte K. ihre Neigung einem jungen Gardeoffizier, dem Grafen Orloff, zu. Elisabeth war 1761 gestorben und Peter III. ihr gefolgt. Durch unkluge Maßregeln machte sich dieser bald beim Volke wie bei den Großen verhaßt, und behandelte seine Gemahlin mit immer größerer Zurücksetzung. Dieselbe mußte Verstoßung voraussehen, ja konnte sogar für ihr Leben fürchten. Unter diesen Umständen fanden sich K.'s Freunde aufgefodert, sich zur Entthronung Peter III. zu verschwören, um K. zu dessen Nachfolgerin zu erheben. Eine große Partei war jedoch dafür, daß ihr Sohn Paul zum Kaiser und sie selbst nur zur Regentin während dessen Unmündigkeit ernannt werden sollte. Schon war man im Begriff, die Verschwörung zu entdecken, da eilte die Kaiserin nach Peterhof, redete die Garde mit kräftigen Worten an und wurde von ihr als Monarchin anerkannt. Der Graf Orloff bewog den nachmaligen Senator Teplow in der kasanschen Kirche statt eines von der Mehrzahl der Verschworenen durchgesetzten Manifestes zu Gunsten des Großfürsten Paul ein anderes vorzulesen, welches K. auf den Thron erhob. Peter III. verlor bei diesen Vorgängen die Fassung, übergab den Verschworenen seine Abdankung, wurde von denselben gefangen gesetzt und einige Tage darauf ohne Wissen der Kaiserin ermordet. K. benahm sich äußerst klug; sie ließ fast alle Stellen besetzt wie sie waren, schaffte mehre dem Volke lästige Einrichtungen ab und gewann den großen Haufen, indem sie dem russ. Nationalgefühl schmeichelte und eine große Begeisterung für die griech. Kirche an den Tag legte. Mit Eifer und Anstrengung ergriff und verfolgte sie während ihrer ganzen Regierung den großen Plan, im Geiste ihres erhabenen Vorgängers Peter's des Großen, Rußland allmälig zur europäischen Civilisation fortzuführen. Wenn ihr hierbei auch Peter's allseitige Kenntnisse und dessen Vertrautheit mit allen einzelnen Bedürfnissen der verschiedenen Gegenden des ausgedehnten Reiches abgingen, so hat sie sich doch um Rußland unsterbliche Verdienste erworben. Namentlich war sie bedacht, die ausgebreiteten wüsten Steppen, an denen besonders das südl. Rußland reich war, mit betriebsamen Einwohnern zu bevölkern, und bewog daher eine große Anzahl von Ausländern zur Übersiedelung aus andern europ. Staaten nach Rußland. Sie gründete über 200 neue Städte, viele Kranken- und Findelhäuser, schickte Ärzte nach allen derer noch bedürftigen Gegenden, führte die Pockenimpfung ein, suchte Ackerbau und Gewerbe zu heben und die letztern zu vervielfältigen. Straßen und Kanäle wurden angelegt, um den Handel zu heben, und noch andere wichtige Maßregeln zur Belebung desselben getroffen. Auch die Künste und Wissenschaften suchte sie nach Kräften in Rußland zu fördern, konnte es jedoch nur zu wenigen erfreulichen Resultaten in dieser Hinsicht bringen, weil das russ. Volk im Allgemeinen noch allzu roh war, um ihr bei diesen Bemühungen entgegenzukommen. Selbst auswärtige große Gelehrte hatten sich der Gunst und Aufmunterung der Kaiserin zu erfreuen, und verbreiteten daher ihren Ruhm in dem gebildeten Europa. Für die Ordnung der Rechtspflege in ihrem Staate war K. eifrig bemüht; doch scheiterte das Unternehmen, ein allgemeines Gesetzbuch für das ganze russ. Reich zu Stande zu bringen, zu welchem sie die großartigsten Anstalten getroffen hatte, an der allzugroßen Verschiedenheit in der Gesittung und in den örtlichen Verhältnissen der so weit auseinander liegenden Provinzen. Die vielen Neuerungen, welche die Kaiserin einführte, veranlaßten indeß auch in manchen Gegenden Unruhen. Die Unzufriedenen richteten ihre Hoffnungen auf Iwan, welcher der Urenkel des Zaren Iwan, eines Halbbruders Peter's des Großen, und nach dem Testament der Kaiserin Anna als zartes Kind ein Jahr lang Kaiser gewesen war. Elisabeth hatte ihn entfernt und gefangen gesetzt mit dem Befehle, daß ihn die wachthabenden Offiziere tödten sollten, wenn ein Versuch zu seiner Befreiung gemacht würde. Dieser Befehl war von K. nicht ausdrücklich zurückgenommen worden; als daher 1763 ein Versuch zur Befreiung des unglücklichen Iwan im Werke war, so wurde derselbe von seinen Wächtern umgebracht. Hierdurch verloren die Unzufriedenen eine Zeit lang den Vorwand zur Empörung. Auch nach außen machte K. den Einfluß Rußlands vielseitig geltend. Sie nöthigte 1763 die Kurländer, ihren unter Einfluß des poln. Königs August III. eingesetzten Herzog zu entsetzen und den vertriebenen, beim Adel verhaßten Biron zurückzurufen. Ebenso setzte sie es durch, daß nach dem Tode August III. ihr Günstling, Stanislaus Poniatowski, 1764 zum poln. Könige erwählt wurde. Von da an mischten sich fortwährend russ. Heere in die poln. Angelegenheiten. Im J. 1768 erklärte die Pforte den Krieg an Rußland, welchen K. mit Nachdruck und Glück führte. Sie ging sogar mit dem Plane um, die Republiken Athen und Sparta wieder zu errichten, und so den Türken im eignen Lande einen Feind zu schaffen, dem vereinigt mit der russ. Macht die Pforte erliegen mußte. Unter den beiden Orloff landete ein russ. Heer, das Europa umschifft hatte, auf der Halbinsel Morea. Die Russen fanden bei der griech. Bevölkerung begeisterte Aufnahme, eroberten auch einige Festungen, mußten aber doch Morea schon nach drei Monaten wieder verlassen. Bald darauf siegten die Russen bei Skio zur See und vernichteten die ganze türk. Flotte. In der Türkei und in Rußland wüthete indeß die Pest, an welcher sogar in Moskau 90.000 Menschen starben. Dennoch wurde die Krim 1771 erobert und für unabhängig erklärt. Noch andere bisher von der Pforte abhängige Völkerschaften fielen von derselben ab und unterstützten die Russen, sodaß 1773 die türkische Herrschaft in Europa ihrem Ende nahe zu sein schien. Östreich und Preußen verwendeten aber ihren ganzen Einfluß zu Gunsten der Pforte, und noch mehr kam derselben ein Aufstand zu statten, den in Rußland ein gemeiner Kosak, Pugatscheff, erregte, indem er sich für den Kaiser Peter III. ausgab. Derselbe hatte bald ein mächtiges Heer um sich gesammelt, und wußte sich allen Verfolgungen durch die berühmtesten Generale, obschon wiederholt geschlagen, zu entziehen. Erst gegen das Ende des Jahres 1774 wurde Pugatscheff von seinen Anhängern ausgeliefert und darauf hingerichtet. Indeß schloß K.'s Feldherr, Romanzow, das türk. Heer bei Schumla ein und erzwang dadurch 1774 einen Frieden, durch welchen Rußland freie Schiffahrt auf dem schwarzen Meer und durch die Meerenge der Dardanellen [583] sowie einen bedeutenden Länderzuwachs erhielt. Schon 1771 hatte Östreich, veraltete Ansprüche erneuernd, Theile des Königreichs Polen in Besitz genommen, ohne in diesem Unternehmen von K. gehindert zu werden. Vielmehr theilte K. dem eben an ihrem Hofe verweilenden Prinzen Heinrich (s.d.) von Preußen den Plan mit, Polen im Verein mit Preußen und Östreich einen Theil seiner schönsten Provinzen zu entreißen. Der Prinz betrieb die Theilung, welche 1772 zu Stande kam, und in welche die poln. Regierung, von der Übermacht gezwungen, einwilligen mußte. K. gewann 2000 ! M. mit 1,800,000 Einw. Den drohenden bairischen Erbfolgekrieg vereitelte 1778 K. durch die Erklärung für Preußen. Nachher traten der Kaiser Joseph II. und K. einander näher, und die letztere unterstützte jenes Plan eines Austausches der östreichischen Niederlande gegen Baiern, der durch den von Friedrich dem Großen errichteten Fürstenbund (s.d.) vereitelt wurde. Neue Zwistigkeiten mit der Türkei wurden 1784 durch Frankreichs Vermittelung beigelegt und K. vereinigte die Krim unter dem Namen Taurien (s.d.) mit ihrem Reiche. Der letzte Khan der Krim hatte diese 1783 an Rußland abgetreten, und ebenso trat der Fürst Heraklius seine Besitzungen Karduel und Kachet, an K. ab. Die fortdauernden feindlichen Absichten K.'s gegen die Türken verriethen der Schutz, welchen sie Maurokordatos, dem geflüchteten Hospodar der Moldau, angedeihen ließ, starke Kriegsrüstungen zu Cherson und die Inschrift, welche K. an das nach der Türkei gerichtete Thor zu Cherson setzen ließ: »Hier geht der Weg nach Konstantinopel.« K. unternahm 1787 eine Reise durch mehre Theile ihres Reiches. Ihr Günstling und Minister Potemkin begleitete sie nach Taurien und wendete alle Mittel an, um ihre Reise zu einem festlichen Triumphzuge zu machen. Auf dem ganzen gegen 500 M. langen Wege wurden in geringen Entfernungen die Außenseiten von Städten und Dörfern hergestellt, und Bewohner in dieselben vorausgeschickt, welche mit Jubel und sinnreichen Ehrenbezeugungen die Herrscherin empfangen mußten. Während der Nacht wurden diese Menschen dann wieder vorausgeschickt, um am nächsten Tage ein neues Schauspiel aufzuführen. Mit unerhörtem Luxus waren die Wagen und Schlitten ausgeziert, in welchen diese Reise zurückgelegt wurde. Der König von Polen und der Kaiser von Östreich begrüßten K. auf dieser Reise, und der letztere versprach, sie in ihren Plänen gegen die Türken zu unterstützen. Aber die Türken kamen ihr mit der Kriegserklärung zuvor. Rußland und bald auch Östreich stritten mit Glück gegen die Pforte, da verbanden sich Preußen, Schweden, England, Dänemark und Holland, um den ferneren Vergrößerungen des russ. Reichs Grenzen zu setzen. Gustav III. führte schon seit 1788 offenen Krieg gegen K. und machte Fortschritte. Zunächst wurde Östreich zum Frieden mit der Pforte 1791 bewogen, und nachdem 1790 K. mit Schweden Frieden geschlossen hatte, ging sie auch mit der Pforte einen Frieden ein, welcher ihr einen neuen Zuwachs von Ländereien brachte. Die Revolution in Frankreich zog K.'s Misfallen auf sich, doch hinderten sie die Verhältnisse in Polen, kräftig für die königliche Partei in Frankreich aufzutreten. Polen hatte sich nämlich während des türk. Krieges einen Schein von Selbständigkeit wiedergegeben und eine Verfassung war zu Stande gekommen, die einer aristokratisch gesinnten Partei nicht gefiel. Diese bat K. um Hülfe und 1792 schickte diese ein großes russ. Heer nach Polen, und nachdem selbst der poln. König auf die Seite jener Partei getreten war, so unternahmen Nußland und Preußen 1793 die zweite Theilung Polens und zwangen den poln. Reichstag zur Einwilligung. K. gewann 4500 ! M. mit 3 Mill. Menschen. Vergebens erhob sich im folgenden Jahre Polen mit ungemeiner Tapferkeit gegen seine Unterdrücker. Östreich trat auf Rußlands und Preußens Seite; die Polen wurden besiegt und 1795 die dritte Theilung Polens ausgesprochen, durch welche K. noch 2000 ! M. mit 1,200,000 Einw. gewann. Der poln. König Stanislaus erhielt eine Pension und lebte fortan in Petersburg. Auch der Herzog Peter Biron von Kurland wurde 1795 bewogen, sein Land an Rußland abzutreten, und erhielt dafür eine Pension zugesichert. Zuletzt führte K. noch mit den Persern Krieg und soll den Plan gehegt haben, nach Unterwerfung des pers. Reiches der Herrschaft der Engländer in Ostindien ein Ende zu machen. Ein Schlagfluß raubte ihr aber am 9. Nov. 1796 das Leben. – So unleugbar es ist, daß K. eine große Monarchin war, so muß doch auch anerkannt werden, daß sie von moralischer Seite durchaus nur tadelnswürdig erscheint. Sie war besonders in der Liebe ausschweifend, indem sie ihre Günstlinge und Liebhaber ganz nach ihren sich schnell ändernden Launen wechselte, und dabei nicht einmal eine den äußern Anstand berücksichtigende Zurückhaltung beobachtete. Ihre Günstlinge wurden mit Ehrenbezeugungen überhäuft, so lange die Gewogenheit der Kaiserin währte. Nur Potemkin erhielt sich bis an seinen Tod in der Gunst seiner Beherrscherin.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 582-584.
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