[871] Irland (engl. Ireland, bei den Iren Erin, lat. Hibernia), die westlichste der beiden großen brit. Inseln, ein mit Großbritannien vereinigtes Königreich [Karten: Großbritannien und Irland I u. II], von diesem durch die Irische See, den Nord- und St. Georgskanal geschieden, im N. und S. vom Atlant. Ozean umflossen, mit den Küsteninseln 83.792 qkm; außer an der hafenarmen Ostküste sehr buchtenreich, mit zahlreichen natürlichen Häfen; die Mitte vorherrschend eben, sonst nur einzelne Berggruppen, am höchsten an der Südwestküste (die Berge von Kerry, im Carrantuohill 1040 m). Flüsse: Shannon, Lee, Blackwater, Barrow, Boyne, Corrib etc.; zahlreiche Seen (Neagh und Erne im N., Corrib im W., Killarney im SW. etc.) und Kanäle; die zwei wichtigsten der Grand Canal und der Royal Canal. Der Boden sehr fruchtbar, deshalb der Name Grüne Insel, aber weite Strecken (11.430 qkm) mit Gras-, Sumpf- und Torfmooren bedeckt; viel Wiesen, weniger Wald. Wild selten, doch großer Fischreichtum; das Klima feucht, gemäßigt und mild. Produkte: Steinkohlen, Eisen, Blei, Kupfer, Marmor, [871] etwas Gold und Silber. Der größte Teil des Grundeigentums ist in den Händen weniger in England lebender Großgrundbesitzer, die zahlreiche Pächter, und diese wieder Unterpächter (oft ohne Kontrakt) haben; der sog. irische Bauer ist in der Regel bloßer Tagelöhner, der den Pachtzins für eine Lehmhütte mit einem Stückchen Land abarbeitet. In der Industrie nur die Prov. Ulster mit Belfast und Dublin mit Umgebung bedeutend; voran die Leinenindustrie. Wichtigste Häfen: Belfast und Dublin.
Die Bevölkerung, Iren, kelt. Abstammung, 1841 noch 8.196.597 Köpfe, seitdem bes. durch starke Auswanderung stetig abnehmend, 1905 nur noch 4.388.107 Köpfe (ca. 3,3 Mill. röm-kath.); 4 kath. Erzbischöfe; die 1869 entstaatlichte, von der anglikan. Kirche Englands getrennte Kirche von I. unter zwei Erzbischöfen. Etwa 15 Proz. sprechen noch irisch (meist neben dem Englischen). [S. auch Beilage: ⇒ Bevölkerung.] Zwei Universitäten (Dublin); Colleges zu Belfast, Cork und Galway.
Verwaltung. I. ist in 4 Provinzen (32 Grafschaften) eingeteilt: Ulster, Leinster, Connaught, Munster; Hauptstadt Dublin. Oberste Verwaltung: der Vizekönig und Generalgouverneur (Lord Lieutenant of Ireland in Dublin, Chef der vollziehenden Gewalt) und der Geheimsiegelbewahrer. Vertretung durch 28 Peers im Oberhaus, 103 Abgeordnete im Unterhaus. Wappen: goldene Harfe mit silbernen Saiten in blauem Felde [Abb. 728, bei Großbritannien und Irland].
Geschichte. Die ersten bekannten Bewohner von I. waren Kelten, welche das Land Erin, d.i. westl. Insel, nannten, selbst aber wegen ihrer Stammverwandtschaft Scoti genannt wurden; sie bildeten eine große Anzahl von Stämmen (Clans) unter erblichen Häuptlingen. Um 430 führte der Schotte Patrick das Christentum ein, im 6. Jahrh. gingen aus den irischen Klosterschulen die Apostel des Festlandes hervor. Im 9. Jahrh. setzten sich die Normannen im Osten I.s fest, wurden aber Anfang des 12. Jahrh. von den Iren unter Brian Boroihme aus dem Lande getrieben. 1152 wurde die irländ. Gesamtkirche dem päpstl. Stuhl unterstellt. I. zerfiel damals in fünf Königreiche (Leinster, Munster, Ulster, Connaught und Meath), in den untergeordneten Stammgebieten regierten abhängige Häuptlinge, über dem Ganzen stand als Lehnsherr ein Oberkönig; häufige Kriege verwilderten das Land. 1171 wurde I. von Heinrich II. von England erobert und der Grundbesitz des Landes größtenteils unter dem anglo-normann. Gefolge des Königs verteilt (Ursprung der großen Grundbesitzer in I.). In einem mit dem Oberkönig abgeschlossenen Vergleiche wurde den Engländern der östl. Teil I.s (sog. pale) eingeräumt; trotzdem drangen die Engländer weiter vor; die Folge waren Kriege gegen die Eingeborenen, Zwietracht und Verwilderung unter den fast unabhängigen engl. Baronen. Heinrich VII. von England unterwarf diese und gab 1494 dem Lande eine Verfassung (irisches Parlament) durch die Poynings-Akte; Heinrich VIII. ließ sich 1542 zum König von I. erklären. Die Einführung der Reformation unter Elisabeth erregte seit 1560 fortgesetzte Empörungen; bes. gefährlich der von O'Neill, Grafen von Tyrone, 1595 unternommene Aufstand, der 1601 mit der völligen Unterwerfung I.s endete. Jakob I. suchte die polit. und soziale Lage zu verbessern, doch Konfiskationen und kirchlicher Zwiespalt führten 1641 eine Verschwörung herbei, welche fast 50.000 prot. Engländern das leben kostete. Cromwell unterwarf 1649-50 die Insel mit Grausamkeit. Der aus England vertriebene Jakob II. landete 1689 mit einem franz. Korps in I. und fand bei den kath. Iren begeisterten Anhang, unterlag aber 1. Juli 1690 seinem Gegner, Wilhelm III., am Boynefluß. Die Katholiken erhielten zwar freie Religionsübung, aber neue Konfiskationen, barbarische Strafgesetze gegen den Katholizismus und die zur Verfolgung desselben von Protestanten gebildeten Orangelogen (s.d.) bewirkten 1760 und 1763 neue Verschwörungen. Die Bildung eines irischen Freikorps ließ einen allgemeinen Aufstand befürchten, weshalb das engl. Parlament 1782 den Irländern die legislative Unabhängigkeit gestattete und die Strafgesetze gegen die Katholiken milderte. Die Stiftung des Bundes der Vereinigten Irländer (United Irishmen) zu Dublin (1791) bewog das brit. Parlament zu weitern Nachgiebigkeit (Aufhebung jener Strafgesetze), doch wurde, als 1796 eine franz. Flotte mit 25.000 Mann Landungstruppen an der irischen Küste erschien, die Insel unter Kriegsrecht gestellt. Dies rief 1798 einen neuen Aufstand hervor, der blutig unterdrückt wurde. Danach erfolgte 26. Mai 1800 die legislative, sog. Finalunion zwischen I. und Großbritannien, wonach I. 32 Peers in das Oberhaus, 100 Abgeordnete in das Unterhaus entsenden sollte; auch wurden den Iren gleiche Rechte mit den Briten zugestanden; 1801 trat das Vereinigte Parlament ins Leben. Doch erst der Agitation O'Connells gelang es, von Georg IV. die Bestätigung der schön von Pitt versprochenen polit. Emanzipation der Katholiken zu erlangen (13. April 1829). Dieser Sieg der Katholiken führte zu neuen Forderungen. O'Connell stiftete 1830 die sog. Repealassoziation, welche auf die Aufhebung der Union gerichtet war. Die 1845-46 herrschende Hungersnot führte zu Gewalttätigkeiten und Massenauswanderungen. Eine neue radikalere Partei, das Junge I., bereitete 1848 eine gewaltsame Katastrophe vor, doch gelang es, den Ausbruch zu verhindern. Nun begann eine fast fluchtähnliche Auswanderung nach Amerika, wo der geheime Bund der Fenier (s.d.) zur Herstellung einer irischen Republik gegründet wurde, dessen Aufstandsversuche 1865 und 1867 die Regierung jedoch im Keime unterdrückte. Seit 1868 begann die reformierende Tätigkeit der engl. Regierung in I. Durch die Irische Kirchenbill von 1869 wurde die anglikan. Kirche entstaatlicht, durch die Landbill von 1870 die gerechten Beschwerden der Pächter gegen die Grundherren gemildert; dennoch bildete sich 1872 die Irische Nationalpartei (Homerulers), welche Losreißung I.s von England erstrebte und bes. seit 1878 unter Führung Parnells entschiedener auftrat. Mit dieser mehr parlamentarischen Partei verbündete sich 1880 die Landliga, welche die Rückgabe des irischen Landes an das irische Volk forderte; gegen ihre Gewalttaten wurde 1881 eine Zwangsbill erlassen, ihre Führer verhaftet, sie selber aufgelöst, gleichzeitig aber den Pächtern in einer neuen Landbill umfassende Zugeständnisse gemacht. Fortgesetzte Verbrechen der 1882 an Stelle der Landliga gebildeten Nationalliga, unterstützt durch die fenische Mördergesellschaft der Unbesieglichen, denen 6. Mai 1882 die Staatsmänner Lord Cavendish und Burke zum Opfer fielen, veranlaßten 1882 eine strengere Zwangsbill. In dieser Lage entschloß sich Gladstone, die irischen Forderungen durch Gewährung von Homerule zu erfüllen, doch scheiterte sein erster Plan schon 1886 im Unterhause, während eine neue Vorlage 1892 zwar die Zustimmung des Unterhauses fand, im Oberhause aber abgelehnt wurde. Das Torykabinett Salisbury suchte 1898 die Lage der Pächter durch ein neues Landgesetz zu erleichtern und das irische Volk durch Gewährung von kommunaler Selbstverwaltung zu versöhnen. Die 1900 gebildete United Irish league agitierte von neuem gegen England, worauf dieses 1902 einen Teil des Zwangsgesetzes wieder in Kraft setzte. Das im Juli 1903 angenommene Landgesetz will die Iren mit Staatshilfe zu Eigentümern des irischen Bodens machen; trotzdem kam auch darauf die Homerulebewegung noch nicht zur Ruhe.
Literatur. Rodenberg (1860), Lasaulx (1878), Morris (engl., 1898). – Zur Geschichte: Hassenkamp (1886), J. McCarthy (engl., 1903); über irische Kirchengeschichte Bellesheim (3 Bde., 1890-91).
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