[467] Weichsel (poln. Wisla, lat.Vistula), Fluß, entsteht in Österreichisch-Schlesien am Nordfuß der Beskiden, aus der Vereinigung der Weißen, Kleinen und Schwarzen W. in dem Dorfe W. oder Wisla, bildet hier einen 6 m hohen Wasserfall und fließt in einem felsigen Tal bis Schwarzwasser, wo er das Gebirgsland verläßt. Die W. scheidet nun auf eine kleine Strecke Preußisch-Schlesien von Österreichisch-Schlesien und Galizien, dann nach Aufnahme der Przemsza in nordöstlichem Laufe Polen und Galizien und tritt unterhalb Sandomir nach Aufnahme des San ganz nach Polen über. Dieses Land durchfließt die W. in einem weiten, gegen Westen geöffneten Bogen. Bei Pulawy verläßt sie das südpolnische Plateau, fließt aber noch bis zur Einmündung der Piliza in einem bis auf 4 km eingeengten Tal zwischen steilen, bewaldeten Rändern. Von Pulawy an durchfließtsie eine weite Ebene, berührt Warschau und Nowogeorgiewsk (Modlin), wendet sich nach Einmündung des Bug, der in seinem untersten Lauf auch nach seinem Hauptzufluß Narew genannt wird, nach Westen und NW., rechts wieder von hohen Uferrändern eingefaßt, berührt Plozk und Wlozlawsk und tritt 15 km oberhalb Thorn auf preußisches Gebiet über. Unterhalb der Mündung der Brahe und des Bromberger Kanals durchbricht sie in nordöstlicher Richtung, Kulm, Schwetz und Graudenz berührend und zuletzt nach N. sich wendend, den Preußischen Landrücken, und zwar fließt sie hier, oft in Arme sich teilend, durch ein tiefes Tal, das von Thorn bis zur Montauer Spitze im Durchschnitt 8 km breit ist, bald längs des westlichen, bald längs des östlichen Höhenrandes, so daß in der Regel auf der einen Seite des Stromes Niederung, auf der andern Seite hohes Ufer ist. Östlich von der W. liegen die Thorner, Althausener, Kulmer und Marienwerdersche, westlich die Schwetzer, Neuenburger und Mewer Niederung. An der Montauer Spitze teilt sich die W. in zwei Arme: die W. und die Nogat. Der letztere Arm war vorzeiten unbedeutend, vergrößerte sich aber durch Ausgrabungen und starkes Gefälle so sehr, daß er im Laufe der Zeit mehr Wasser als die W. führte. 1845 bis 1857 ist der alte Eingang zur Nogat verstopft und 4 km unterhalb ein Kanal (W.-Nogatkanal) aus der W. in die Nogat geleitet worden. Die Nogat, 60 km lang, hat seitdem an Wasser viel verloren, ist in ihrem obern Teil kaum noch schiffbar, geht an Marienburg vorbei und mit vielen Mündungen ins Frische Haff; durch den Kraffohlkanal (5,9 km lang) steht sie mit dem Elbingfluß in Verbindung. Nogat und W. durchströmen ein sehr fruchtbares Delta, das zwischen Danzig und Elbing 53 km breit ist, in einzelnen Teilen selbst noch unter dem Spiegel der Ostsee liegt und Werder genannt wird (Danziger Werder westlich von der W., Großer Marienburger Werder zwischen W. und Nogat, Kleiner Marienburger Werder östlich von der Nogat), das noch durch die Schwente und Tiege bewässert wird. Durch das Delta strömt die W. an Dirschau vorbei in nördlicher Richtung zum Danziger Haupt, woselbst auf der rechten Seite die Elbinger W. vom Hauptstrom sich abzweigt, die gleichfalls mit zahlreichen Armen ins Frische Haff mündet, bei normalem Wasserstand aber kein Wasser mehr aus der W. empfängt, indessen durch den Weichsel-Haffkanal (s. d.), der die direkte Verbindung mit dem Frischen Haff herstellt, hier ersetzt wird. Der Hauptstrom wendet sich nun nach NW. und mündet seit dem Dünenbruch in der Nacht vom 1. zum 2. Febr. 1840 bei Neufähr in die Ostsee. Diese Mündung, sehr versandet, ist für die Schiffahrt nicht geeignet, die dem alten Laufe der W., der an Danzig vorüberführt, erhalten worden ist. Durch die Groß-Plehnendorfer Schleuse am Durchbruch bei Neufähr von der W. abgesperrt, befindet sich die Höhenlage des Wassers in diesem Arme fast im Niveau des Ostseespiegels; in die Ostsee geht er bei Neufahrwasser, wo die alte Mündung (die Norderfahrt) jetzt abgedämmt ist und die See durch einen Kanal (die Westerfahrt oder das Neufahrwasser) erreicht wird. 188896 wurde mit einem Kostenaufwand von 20 Mill. Mk. die Binnennehrung von Siedlersfähre bis Schiewenhorst durchstochen und dem Flusse statt der bisherigen nordwestlichen Richtung ein direkt nördlicher Lauf (6 km lang) angewiesen.
Die Quelle des Stromes, dessen Gebiet 191,406 qkm (3476 QM.) umfaßt, sein Eintritt in Preußen und seine Mündung liegen fast unter demselben Meridian (18°50' östl. L.). Die Stromlänge beträgt 1050 km, davon kommen auf Westpreußen mit Einschluß der Grenzstrecke gegen Posen 251 km. Der Wasserspiegel des Stromes liegt an der Mündung des Przemsza 245, bei Thorn 35, bei Dirschau 3 m ü. M. Die mittlere Tiefe, im untern Laufe zwischen 2 und 7 m schwankend, im Danziger Hafen 5,6 m betragend, wechselt in den einzelnen Jahren durch die Veränderlichkeit der riesigen Sandmassen ganz bedeutend. An der Mündung der Przemsza wird die W. für kleine, bei Krakau für mittlere, bei Zawichost, unterhalb der Mündung des San, für größere Fahrzeuge schiffbar; Seeschiffe gehen bis Danzig hinaus. Thorn passierten 1906 zu Berg: 448 Schiffe mit 63,000 Ton. Ladung; zu Tal: 679 Schiffe mit 66,000 T. Ladung, außerdem 1,013,000 T. Floßholz. Haupttransportartikel sind von Thorn aufwärts Soda, Farbholz, Roh- und Brucheisen, Steinkohlen, Teer, Pech, Harze aller Art und Asphalt, Mauersteine etc. Im Talverkehr sind Getreide nebst Hülsenfrüchten, Zucker, Steine, Holz, Mehl und Mühlenfabrikate, Melasse und Sirup die hauptsächlich zur Verschiffung gelangenden Güter. Durch den Bromberger (Netze-) Kanal ist die W. mittelbar[467] mit der Oder in schiffbare Verbindung gesetzt. Die bedeutendsten Nebenflüsse der W. sind, links: die Przemsza, Piliza, Bzura, Brahe, das Schwarzwasser, die Montau, Ferse und die Mottlau mit der Radaune; rechts: die Sola, Skawa, Raba, der Dunajec, die Wysloka, der San, Wieprz, Bug mit dem Narew und mehreren aus dem südlichen Ostpreußen kommenden Zuflüssen, die Drewenz, Ossa und Liebe oder Alte Nogat. Die W. bildet eine Menge Sandbänke, die sich fast nach jeder Anschwellung des Flusses verändern und die Fahrt sehr beschwerlich machen. Indessen wird an der Regulierung des Stromes eifrig fortgearbeitet, nicht allein in Preußen, sondern auch in Rußland und Österreich. Überschwemmungen, am größten an den Mündungen der Nebenflüsse, treten jährlich dreimal ein: die erste im April, die zwei Wochen und länger andauert, die zweite um Johannis, die dritte vier Wochen später. Die mittlere Zeit des Zufrierens der W. ist um Warschau der 24. Dez., die der Befreiung vom Eis der 7. März. Infolge des Eisganges erfolgten im Dezember 1876 und März 1888 verheerende Durchbrüche, welche die Niederung zwischen der Nogat, dem Elbingfluß und der Fahrstraße nach Marienburg der Überflutung preisgaben. An Fahrzeugen auf der W. unterscheidet man: Schunen (350 dz tragend), Dubassen (300 dz) und Galeeren (225 dz), Patelken und Wittinnen, die alle flach und ohne Masten sind und in der Regel nach ihrer Ausladung zerschlagen und verkauft werden; ferner in Preußen einmastige Berlinen oder Berlinken und Baidaken (von Pulawy bis Thorn fahrend) und zahlreiche Flöße (Tratwen); Dampfboote bugsieren die flachbodigen eisernen Gabaren. Die W. liefert viele und gute Fische. Der größte Vorteil aber, den sie Polen gewährt, ist die bequeme Ausfuhr der Landeserzeugnisse an Getreide, Holz etc., die jährlich nach Danzig gebracht und von da ausgeführt werden. Krakau, Iwangorod, Nowogeorgiewsk, Warschau, Thorn und Danzig beherrschen als feste Punkte den Strom; Eisenbrücken, zum Teil großartige Bauwerke, führen in Preußen bei Thorn, Fordon, Graudenz und Dirschau über die W., bei Marienburg über die Nogat. Vgl. Brandstäter, Die W., historisch, topographisch und malerisch (Marienwerder 1855); »Führer auf den deutschen Schiffahrtstraßen«, 6. Teil (3. Aufl., Berl. 1907); Scholz, Vegetationsverhältnisse des preußischen Weichselgeländes (Thorn 1896); H. Keller, Memel-, Pregel- und Weichselstrom, ihre Stromgebiete etc., Bd. 3 u. 4 (Berl. 1900); F. Braun, Die deutschen Weichselufer (Danz. 1905).
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