Aphrodīte [1]

[599] Aphrodīte (lat. Venus), Göttin der Schönheit, des weiblichen Reizes u. der Liebe; nach Ein. Tochter des Zeus u. der Dione, nach der gewöhnlichen Mythe aber entstand sie aus der, von Saturn seinem Vater Uranos (s.d.) entrissenen Zeugungskraft, welche in das Meer fallend, dasselbe befruchtete, bis aus dem aufgährenden Schaume die Göttin geboren ward; daher der Name A. u. ihr Beiname Aphrogenīa (d.i. die Schaumgeborene), od. Anadyomene (d.i. die aus dem Meere Auftauchende). Nach ihrer Entstehung kam sie auf einer Muschel schwimmend nach Kythera, weshalb sie auch den Namen Kytherea hatte, u. von da nach Cypern, welches ein Hauptort ihrer Verehrung wurde u. woher sie den Beinamen Kypria erhielt. Von hier erhob sie sich, von den Horen geschmückt, in den Olymp u. wurde mit Staunen von den Göttern empfangen. Sie war mit einem Gürtel geschmückt, in welchem Liebe, schmachtendes Verlangen, Reiz u. sanfter Zauber verborgen waren u. mit welchem sie Götter u. Menschen zu Liebe u. Sehnsucht zwang. So war sie A. Urania u. A. Pandemos, d. h. wie die Himmlischen, so die Menschen durchdringende u. durch die Ehe Familien zu Gemeinden verbindende Liebe; später unterschied man jene als die Göttin der reinen Liebe, letztere Venus Vulgivaga als die gemeine Geschlechtsliebe. Neben ihrem Gemahl Hephästos hatte sie mehrere Geliebte, bes. den Ares; ihre Liebeshändel mit diesem verrieth Helios dem Hephästos. Dieser fertigte deshalb ein ganz seines Netz u. legte dasselbe um das Lager seiner Gemahlin. Als nun einst in seiner Abwesenheit Ares die A. besuchte u. Beide sich umarmt hatten, schlug das Netz zu u. fing sie. Hephästos, von Helios davon benachrichtigt, eilte herbei u. zeigte den herbeigerufenen Göttern die Gefangenen. Befreit, entfloh A. nach Cypern. Die Gunst gegen Ares schrieb sich aus dem Trojanischen Kriege her, wo Aresden Troern beistand, welche sich des Schutzes der A. erfreuten. Überhaupt wurde der ganze Krieg als eine Folge der Unterstützung angesehen, welche A. dem Paris bei Entführung der Helena geleistet hatte; sie hatte dies aber gethan, weil Paris (s.d.) bei dem Streit der A., Pallas u. Here, sie für die Schönste erklärt hatte. Von Ares gebar sie Eros u. Anteros, Deimos, Phobos u. die Harmonia; von Bakchos Hymen u. Priapos, von Hermes den Hermaphroditos; auch Menschen genossen ihre Liebe, wie Adonis (s.d.), Butes, von dem sie Eryx gebar, u. Anchises, von dem sie Mutter des Äneas wurde. Ihre Dienerinnen waren die Charitinnen u. Peitho. Geheiligt waren ihr von Vögeln Sperlinge, Tauben (von denen ihr Wagen gezogen wurde), Schwalben u. der Wendehals; von Pflanzen die Myrte, Rose u. Linde. Die vornehmsten Tempel der A. waren zu Paphos u. Amathus auf Cypern, auf dem Eryx in Sicilien, auf dem Attischen Vorgebirge Kolia, daher ihre Beinamen Paphia, Amathusia, Ericyna u. Kolias; in der Quelle Akidalia in Böotien pflegte sie sich mit den Charitinnen zu baden. Fest, bes. die Aphrodisia u. Anagogia (s. b.). Opfer waren verschieden nach der Idee, welche man mit der A. verband; der Venus Urania opferte man junge Kühe u. Tauben, der Venus Vulgivaga (A. Pandemos) Schweine. Beinamen, außer den genannten, waren: Morpho, Schönheitgeberin; Apostrophia (d.i. die Abwendende), sofern sie die Menschen von gesetzlosen Begierden u. unheiligen Werken abwenden sollte; Epistrophia u. Verticordia, die Herzenslenkerin; Kallipygos von ihrem schönen Hintern; Libentia, Göttin des Vergnügens etc. In Delphi war ihr unter dem Namen Epitymbia als Grab- od. Begräbnißgöttin ein Bild aufgestellt, bei dem man die Geister derer rief, welchen man opferte; so wurde zu Rom in dem Tempel der Libitina, welche auch als Venus gedeutet wird, alles verkauft, was zu den Todtenbestattungen gehörte. Die Alten glaubten, es sollte entweder dieselbe Göttin, welche den Menschen das Leben gäbe, auch bei dem Ausgang aus dem Leben sein; od. die Erinnerung an den Tod auch bei dem süßesten Sinnengenuß des Lebens nicht fehlen; Calva, weil ihr zu Rom die Weiber einen Tempel gebaut hatten, nachdem sie bei der Belagerung der Stadt durch die Gallier ihr Haupthaar zu Stricken an die Wurfgeschosse hergegeben hatten; Cloacina od. Cluacina (nicht die Göttin der schmutzigen Sinnenlust von Cloaca), die Reinigende, weil die Sabiner, als sie nach dem Raube ihrer Töchter die Römer bekriegen wollten, an der Stelle mit der Myrte gereinigt wurden, wo nachher das Bild der Venus Cloacina stand. Auch noch bis in das Mittelalter pflanzte sich die Sage von dieser Göttin (Frau Venus) fort, u. sie ward damals, wie alle heidnischen Götter, als ein Teufelsspuk betrachtet, in deren Gestalt böse Geister die Menschen zum Heidenthume zu verführen suchten. So kommt sie in manchen Sagen u. Liedern vor, z.B. in der Sage von dem Tannhäuser (s.d.). Auch bei Turnieren u. den Jeux floreaux im Mittelalter spielte Frau Venus, als Symbol der Liebe, eine große Rolle. A. wird nackt vorgestellt die Künstler[599] gaben ihr ein ovales Gesicht, heitere Augen, etwas gedrückte Augenlider mit Blinzeln u. Liebe verlangendem Blick, kleinen Mund, anmuthige Lippen, ziemlich runde Nase, reizend volle Wangen, rundes Kinn mit leichtem Grübchen; der Kopf sitzt nie gerade auf dem schönen Hals, sondern hat immer eine leichte Neigung nach der Seite. Die berühmtesten Darstellungen der A. sind: a) die Mediceische Venus, sie ward in der Villa Hadriani bei Rom in mehreren Stücken gefunden, die aber geschickt zusammengesetzt sind; sie stand lange im Mediceischen Palast zu Rom (daher der Name), bis sie Herzog Cosmo III. nach Florenz bringen ließ. Der Meister ist unbekannt; der im Fußgestell eingehauene Name Kleomenes ist neuer u. die Marmorplatte eingesetzt. A. ist völlig nackt aus dem Meer od. aus dem Bade steigend dargestellt, den Kopf ein wenig gegen die linke Schulter gewendet, die rechte Hand vor dem Busen, ohne diesen zu berühren, die linke verbirgt die Schoßtheile, der Leib ist vorwärts gebogen, sowie das rechte Knie etwas vorgesetzt. Zur Seite befindet sich ein Delphin u. zwei Amoretten; oft nachgebildet. b) A. Anadyomene, nach einem Gemälde des Apelles, aus dem Meer steigend, trocknet sie mit beiden Händen das herabhängende Haar; c) A. Kallopygos, sie sieht sich um u. soll dadurch den Blick des Beschauers auf den schönen Hinterkörper lenken. Vgl. Lajard, Recherches sur le culte, les symboles, les attributs et les monuments figurés de Vénus, Par. 1837.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 599-600.
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