[1266] [1266] Werke des Geschmaks. Werke der Kunst.
Aus den von uns angenommenen Begriffen über das Wesen und die Bestimmung der schönen Künste, muß auch der Begriff eines vollkommenen Werks der Kunst hergeleitet werden. Ein Werk also, das den Namen eines Werks der schönen Kunst behaupten soll, muß uns einen Gegenstand, der seiner Natur nach einen vortheilhaften Einflus auf unsre Vorstellungskraft, oder auf unsre Neigungen hat, so darstellen, daß er einen lebhaften Eindruk auf uns mache. Demnach gehören zu einem Werke des Geschmaks zwey Dinge; eine Materie, oder ein Stoff von gewissen innern Werth, und eine lebhafte Darstellung desselben. Der Stoff selbst liegt außer der Kunst; seine Darstellung aber ist ihre Würkung: jener ist die Seele des Werks, diese macht ihren Körper aus. Nicht die Erfindung, sondern die Darstellung des Stoffs, ist das eigentliche Werk der Kunst. Durch die Wahl des Stoffs zeiget sich der Künstler als einen verständigen und rechtschaffenen Mann, durch seine Darstellung, als einen Künstler. Bey Beurtheilung eines Werks der Kunst, müssen wir also zuerst auf den Stoff, und hernach auf seine Darstellung sehen. Dieser Artikel hat die Festsezung der allgemeinen Grundsäze, nach welchen ein Werk in Ansehung dieser beyden Punkte zu beurtheilen ist, zur Absicht.
1. Hier ist also zuerst die Frage, wie der Stoff, den der Künstler zu bearbeiten sich vornihmt, müsse beschaffen seyn. Nach unsern Grundsäzen muß er einen vortheilhaften Einflus auf die Vorstellungskraft, oder auf die Neigungen haben. Dieses kann nicht anders geschehen, als wenn er unser Wolgefallen, an Vollkommenheit, Schönheit und Güte befördert, oder nährt und unterhält. Hat der Stoff schon in seiner Natur, ehe die Kunst ihn bearbeitet, diese Kraft, so hat er die Wahrheit, oder Realität, die bey jedem Werke der Kunst muß zum Grund gelegt werden.1 Wählt der Künstler einen Gegenstand, der keine von diesen Kräften hat; stellt er das nicht Vollkommene, nicht Schöne, nicht Gute, als vollkommen, schön und gut vor; so ist er ein Sophist; sein Werk wird ein Hirngespinst, ein Körper von Nebel, der nur die äußere Form eines wahrhaften Werks von Geschmak hat. Anstatt unsre Neigung zum Vollkommenen, Schönen und Guten zu nähren und zu bestärken, ziehlet es darauf ab, uns leichtsinnig zu machen, und uns dahin zu bringen, daß wir uns an dem Schein begnügen. Wie die alten Philosophen aus der Schule der Eristiker durch ihre subtilen Vernunftschlüsse, ihre Schüler nicht zu gründlichen Forschern der Wahrheit, sondern zu Zänkern machten; so macht ein solcher Künstler die Liebhaber, für die er arbeitet, zu eingebildeten, windigen Virtuosen, die nie auf das Innere der Sachen sehen, wenn nur das Aeussere da ist.
Es ist um so viel wichtiger, daß der Künstler die wahre Realität seines Gegenstandes mit Ernst suche, da der Schaden der aus der frevelhaften Anwendung der Kunst entsteht, höchst wichtig ist. Ein Volk, das durch sophistische Künstler verleitet worden, sich an dem Schein zu begnügen, verliehrt eben dadurch den glüklichen Hang nach der Realität, den die schönen Künste vermehren sollten. Ein angenehmer Schwäzer wird für einen Lehrer des Volks, ein artiger Narr oder Bösewicht, wird für einen Mann von Verdienst angesehen. Wären die Werke des Geschmaks der ehemaligen Künstler in Sybaris bis auf uns gekommen; so würden wir vermuthlich darin den Grund finden, warum ein Koch, oder eine Puzmacherin bey diesem Volk höher geschäzt worden, als ein Philosoph. Ich kenne keine freventlichere, verächtlichere Geschöpfe, als gewisse Kunstliebhaber sind, die mit Entzüken von Werken des Geschmaks sprechen, die nichts als Kunst sind; die ein Gemählde von Teiniers, blos wegen der Kunst, den unsterblichen Werken eines Raphaels vorziehen. Sie sind Virtuosen, wie jener Narr bey Liscov durch seine Abhandlung über eine gefrorne Fensterscheibe sich als einen Philosophen gezeiget hat. Also wird die Kunst allein, wenn sie in der Wahl des Stoffs von Vernunft verlassen ist, höchst schädlich; weil sie Wolgefallen an eitelen und unnüzen Gegenständen erwekt.
Es ist eine eitele Vertheidigung solcher Kunstwerke, daß man sagt, sie dienen zum Vergnügen und zu angenehmen Zeitvertreib. Der Grund hätte seine Richtigkeit, wenn dieser angenehme Zeitvertreib nicht eben so gut durch Werke von wahrem Stoff, könnte erreicht werden. Darin besteht eben die Wichtigkeit der Kunst, daß sie uns an nüzlichen Dingen Vergnügen finden läßt. Wer unsre Meinung über den Werth der Kunstwerke von schimärischem [1267] Stoff übertrieben findet, dem antworten wir mit dem Quintilian: Sollten wir das Landgut für schöner halten, wo wir lauter Lilien und Violen und ergözende Wasserkünste sehen, als das, das uns Reichthum von Feldfrüchten und mit Trauben beladene Weinreben zeiget? Sollten wir den unfruchtbaren Platanus und schön geschnittene Myrten, den mit Weinreben prangenden Ulmen und dem fruchtbaren Oelbaum vorziehen?2
Man kann die Werke der Kunst in Ansehung des Stoffes in drey Classen abtheilen. Er ist nämlich 1. ergözend, oder unterhaltend; 2. lehrend, oder unterrichtend; 3. rührend oder bewegend. Von diesen ist der Ergözende am Werth der geringste; doch deswegen nicht verächtlich. Er ist nicht blos darum schäzbar, daß er, wie Cicero in Rüksicht auf die redenden Künste bemerkt, gleichsam das Fundament der Kunst ist,3 sondern auch deswegen, weil jedes Vergnügen, das auf wahre Vollkommenheit und Schönheit gegründet ist, seinen wahren innern Werth hat, indem es unsre Lust an dem Vollkommenen und Schönen unterhält: der lehrende Stoff scheinet der Wichtigste; weil Kenntnis oder Aufklärung das höchste Gut ist: der rührende gefällt am durchgängigsten und scheinet in der Behandlung der leichteste.
Wer ein Werk des Geschmaks in Absicht auf seinen Stoff beurtheilen will, därf nur, nachdem er es mit hinlänglicher Aufmerksamkeit betrachtet, auf den Gemüthszustand Acht haben, in den es ihn versezet hat. Fühlt er sich von irgend etwas, das vollkommen, oder schön, oder gut ist, stärker gereizt, als vorher; empfindet er einen neuen, ungewöhnlichen Schwung etwas Gutes zu suchen, oder sich etwas Bösem zu wiedersezen; hat er irgend einen wichtigen Begriff, irgend eine große, edle, erhabene Vorstellung, die er vorher nicht gehabt; oder fühlet er die Kraft einer solchen Vorstellung lebhafter, als vorher; so kann er versichert seyn, daß das Werk in Ansehung des Stoffs lobenswerth ist.
2. Nach dem Stoff kommt die Darstellung desselben in Betrachtung, wodurch das Werk eigentlich zum Werke des Geschmaks wird. Sie erfodert eine Behandlung des Stoffs, wodurch er sich der Vorstellungskraft lebhaft einpräget, und in dauerhaften Andenken bleibt. Beydes sezet voraus, daß das Werk die Aufmerksamkeit stark reizen, und durchaus unterhalten müsse. Denn die Lebhaftigkeit des Eindruks, den ein Gegenstand auf uns macht, ist insgemein dem Grad der Aufmerksamkeit, mit dem er gefaßt wird, angemessen. Das Werk muß demnach sowol im Ganzen, als in einzelen Theilen uns mit unwiederstehlicher Macht gleichsam zwingen, uns seinen Eindrüken zu überlassen. Darum muß weder im Ganzen, noch in den einzelen Theilen nicht nur nichts anstößiges, oder wiedriges seyn, sondern alles muß Ordnung, Richtigkeit, Klarheit, Lebhaftigkeit und kurz jede Eigenschaft haben, wodurch die Vorstellungskraft vorzüglich gereizt wird. Es muß ein einfaches, leicht zu fassendes, unzertrennliches und vollständiges Ganzes ausmachen, dessen Theile natürlichen Zusammenhang und vollkommene Harmonie haben. Man muß bald sehen, oder merken, was es seyn soll; weil die Ungewißheit über diesen Punkt der Aufmerksamkeit gefährlich wird. Je bestimmter man den Hauptinhalt ins Auge faßt, und je ununterbrochener die Aufmerksamkeit von Anfang bis zum End unterhalten wird, je vollkommener ist das Werk in Absicht auf die Darstellung.
Dieses sind allgemeine Foderungen, die aus der Natur der Sache selbst fließen; und gar nichts willkührliches haben. Für welches Volk, für welches Weltalter, ein Werk gemacht sey; muß es doch die erwähnten Eigenschaften haben. Außer dem muß auch die Critik nichts fodern, und dem Künstler weder in Ansehung der Form, noch in Rüksicht auf das besondere der Behandlung, Geseze vorschreiben. Thut er jenen Fodrungen genug, so hat ihm über die besondere Art, wie er es thut, Niemand etwas vorzuschreiben. Jedes Volk und jedes Zeitalter hat seine Moden und seinen besondern Geschmak in dem Zufälligen, und der Künstler thut wol, wenn er ihm folget. Aber dieses Zufällige [1268] läßt sich nicht durch Regeln festsezen. Wie man von einem Kleide als nothwendige Eigenschaften fodern kann, daß es die Theile, die einer Bedekung bedürfen, bedeke, daß es commode sey, und gut size, übrigens aber keine Art der Kleidung, die diese Eigenschaften hat, verwerflich ist, sie sey französisch, englisch oder polnisch; so muß man es auch mit den Werken des Geschmaks halten. Ein Gemählde kann in seiner Art vollkommen seyn, ob es in Wasserfarben oder mit Oelfarben gemahlt sey; und eine Ode kann eine hebräische oder griechische Form haben, und in der einen so gut als in der andern fürtreflich seyn.
1 | S. ⇒ Wahrheit. |
2 | An ego fundum cultiorem putem, in quo mihi quis ostenderit lilia et violas et amœnos fontes surgentes, quam ubi plena messis, aut graves fructu vites erunt? Sterilem platanum, tonsasque myrtos, quam maritam ulmum et uberes oleas præoptaverim? Quint. Inst. L. VIII. c. 3. |
3 | Ejus totius generis quod græce ἐκιδεικεικον nominatur, quod quasi ad inspiciendum, delectationis causa comparatum est, (formam) non complectar hoc tempore: non quod negligenda sit; est enim illa quasi nutrix ejus oratoris, quem informare volumus. Cic. Orator. |
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