Nassau

Nassau

[240] Nassau (das Herzogthum), 83 ! M. mit 360000 Einw., liegt im mittlern Deutschland, grenzt nördl. und westl. an die preuß. Provinzen Westfalen und Rheinland, östl. an Frankfurt, Hessen-Homburg, Hessen-Darmstadt und den preuß. Kreis Wetzlar; die Südgrenze machen Main und Rhein. Die das Land beherrschende Regentenfamilie stammt von den ehemaligen Besitzern der Laurenburg, auf einem Berge an der Lahn, jetzt eine Ruine in der Standesherrschaft Holzappel, deren gegenwärtiger Besitzer der Erzherzog Franz Stephan Victor von Östreich ist. Der Stammvater war Otto von Laurenburg, Bruder des deutschen Königs [240] Konrad I. Von seinen Nachkommen hinterließ Walram I., gest. 1020, zwei Söhne, Walram II., der die laurenburg. Linie fortsetzte, welche sich später nach der Burg Nassau nannte, und Otto, welcher die Linie Nassau-Geldern stiftete, die 1523 wieder erlosch. Als 1255 Heinrich II., der Reiche, starb, wurden die nassauischen Erblande von seinen zwei Söhnen getheilt und Otto, der jüngere, bekam den nördl., Walram, der ältere, den südl. Theil. Die von ihnen gestifteten und nach ihnen benannten Linien bestehen noch; die Walramische in N. und die Ottonische in den Niederlanden (s.d.), und der deutsche König Adolf von N., der 1298 bei Gellheim in der Schlacht gegen Albrecht von Habsburg sein Leben verlor, war Walram's Sohn. Nachdem im Laufe der folgenden Jahrhunderte die nass. Lande mehrfach getheilt worden waren und die Grafen schon von Kaiser Karl IV. den Fürstentitel erhalten hatten, dessen sie sich aber erst 1688 und 1737 bedienten, vereinigte nach dem Absterben der idsteinischen und wiesbadenschen Linie Ludwig II., gest. 1625, die sämmtlichen Walramischen Gebiete. Seine drei Söhne theilten aber das Land wieder und gründeten drei Linien: 1) N.-Saarbrück, welche nachher in die Äste Saarbrück-Usingen, der 1816 abstarb, und Saarbrück-Saarbrück zerfiel, der schon 1797 erlosch; 2) N.-Idstein, die 1721 ausging; 3) N.-Weilburg, in welcher sich die Walramische Linie noch jetzt fortsetzt. Seit den franz. Revolutionskriegen wurden die nass. Fürsten mehrmals zum Abtreten und Eintauschen von Gebieten veranlaßt, traten 1806 dem Rheinbunde bei und N.-Usingen erhielt die herzogl. Würde, welche dann auf Weilburg überging. Nach der Auflösung des Rheinbundes wurden sie Mitglieder des deutschen Bundes. Schon 1814–15 wurde dem Lande eine Verfassung zugesagt, doch traten die Stände erst 1818 zusammen. Diese Ständeversammlung besteht aus zwei Kammern, der Herrenbank nämlich, welche außer den Prinzen des herzogl. Hauses, den Häuptern der standesherrlichen Familien noch aus sechs vom Adel gewählten Deputirten, und der Landesdeputirtenkammer, die aus den Deputirten des Volks, den Abgeordneten der Geistlichkeit beider christlichen Confessionen und einem von den höhern Lehranstalten zusammengesetzt ist. Sie versammeln sich jährlich, und bei Steuerbewilligungen stimmen beide Kammern gemeinschaftlich, sodaß Mehrheit der Stimmen entscheidet. Schon 1817 wurden bereits, im Widerspruche mit frühern Erklärungen, von der Regierung die gesammten Domainen als Privateigenthum des herzogl. Hauses angesprochen, was zwar auch damals Widerspruch fand, aber erst seit 1830 Gegenstand lebhafter Erörterungen wurde. Jetzt hielten es die Volksdeputirten für unvereinbar mit ihrer Pflicht, dem Ministerium eine Summe von 140,000 Gulden zu bewilligen, weshalb die Regierung den Landtag am 2. Mai 1831 vertagte und erst im Oct. 1832 wieder einberief. Um seine Zwecke durchzusetzen, wählte der Minister Marschall ein Auskunftsmittel, welches allerdings geeignet war, jede Opposition unwirksam zu machen. Er ließ nämlich sieben neue Mitglieder der Herrenbank ernennen, und die Prinzen von N.-Oranien wurden durch Bevollmächtigte vertreten. So bekam die Herrenbank statt der frühern zwölf Mitglieder deren nun 19 und hatte ein Übergewicht beim Abstimmen, da die von der Regierung abhängigen geistlichen Abgeordneten schon im Sinne derselben stimmen müssen. Die wirklichen Landesdeputirten erklärten aber die Vermehrung der Herrenbank für verfassungswidrig, versetzten den Minister Marschall in Anklagezustand, was jedoch keine weitern Folgen hatte, da die Herrenbank dies nicht billigte, und erklärten endlich in einer Adresse an den Herzog, daß sie, so lange diese Zusammensetzung der Herrenbank bestehe, sich mit keinen ständischen Arbeiten befassen könnten. Aber die vier Abgeordneten der Kirchen und Schulen, zusammen mit 17 von der Herrenbank, bewilligten die Steuern, was die Regierung als rechtsgültig ansah und die Kammer dann auflöste. Das Land wählte 1832 aber dieselben Deputirten, welche protestirt hatten, und 16 derselben wollten auch jetzt bei den obwaltenden Verhältnissen keine ständischen Functionen verrichten, wurden aber von der Regierung auf immer zu Mitgliedern der Ständeversammlung für unfähig erklärt, zur Untersuchung gezogen und mehre mit Gefängniß bestraft. Der Geheimrath Herber, ein im Besitz der allgemeinen Achtung stehender Mann, ward sogar wegen eines Artikels in der »Hanauer Zeitung« zu dreijähriger Gefängnißstrafe verurtheilt, von der ihn blos der vor Vollziehung des Urtheils eintretende Tod befreite. Die Regierung erklärte überdies trotz des Ausschlusses aller unabhängigen Vertreter des Landes, die Kammern dennoch für vollzählig und die Herrenbank bewilligte die Steuern. Die spätern Ständeversammlungen haben sich fügsam und stets willfährig gegen die Regierung bewiesen.

Die Oberfläche des Herzogthums, welches seit 1836 zum großen deutschen Zollverbande gehört, ist fast durchaus gebirgig; im N. erhebt sich der Westerwald im Salzburgerkopfe bis zu 1900 F. Meereshöhe, und im. S. der Taunus oder die Höhe, ein romantisches Waldgebirge, im großen Feldberge bis zu 2600 F. Beide Gebirge werden durch die Lahn voneinander getrennt, welche das Land von O. nach W. beinahe in der Mitte durchströmt, unterhalb Weilburg schiffbar wird und in den Rhein fällt. Das Klima ist in den südl. Thälern, besonders am Rhein und Main, sehr mild, im N. ziemlich rauh. Hauptproduct des Landes ist Wein, darunter die ausgezeichnetsten Sorten deutscher Weine, welche bei Rüdesheim, Hochheim, Asmannshausen, am Johannisberge u.s.w. wachsen. Auch der Obstbau, sowie der Anbau von Hopfen, Taback, Hanf und Futterkräutern ist beträchtlich; das Getreide reicht aber für den Bedarf nicht hin. Das Mineralreich liefert etwa 3500 Mark Silber jährlich, ferner Blei, Eisen und eine große Menge Braunkohlen. Sehr wichtig sind die zahlreichen Mineralquellen; denn abgesehen davon, daß die dabei eingerichteten Bäder alljährlich von vielen tausend Fremden besucht werden, verschickt man aus Fachingen, Niederselters, Wiesbaden, Ems, Schlangenbad, Oberlahnstein u.s.w. im Durchschnitte mehr als drei Millionen Krüge in alle Welt. Von den Bewohnern sind die Hälfte Katholiken, 6000 Israeliten und die übrigen gehören zur evangelischen Kirche, zu welcher sich 1817 Lutheraner und Reformirte vereinigt haben. Hauptgewerbe sind Landwirthschaft und Hüttenbetrieb; die übrige Industrie besteht, die gewöhnlichen Handwerke ausgenommen, besonders in Leder-, Tuch-, Taback-, Kupfer- und Eisenwaarenfabrikation. Für höhere und niedere Schulanstalten ist gut gesorgt; Landesuniversität ist Göttingen. Die Staatseinkünfte belaufen sich auf etwa 2, die Schulden auf 7 Millionen Gulden. Zum [241] Bundesheere stellt N. 4014 M., hat am Bundestage in der engern Versammlung mit Braunschweig gemeinschaftlich eine Stimme, im Plenum aber deren zwei für sich allein.

Die nass. Lande bestehen aus 23 verschiedenen Gebietstheilen im vormaligen oberrhein. und westfäl. Kreise. In den altnaff. Besitzungen liegen: Wiesbaden, die Hauptstadt des Landes am Salzbache, etwa eine Stunde vom Rheine entfernt, am Abhange des Taunus, mit 8000 Einw., ist nicht besonders gut gebaut; nur die Münze, das Schloß und das Theater verdienen Beachtung, besonders aber der von den neuen Anlagen umgebene Cursaal mit einem Porticus von sechs kolossalen ionischen Säulen, zwei großen Hallen und in Pavillons auslaufenden Colonnaden mit einer Menge von Buden. Wiesbaden verdankt Entstehung und Wohlstand seinen 14 warmen und zwei kalten Mineralquellen, deren Heilkräfte schon den Römern bekannt waren, und wird jährlich von 10–12,000 Curgästen besucht. Die Stadt hat mehre Unterrichtsanstalten; im sogenannten Schlößchen befindet sich eine werthvolle Bibliothek von 50,000 Bänden, eine Sammlung von Kunstsachen und röm. Alterthümern, deren man in dieser Gegend sehr viele findet. Im Marktflecken Biberich am Rhein mit 2800 Einw. hat der Herzog, der sich hier gewöhnlich aufzuhalten pflegt, ein hübsches Schloß. Von den nachfolgenden kleinen Städten führten mehre erloschene nass. Regentenlinien ihre Namen, z.B. von Weilburg an der Lahn mit 2300 Einw. und einem Gymnasium; Usingen mit 1800 Einw. wo sich das Hof- und Criminalgericht befindet; Idstein, mit einem protestantischen Schullehrerseminarium und landwirthschaftlicher Lehranstalt; Dietz an der Lahn mit 2300 Einw. Ein protestantisches Predigerseminarium ist in Herborn. Die kleine Stadt Nassau mit 1200 Einw. liegt am rechten Lahnufer und gegenüber auf dem linken Ufer die gleichnamige Burg auf einem hohen Berge, in einer malerischen Gegend.

Zu den neuerworbenen Gebietstheilen gehört die Niedergrafschaft Katzenelnbogen, worin mehre berühmte Badeorte, wie Ems, ein Dorf an der Lahn, mit 1600 Einw.; Langenschwalbach, in einem Thale des nördl. Taunus, mit 14 Mineralquellen, und das Schlangenbad. Im vormaligen Kurmainzischen liegen: Königstein und Falkenstein, beide mit Burgruinen und herrlichen Aussichten; Hochheim am Main, durch seinen Wein berühmt; das Reichsdorf Soden, mit einem Salzwerke; das gewerbsame Städtchen Höchst am Main; im Rheingau, einer der herrlichsten Gegenden Deutschlands, liegen Erbach, Hattenheim, Östrich, Rüdesheim, Asmannshausen, Geisenheim, wo der Rhein 2000 F. Breite hat, und mehre andere Ortschaften, in deren Nähe die besten Rheinweinsorten wachsen. Hierher gehört auch das Schloß Johannisberg, welches sich über dem gleichnamigen Dorfe auf einem Berge erhebt, an welchem der berühmte johannisberger Wein wächst, aus dem der Besitzer des Schlosses und Berges, Fürst Metternich, jährlich im Durchschnitte einen Verkaufsertrag von 40,000 Thlrn. bezieht. Im vormaligen Kurtrierschen liegen: Montabaur mit 2600 Einw. und einem katholischen Gymnasium; Limburg an der Lahn mit 3000 Einw., der Sitz des katholischen Landesbischofs, und drei Stunden entfernt das Dorf Niederselters, ein sehr besuchter Gesundbrunnen; der Verkauf der dortigen Mineralwässer wirst dem Staate jährlich gegen 80,000 Gulden ab.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 240-242.
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