[438] Tirol oder Tyrol, die gefürstete Grafschaft, bildet einen Theil des deutschen Gebiets des Kaiserreichs Östreich. Zu demselben wird als nordwestl. Theil Vorarlberg gerechnet, und mit diesem wird es von Baiern, Östreich ob der Ens, Kärnten, vom mailänd. Gubernium und von der Schweiz begrenzt. Es umfaßt 518 ! M. mit 814,000 Einw., von denen die Mehrzahl Deutsche sind. Im südl. Theile leben 165,000 Italiener. Man hat T. die deutsche Schweiz genannt, mit welcher das Land große Ähnlichkeit zeigt. Wie die Schweiz wird es von riesigen Alpenketten durchzogen. Zwischen ewig mit Schnee bedeckten rauhen Bergen, an denen Gletscher (Ferner genannt) lagern, und welche furchtbare Abgründe, wilde Gießbäche und Wasserfälle darbieten, liegen reizende Thäler. Auch an Seen fehlt es nicht im Innern T.'s, doch sind sie viel kleiner als die schweizer. und überhaupt erscheint die Natur mit ihren großartigen Gebilden [438] in T. mehr zusammengedrängt als in der Schweiz. Die tiroler Gebirge bedecken 9/10 der ganzen Bodenfläche und gehören zu den rhätischen und norischen Alpen. Der mächtigste Gebirgszug beginnt mit der 14,400 F hohen Ortelsspitze an der schweiz. und lombard. Grenze und durchzieht das Land in nord-östl. Richtung. Andere hohe Berge sind die 11,600 F. hohe Wildspitze, der 6400 F. hohe Brenner, der 11,600 F. hohe Großglockner, auf der Grenze von Kärnten und Salzburg, der Ötzthaler Ferner, der Hochvernagt, der Gebatschferner 11,500 F. hoch, u.a. Durch den erwähnten Hauptgebirgszug wird T. in eine nördl. und eine südl. Hälfte getheilt. Der Hauptfluß der erstern ist der in der Schweiz entspringende Inn, welcher sich, sowie die in T. entspringenden Flüsse Iller, Lech und Isar, in die Donau ergießt. Die Westgrenze wird vom Rhein berührt. In der südl. Hälfte strömt die Etsch, welche am Ötzthaler Ferner entspringt und nach Italien fließt. Die Brenta geht gleichfalls nach Italien, die Drau dagegen nach Kärnten. Der größte Theil des Bodens in T. ist zum Feldbau wenig geeignet, nur das Etschthal und einige Stellen des Innthals und des Zillerthals zeichnen sich durch Fruchtbarkeit aus. Vorzüglich gedeiht die Viehzucht, indem die Alpen bis zur Schneegrenze bei 8200 F. herrliche Weideplätze darbieten. Bis zu 4200 F. wird Getreide und Obst gebaut, bis 1700 F. Wein. Die Abhänge der Gebirge sind mit herrlichen Waldungen besetzt. Im Innern der Gebirge findet man viele Metalle, besonders Eisen, Blei, Kupfer und Galmei. Auch Silber und etwas Gold wird gewonnen. Steinkohlenlager sind nicht selten, und bei Hall gewinnt man Salz. Während der nördl. Theil des Landes ein ähnliches Klima wie das mittlere Deutschland hat, herrscht im südl. Theile ein fast italien. Klima. Es wird hier guter Wein gebaut und es gedeihen mehre Südfrüchte. Die Tiroler sind als ein heiterer, unverdorbener, treuherziger und biederer Menschenschlag bekannt. Sie hängen mit großer Vorliebe und Treue an ihren heimischen Sitten, ihrem Vaterlande und ihrem Regentenhause, und haben einen kräftigen, schönen Körperbau. Besonders zeichnen sich in dieser Beziehung die Männer aus, den Frauen fehlt es an Zierlichkeit und Anmuth. Sie haben eine Nationaltracht, von der sie nicht abgehen, die jedoch, sowie auch die Mundart, in den einzelnen Thälern verschieden ist. Als leidenschaftliche Jäger sind sie ausgezeichnete Schützen, und die Scheibenschießen sind ihre beliebtesten Volksfeste. Die Geschlechter gehen sehr frei miteinander um. So pflegen die jungen Burschen bei den Dirnen zu nächtlichen Besuchen einzusteigen, ehe sie dieselben heirathen, welche Sitte, das Gaßlgehen genannt, keineswegs für anstößig gilt. Nur selten aber bricht ein Tiroler seinem Mädchen die Treue. Die ital. Tiroler unterscheiden sich von den deutschen durch einen hagern, dürftigern Körperbau, braune Gesichtsfarbe und mindere Treuherzigkeit. Sie sind weniger lustig als leidenschaftlich, und während bei den Deutschtirolern ein Faustkampf die ziemlich häufigen Streitigkeiten entscheidet, führt den Welschtiroler seine Rachsucht nicht selten zum Morde. Indeß ist der Welsche mäßiger, nüchterner und ernster als der Deutschtiroler, und nicht minder arbeitsam als dieser. Alle Tiroler bekennen sich, mit wenigen Ausnahmen, zur katholischen Kirche. Viehzucht, Jagd, Ackerbau und Bergbau sind die wichtigsten Nahrungszweige, andere sind Wöll- und Baumwollweberei, Bearbeitung der Metalle, Gerberei, Handschuhmacherei, Glasfabrikation, Holzschnitzerei und Handel, und in den südl. Gegenden Seidenzucht und Seidenweberei. Eine große Anzahl Tiroler verläßt jährlich die Heimat, um als Hausirer, Handwerker und Taglöhner im Auslande Unterhalt zu suchen. Doch kehren die meisten, wenn sie sich etwas erworben haben, wieder in ihr Vaterland zurück Die wichtigste Handelsstraße ist die zwischen München und Verona, welche über Innsbruck, den Brenner (s.d.), Botzen, Trient und Roveredo führt. Andere Kunststraßen führen nach der Schweiz und nach Italien. Die Hochschule zu Innsbruck, 8 Gymnasien und eine ziemlich ansehnliche Anzahl niederer Schulen sorgen für den öffentlichen Unterricht. Milde Anstalten sind in. großer Zahl vorhanden. Es gibt 48 Civilhospitäler, 4 Militairhospitäler, 2 Irrenhäuser, 38 Siechhäuser, 347 Armenanstalten und 1 Taubstummenlehranstalt. Im J. 1816 sind den Tirolern ihre alten Rechte und Freiheiten durch eine neue Verfassung bestätigt worden. Militairpflichtigkeit und Mauth sind nicht eingeführt worden. Die Landstände bestehen aus vier Classen: dem Prälaten-, Ritter-, Bürger- und Bauernstande. Vorarlberg, welches mit T. dieselbe Verwaltung hat, besitzt noch seine besondern Freiheiten, Landstände und Landtage. Das Gubernium des ganzen Landes hat seinen Sitz zu Innsbruck. Das Land ist in sieben Kreise getheilt. Innsbruck (s.d.) ist die Hauptstadt des ganzen Landes und des innsbrucker Kreises. Bei der kleinen Stadt Kusstein liegt die starke Bergfestung Geroldstein, deren Werke größtentheils in Felsen gehauen sind und die als Staatsgefängniß benutzt wird. Hall am Inn mit 5000 Einw. ist der Sitz der k. k. tirol. vorarlberg. Berg- und Salinendirection und des Berggerichts. Hier sind berühmte Salzwerke, zu denen das Salz aus dem 2 Stunden entfernten 500 F. hohen Salzberge gegraben, in Wasser aufgelöst und in hölzernen Rinnen nach den Siedpfannen geführt wird. Zu Hall ist ferner ein Fräuleinstift, eine Irrenanstalt ein Gymnasium, ein Soolbad und eine Münze. In der Nähe von der Salmiakfabrik Kitzbühel wird viel Kupfer und Silber gewonnen. Bei Zell im Zillerthale sind Silber- und Goldbergwerke, bei Brixlegg am Inn ein Blechwalzwerk, Schmelz- und Hammerwerke, bei Achenrain eine Messinghütte, Kupferdrahtzieherei und Blechschlägerei, bei Axams wird ausgezeichneter Flachs gebaut. Die ausgezeichneten Sammlungen des schönen Schlosses Ambras (s.d.) sind nach Wien gebracht worden. Im oberinnthaler oder imster Kreise liegt die Stadt Glurns an der Etsch, welche 1799 von den Franzosen verbrannt wurde, seitdem aber neu aufgebaut worden ist und 800 Einw. hat. Im Markte Imst mit 2000 Einw. ist das Kreisamt. Hier war sonst eine sehr bedeutende Kanarienvögelzucht, und es wurde mit diesen Thierchen nach Rußland und der Türkei gehandelt. Bei dem Dorfe Zirl zeigt man die Martinswand, auf welcher einst Kaiser Maximilian I. in Todesgefahr gewesen sein soll. Im pusterthaler oder brunecker Kreise liegen Bruneck im Pusterthale mit 1500 Einw., und Brixen an der Mündung der Rienz in die Eisak mit 3200 Einw., einem Bisthume, einem theologischen Seminar, einem Gymnasium, einem Fräuleinstift mit einer Mädchenschule. In neuerer Zeit sind bei Brixen Festungswerke angelegt worden. Lienz am Eingange des Pusterthals hat 2000 Einw., ein Dominikanernonnenkloster mit einer Mädchenschule, Eisen- und Messingfabriken [439] und nicht unbedeutenden Speditionshandel. Bei Sterzing am Fuße des Brenners sind Eisenbergwerke, ein Marmorbruch und Badehäuser. Botzen oder Bolzano an der Etsch ist die Hauptstadt des Etsch- oder botzener Kreises. Die Stadt hat 7200 Einw., ein Kreisamt, ein Gymnasium, ein Handelsgericht, Fabriken und Weinbau. Die vier botzener Messen waren sonst sehr besucht. Meran, die Vaterstadt Hofer's (s.d.), ist eine alte Stadt im Passeyerthale. Hier hatten die im Mittelalter berühmten Herzöge von Meran ihren Sitz. Sie hat jetzt 2000 Einw., ein Fräuleinstift mit einer Mädcheschule, Wein- und Obstbau. Nahe dabei liegen die Trümmer des alten Schlosses Tirol oder Terioli an der Etsch, welches dem ganzen Lande den Namen gegeben hat. Bei demselben befindet sich ein Marmorbruch, aus welchem man einen Stein gewinnt, welcher an Feinheit des Kerns und Weiße den carrarischen Marmor übertrifft. In dem 11/2 M. langen und 1/3 Meile breiten Grödenthale wohnen die Grödner, 3500 an Zahl, welche eine eigenthümliche Mundart sprechen und aus dem Holz der Zirbelnußkiefer saubere Holzschnitzarbeiten verfertigen und Spitzen klöppeln. Sehr besucht ist das Mineralbad Mitterbad bei St.-Pankraz. Im trienter Kreise liegen Trient (s.d.), oder Trento, Worchen (ital. Borgo di Val Saguna) mit 2200 Einw., Kosel (ital. Covolo), ein festes Felsenschloß an der Brenta. Im Fleimserthale wohnen über 12,000 Einw. Verühmt sind die Marmorbrüche bei Pedrazzo. Die Bewohner von Cinte und Castello im Thal Tessino treiben ausgebreiteten Bilderhandel. Der Kreis an den welschen Confinien oder der rovereder Kreis hat zur Hauptstadt Roveredo oder Rovereith an der Etsch mit 16,000 Einw., einem Kreisamte, einem Gymnasium, einem Fräuleinstifte mit einer Mädchenschule, einer öffentlichen Bibliothek, einer litterarischen Gesellschaft, Fabriken und Handel. Besonders bedeutend ist der Seidenbau. In der Nähe ist das sogenannte Steinmeer, eine 670,122 ! R. große mit Steinblöcken besäete Fläche. Riva oder Reif mit 2000 Einw. liegt am Gardasee, treibt ansehnlichen Zwischenhandel zwischen Deutschland und Italien und hat große Fabriken in Maultrommeln. Zu Arco oder Arch mit 2000 Einw. ist ein Nonnenkloster der Servitinnen mit einer Erziehungsanstalt für Mädchen. Zu Ala an der Etsch mit 3700 Einw. und zu Avio an der Etsch mit 2000 Einw. wird starker Seidenbau betrieben. Der Kreis der vorarlbergischen Herrschaften oder bregenzer Kreis hat zur Hauptstadt Bregenz am Bodensee, der Sitz eines geistlichen Generalvicars, mit 2300 Einw., einem Kreisamte, Fabriken, Handel und Schiffahrt. Alpenhütten und hölzerne Häuser werden hier verfertigt und verkauft. Zu Feldkirch, mit 1600 Einw., ist die Collegiatkirche für den Kreis und ein Gymnasium. Dornbirn mit gegen 4000 Einw. hat Fabriken und Handel. Außer dem bereits erwähnten Mitterbade hat T. noch eine große Anzahl besuchter Mineralquellen, als Egart auf der Töll, Rabbi und Pejo im Sulzbergthale, Ratzes bei Botzen, Innichen und Prax im Pusterthale, Reute im Bregenzerwalde u.a.
Unter den keltischen und gallischen Stämmen, welche T. früher bewohnten, sind die Rhätier bekannt. Die Römer wurden unter dem Kaiser Augustus Herren des Landes, welches sich unter ihnen zu einem blühenden Wohlstande erhob. Bei den nachherigen Kämpfen der german. Völkerschaften gegen Rom wurde T. Schauplatz des Kriegs und arg verwüstet. Nach dem Untergange des weström. Kaiserreichs gehörte das Land nacheinander den Gothen, Longobarden, Bojoaren und den Franken. Grafen verwalteten unter diesen das in Gaue getheilte Land, befestigten ihr Ansehen um so mehr, je schwächer die fränk. Könige wurden, und besaßen endlich T. als erbliches Eigenthum Indeß zwangen sie die bair. Herzöge, ihre Oberhoheit anzuerkennen. Als der bair. Herzog, Heinrich der Löwe, in die Acht erklärt wurde, gab Kaiser Friedrich dem Grafen Berthold IV., aus dem Hause Andechs, T. in Lehen. Derselbe residirte in Meran und nahm den Titel eines Herzogs von Meran an. In der Folge gelangten die Grafen von T., deren Stammsitz die Bergfeste Terioli war, zu großem Ansehen. Margaretha Maultasch, die Tochter des Grafen Heinrich, verschrieb ihre Besitzungen in T. 1359 an ihre Vettern, die Herzöge zu Östreich, und so kam T. an das Haus Östreich. Dasselbe kaufte 1369 die Ansprüche, welche Baiern noch an T. erhob, durch Geld ab, und zog 1803 die bis dahin reichsunmittelbaren Gebiete der Bischöfe von Trient und Brixen ein. Der presburger Friede brachte 1805 ganz T. an Baiern, dies mußte aber nachher den südl. Theil an das Königreich Italien und den östl. Theil des Pusterthales an die Provinz Illyrien abgeben. Die Tiroler hingen indeß mit Liebe und Treue am Hause Östreich, und als Östreich noch einmal das Waffenglück gegen Frankreich und dessen Verbündete versuchte, erhoben sich die kräftigen Tiroler unter ihren Anführern Hofer (s.d.), Straub und Speckbacher (s.d.) und jagten Franzosen und Baiern wiederholt aus dem Lande. Selbst als sie von den östr. Truppen in Folge der für Östreich unglücklichen Kriegsereignisse verlassen wurden, leisteten sie noch kräftigen Widerstand, bis ihnen der wiener Friede jede Hoffnung auf Erfolg abschnitt und ihr Anführer Hofer in den Händen des Feindes umgekommen war. Schon 1814 gewann Ostreich T. wieder, theils durch Gewalt der Waffen, theils durch Vertrag mit Baiern. Die Geschichte T.'s ist mehrmals beschrieben worden, namentlich von Hormayr (2 Bde., Tüb. 1806–8) und Seel (3 Bde., Münch. 1818). Vgl. auch Lewald's »Tirol« (2 Bde., Münch. 1835).
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