[543] Urwelt wird im gewöhnlichen Sinne die Zeit des Bestehens der Erde bis zu den großen Fluten genannt welche nach den fast bei allen Völkern aus der frühesten Zeit erhaltenen Mythen, einst über das Festland unsers Planeten hereinbrachen.
Die christliche Vorstellung nennt dieselben Sündflut, und man spricht daher auch von einer vorsündflutlichen oder nach dem Lateinischen antediluvischen Zeit und Schöpfung und deren Überresten. Indessen haben diese Bezeichnungen alle etwas Schwankendes und man braucht daher auch für die Zeit vor dem Anfange der eigentlichen Geschichte den Ausdruck Vorwelt. Erst in neuester Zeit haben Geologie, Geognosie und Petrefactenkunde, d.h. das Studium der versteinerten oder fossilen Überreste der organischen Natur (d.i. von Thieren und Pflanzen) jener urweltlichen Zeit unsere Blicke für die Spuren der großen allgemeinen oder auch theilweisen Umwälzungen geschärft, welche der Erdball bis zu seiner jetzigen Gestaltung erlitten haben mag. In den für die ältesten gehaltenen, mehr im Innern der Erde gelagerten Grund- oder Urgebirgen (Granit, Gneis, Glimmerschiefer, Urthonschiefer, körniger Kalkstein, Porphyr, Quarz u.a.), welche aber auch bei verschiedenen Erdumgestaltungen durch Feuersgewalt emporgehoben wurden und die darüber gelagerten [543] Schichten der Erdrinde durchbrochen haben, kommen keine Versteinerungen, dagegen reichhaltige Erzadern vor. In der zunächst über die Urgebirge gelagerten Hauptschicht, das Übergangsgebirge, vornehmlich aus zertrümmerten Gebirgsarten, aus Grauwacke, dichtem Kalksteine, Übergangsthonschiefer u.a. zusammengesetzt, treten schon, meist indeß nicht häufig, Versteinerungen aus der Thier- und Pflanzenwelt auf. Es sind aber welche von beinahe ausschließend einfachen und unvollkommenen Formen, aus dem Pflanzenreiche z.B. Seetange und Farrnkräuter, von Thieren, Corallen, Crinoïdeen oder wie sie früher genannt wurden, Enkriniten oder Seelilien, deren eine der gewöhnlichsten Arten vorstehend dargestellt ist. Sie wird am häufigsten bei Göttingen, im Braunschweigischen und in England angetroffen und die Glieder der Stengel dieser Schalthiere werden mitunter in großer Menge angehäuft gefunden und sind unter den Namen von Entrochiten, Schrauben- oder Rädersteinen bekannt. Zertheilt man einen solchen Stiel, so stellt sich das Innere der Glieder keineswegs einförmig dar, sondern es zeigen sich Verschiedenheiten, wie die fünf oben mit abgebildeten darstellen. Man nimmt übrigens an, das in diesen Schalen befindlich gewesene Thier habe den obern, weiten Theil bewohnt und mittels des Stieles wie eine Pflanze an dem Boden festgesessen, und hat bisher blos zwei denselben ähnliche und seltene, noch lebende Thierarten aufgefunden. Auch hinsichtlich der fossilen Gliederthiere ergibt sich das in der Bildungsgeschichte der Erde und ihrer Bewohner fast durchgängig vorherrschende Gesetz, daß die Wasserbewohner den Landbewohnern immer vorausgingen. Die merkwürdigen krebsartigen Thiere, von ihrer dreitheiligen Bildung Trilobiten (von Einigen auch Paläaden) genannt, deren hier einige abgebildet sind, treten in dieser Gattung zuerst mit Bestimmtheit auf und werden in zahlreichen Arten schon in den ältesten Übergangsgebirgen, in Europa vorzüglich in Deutschland, England, Frankreich, Schweden und Rußland, ferner in Nordamerika u.a. O. angetroffen, und erst ganz neuerdings will ein engl. Naturforscher in der Südsee, bei den Falklandsinseln, lebendige entdeckt haben. Überreste von Fischen kommen in den Uebergangsgebirgen seltener vor, welche ihrerseits von den Flötz- oder sogenannten secundairen Gebirgen, der dritten Hauptmasse, bedeckt sind, die aus rothem, gelbem, grauem Sandstein, Steinkohlenlagern, Kalkstein mit einer großen Menge und Mannichfaltigkeit von Versteinerungen bestehen, die in den obern Lagen fortwährend zunimmt. Vorherrschend und beinahe durchweg fossile Muscheln und Schalthiere (s. Ammonshörner), von denen manche Schichten besonders ganz angefüllt erscheinen; Fischversteinerungen und merkwürdige fossile Amphibienformen, Schildkröten und riesenförmige eidechsenartige Thiere, Ichthyosauren, Plesiosauren (s. Eidechsen) der Urwelt kommen vor, Säugthierknochen scheinen aber noch nicht beobachtet worden zu sein. Von Pflanzen sind noch baumartige, Farrnpalmen ähnliche Gewächse häufig und andere tropische, doch werden dieselben immer mehr von solchen verdrängt, welche denen gemäßigter Himmelsstriche gleichen. Die höher ausgebildete Form folgt überall der niedern, und je näher man den obern Erdschichten kommt, desto ähnlicher erscheinen die versteinerten Reste der organischen Natur den noch vorhandenen Arten und Geschlechtern. Dies bestätigt vornehmlich die jüngste Erdschicht, die tertiairen und aufgeschwemmten oder Seifengebirge, deren Grund eine große Zerstörung von Bäumen in mächtigen Braunkohlenlagern enthält und die eine Menge von Thierversteinerungen und dabei die vollkommenern Thierformen, Vögel und Säugthiere ausschließlich umfaßt. Bewohner des Meers und des süßen Wassers, meist noch vorhandenen Geschlechtern angehörend, sowie des Festlandes wurden hier begraben; Insekten hat man nur in diesen jüngern und jüngsten Lagern der Erdrinde entdeckt, namentlich in Menge im Bernsteine der Ostseeküsten eingeschlossen; Ameisen und Zweiflügler sind die häufigsten und nicht selten sind sie noch jetzt in Tropenländern vorhandenen ähnlich und zeigen die schönsten Farben. In diese Periode gehören auch die in Felsenhöhlen (z.B. in der Baumanns- und Scharzfelderhöhle des Harzes, in den Gailenreuterhöhlen in Franken) angehäuft gefundenen Knochen von Hyänen, Höhlenbären, von Hirscharten und kleinern Thieren. Besonders charakteristisch ist das Vorkommen des nord. Nashorns und des Mammuth (s.d.), sowie anderer großer Dickhäuter; was von Pflanzen sich zeigt, erscheint mehr und mehr dem in Europa und im nördl. Amerika vorhandenen ähnlich.
In allen Erdtheilen hat man Überreste der organischen Bildungen jener längst vergangenen Zeit gefunden, die wir Urwelt nennen, doch sind dieselben im Vergleich zu Europa noch sehr wenig in dieser Beziehung untersucht, und auch hier werden noch fortwährend urweltliche Thierreste von zum Theil unbekannter Art entdeckt. In Asien hat vorzüglich Sibirien die meisten und merkwürdigsten Denkmale der Urwelt geliefert, zu denen auch jener im Eise erhaltene, schon erwähnte Mammuth und das im gefrorenen Sande am Flusse Wilui gefundene nord. Rhinoceros gehören, beide mit Haut und Haaren und noch genießbarem Fleische. Sonst zeigen sich Versteinerungen dem Forscher in allen Gegenden dieses Erdtheils; versteinerte Fische sind auf dem Libanon, Muschelversteinerungen über 15,000 F. hoch auf dem Himalaja, desgleichen von Fischen in Südafrika in einer Höhe von 5000 F., Pflanzen und Thierversteinerungen in den nordafrik. Wüsten beobachtet worden, wo große, von den Ägyptern zum Bau ihrer Pyramiden benutzte Lager von Nummuliten, deren Versteinerungen große Ähnlichkeit mit Linsen haben, den griech. Geschichtschreiber und Geographen Strabo verleiteten, dieselben für die versteinerten Reste der Mahlzeiten der beim Pyramidenbau thätig gewesenen Arbeiter zu halten. An solchen irrigen und weit abenteuerlichern Betrachtungen hat es übrigens auch der neuern Zeit über[544] dergleichen Gegenstände nicht gefehlt. Knochen großer, urweltlicher Säugthiere wurden für die riesenhafter Menschen oder von Engeln und Heiligen ausgegeben, und Voltaire wollte beweisen, die versteinerten Muscheln wären von ehemaligen Pilgern an den Landstraßen zurückgelassen und verloren worden. Sehr viele fossile Reste hat man in Nord- und Südamerika in den verschiedensten Regionen aufgefunden, und z.B. auf den Cordilleren mehr als 13,000 F. über dem Meere Überbleibsel von Seethieren entdeckt. Die Reste des Ohiothiers (Mastodon) kommen vornehmlich am Ohioflusse vor (s. Mammuth); in Brasilien ward ein Riesenfaulthier (Megatherium australe) gefunden, das 12 F. lang und 6 F. hoch war und in seiner muthmaßlich ergänzten Gestalt hier dargestellt ist. Ein berühmtes Skelett davon wird in Madrid aufbewahrt und diese einst über den größern Theil von Amerika verbreitete Thierart war vermuthlich mit einem Panzer wie die Gürtelthiere bekleidet. Von Walfischen muthmaßlich sind in Nordamerika so ungeheure Knochen gefunden worden, daß das ganze Thier eine Länge von 250 F. besessen haben muß. Auch in Australien hat man schon Versteinerungen und vorweltliche Knochenreste gefunden, die reichste Ausbeute von dergleichen hat aber das den Forschungen am bequemsten gelegene Europa geliefert. Schalthierreste erscheinen mitunter zu Bergen aufgehäuft, oder bilden, wie im Muschelkalk einiger Gegenden, dicke Lagen; im Grobkalke von Paris hat man allein über 1300 Arten fossiler Thiere, meist Schalthiere, gefunden. Ausschließlich der vorweltlichen Schöpfung gehören die Weichthiere mit vielkammerigen Gehäusen an, wie Ammoniten (Ammonshörner), von denen allein mehre hundert Arten bekannt sind, Hamiten, Orbuliten und andere, welche unter den bekannten lebenden Geschöpfen mit dem nur im ind. Ocean vorkommenden Nautilus viele Ähnlichkeit besitzen, der aber auch fossil in den nördl. Ländern Europas gefunden ist. An Fischversteinerungen überaus reich ist der Monte Bolca bei Verona, aber außer andern Orten sind dergleichen auch in Deutschland bei Mansfeld, Solenhofen, Öningen, Eichstädt, Steinheim beobachtet worden, darunter viele nicht bekannte Geschlechter und Arten und zahlreiche Zähne von Haifischen, welche auf eine riesenhafte Größe der ehemaligen Thiere schließen lassen. Sehr häufig sind Überreste von schildkrötenartigen Amphibien in Mittel- und Südeuropa; eidechsenartige Thiere von ungeheurem Umfange (50–100 F. lang) und den seltsamsten Bildungen, wie das zum Fluge ausgestattete Geschlecht Ornithocephalus. Arten des jetzt blos in Afrika, Südasien und Amerika lebenden Krokodils hat man in verschiedenen Gegenden von Deutschland, England, Frankreich gefunden. Ebenso finden sich in unserm Erdtheile an vielen Orten die Überbleibsel der riesenhaften pflanzenfressenden Thiere der Vorwelt, des Mammuth, der Mastodonten, vom Riesentapir oder nach Andern einem Dinotherium, von Nilpferden und ausgestorbenen Arten des Rhinoceros. Von mehren für vorweltlich geltenden Hirscharten ist besonders eine merkwürdig große, deren schaufelförmige Geweihe von 7–12 F. lang sind, in Frankreich, Italien, Deutschland, am häufigsten aber in Irland gefunden, von Manchem jedoch für kein vorweltliches Thier anerkannt, sondern für den Schelk oder Schelch der alten Deutschen erklärt worden, der unter Anderm auch im Nibelungenliede erwähnt wird.
Überreste von Vögeln sind überhaupt nicht häufig und man hat bisher blos eine riesenhaft große Art aus der Vorwelt, einen Raubvogel (Gryphus antquitatis) beobachtet. Die in den Eismassen der nordamerik. und nordasiat. Küsten von ihm gefundenen Federkiele waren so weit, daß man mit der ganzen Hand hineinfahren konnte; der Kopf maß 21/4 F. und man schätzt die Größe des Vogels mit ausgespannten Flügeln auf 40 F. Was sonst von Überresten [545] von Vögeln vorkommt, sind meist vereinzelte Knochen von Sumpf-und Wasservögeln, selten von Raubvögeln, Singvögeln, Tauben, Hühnern, die man blos in den jüngsten Erdschichten antrifft. Von Vierhändern oder Affen will man erst in der neuesten Zeit in Ostindien, Frankreich und England in tertiairen Bildungen Knochen gefunden haben; von Menschen gibt es keine vorweltlichen Überreste. Die in früherer Zeit für dergleichen gehaltenen Knochen haben sich der bessern Kenntniß immer als Thierknochen ausgewiesen. Urweltliche Vogeleier sind vor einem Jahrzehnt in der Auvergne gefunden worden. Neben fossilen Knochen urweltlicher Hyänen hat man den Koth dieser Thiere entdeckt und ihm den Namen Coprolithes gegeben. Nicht minder müssen die hin und wieder (z.B. in den hoßberger Sandsteinbrüchen bei der Stadt Hildburghausen) entdeckten Fußtritte mehrer Thierarten der Urwelt hier erwähnt werden. Auf dieser herrschte jedenfalls früher eine gleichmäßigere, jener der jetzigen heißen Zone ähnliche Temperatur, und da dies auch in den jetzt gemäßigten und nördl. Himmelsstrichen der Fall war, konnten Pflanzen und Thiere einer Art eine allgemeine Verbreitung finden. In der That finden sich dieselben fossilen Pflanzen in den Steinkohlenlagern von Amerika und Europa, sowie in Neuholland und Indien vor, und Mammuth und andere Thierarten unter allen Himmelsstrichen. So lehren uns denn die Forschungen in jenen Trümmern einen Theil der zu verschiedener Zeit bei großen Umgestaltungen der Erde vernichteten organischen Bildungen kennen und erlauben uns, daraus auf die frühern Zustände unsers Planeten zu schließen. Im Vergleich mit den gegenwärtig vorhandenen gab es in der Urzeit weit weniger Arten und Geschlechter in der organischen Schöpfung, es kommen jedoch aus allen größern Abtheilungen derselben Überreste vor. Der Zahl nach sind von fossilen Pflanzen wenige hundert beschrieben, während man über 60,000 lebende, sowie 80,000 Thierarten zählt, von fossilen aber nur etwa 5000 kennt. Sind unter den vorweltlichen Organismen viele, zu denen wir keine ähnlichen unter den vorhandenen kennen, so tritt dagegen auch nicht minder der umgekehrte Fall ein und vor Allem fehlt der Urwelt das vollkommenste Geschöpf, der Mensch. Indessen mögen auch manche als urweltlich betrachtete Thiere jene Erdumwälzungen überstanden und erst innerhalb unserer jetzigen Periode durch die Ausbreitung des Menschengeschlechts ausgerottet worden sein, wie vielleicht der Riesenhirsch oder vermuthliche Schelk, und der Dronte; andere sehen wir ja selbst diesem Geschick entgegengehen, wie z.B. die Auerochsen (s.d.). Fragen wir nun noch, wie es mit der Bestimmung der urweltlichen Thiere und Pflanzen gehalten werde, da ja von Manchen nur Bruchstücke entdeckt worden sind, so kann zwar nicht bezweifelt werden, daß mancher Irrthum dabei unterlaufen mag. Allein andererseits sind es die von der vergleichenden Anatomie erforschten Gesetze, nach denen sich die Glieder jedes organischen Körpers wechselseitig nach Bildung und Umfang bedingen, welche bei gehöriger Einsicht und Anwendung zur Richtschnur dienen und es möglich machen, z.B. aus einem größern Knochenbruchstücke die übrigen Bestandtheile des Skeletts nach jenen Gesetzen zu ergänzen. Endlich gesellen sich dazu neuerdings noch die mikroskopischen Untersuchungen, und es ist schon behauptet worden, daß aus der mikroskopisch betrachteten Bildung eines Zahnsplitters in vielen Fällen Familie und Gattung des Thiers festgestellt werden könne, dem es angehörte.
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