Photochemie [1]

[109] Photochemie, die Lehre von den chemischen Wirkungen des Lichts, entwickelte sich Hand in Hand mit der physikalischen Chemie, nahm aber erst einen erheblichen Aufschwung, als eine neue Technik, die Photographie und zahlreiche andre mit derselben in Verbindung stehende Verfahren, aus derselben erwuchsen.

Licht ist eine Wellenbewegung des Aethers, eine besondere Form von strahlender Energie, zu welcher auch Strahlen elektrischer Energie, Wärmestrahlen u.s.w. gerechnet werden. – Da Licht eine Art von Energie ist, so gilt für dasselbe auch der Satz von der Erhaltung der Energie, »daß die Energie sich zwar der Form nach, nicht aber der Menge nach verändern kann«. Die Lichtenergie kann also in andre Formen von Energie übergeführt werden, z.B. beim Bestrahlen von Ruß in Wärme, wobei Licht absorbiert wird. – Mitunter kann aber Licht auch chemische Prozesse beeinflussen, wobei gleichfalls Licht absorbiert und zur Auslösung, Beschleunigung oder Durchführung eines chemischen Prozesses verbraucht wird.

Die thermische und photochemische Wirkung des Lichts läuft nebeneinander und kann auseinander gehalten werden, z.B. wird Fehlingsche Lösung (Alkalikupfertartratlösung) vom Spektrum so beeinflußt, daß chemische Reduktion zu Kupferoxydul im ultravioletten Teile herbeigeführt wird, im roten aber Wärmewirkung. Dagegen wird Cyanin, ein lichtunechter blauer Chinolinfarbstoff, im roten und gelben Teil des Spektrums, wo er Licht absorbiert, energisch gebleicht, und es fällt thermische Absorption und photochemische Wirkung auf denselben Spektralbezirk.

Die Absorption des Lichtes und Umwandlung in andre Energieformen hängt also von der Wellenlänge des Lichtes ab. – Das Licht kann nur dann auf einen Körper wirken, wenn es von demselben absorbiert wird. Das gab zuerst Th. v. Grotthus an und bewies Draper für Silbersalze 1841, J. Herschel für im Licht bleichende Blumenblätter. Diese sind daher empfindlich für farbige Strahlen, welche ihrer Eigenfarbe komplementär sind, denn sie werden eben von den farbigen Blüten absorbiert. – H.W. Vogel wies nach, daß nicht nur die Absorption der lichtempfindlichen Stoffe selbst, sondern auch die Absorption beigemengter Stoffe, namentlich Farbstoffe, eine wichtige Rolle spielt. Bromsilber, sonst nur empfindlich für Blau und Violett sowie Ultraviolett, wenig für Grün, Gelb und Rot, wird für diese Strahlen durch Färbung mit Rot, Gelb und Grün absorbierenden Farbstoffen empfindlich. So gelingt es jetzt, Bromsilber (auch Chlorsilber) für jede beliebige, sonst auf Bromsilber unwirksame Farbe empfindlich zu machen. Darauf beruht die orthochromatische Photographie (Orthochromasie, s.d.). Auch bei andern lichtempfindlichen Körpern spielt das Vogelsche Prinzip eine Rolle.

Bei den meisten photographischen Prozessen wirkt das Licht beschleunigend auf solche chemische Reaktionen, welche auch ohne Lichtwirkung von selbst allerdings in viel längerer Zeit eintreten (z.B. bei Chromatgelatine, Ferrioxalat). Ostwald vergleicht diese Art der Lichtwirkung mit der Katalyse, bei welcher die Geschwindigkeit einer Reaktion durch Gegenwart eines Stoffes, welcher sich selbst an der Reaktion nicht beteiligt, beeinflußt (erhöht) wird.

Das für die sichtbaren optisch hellen Strahlen erwiesene Gesetz der Abnahme der Lichtintensität mit dem Quadrate der Entfernung der Lichtquelle gilt auch für die chemisch wirksamen Strahlen. Dieser Satz ist von Bunsen und Roscoe für das Chlorknallgasphotometer und neuerdings von Eder auch für Bromsilbergelatine experimentell nachgewiesen worden; auch für die Zersetzung der Kohlensäure durch grüne Pflanzen unter dem Einflusse des Lichtes ist das »Entfernungsgesetz« annähernd gültig befunden worden (Wolkow und v. Tieghem). – Wenn also beispielsweise eine bestimmte Fläche bei senkrechtem Lichteinfalle von einer Lichtquelle um den fünffachen Abstand entfernt ist, so wirkt das Licht nur mehr mit dem 25. Teil seiner ursprünglichen Intensität darauf ein. Bei photographischen Prozessen wird man in letzterem Falle 25 mal länger belichten müssen, um annähernd denselben photographischen Effekt zu erzielen; jedoch finden Abweichungen von dieser einfachen Regel (Reziprozitätsregel) statt; wenn auch die chemisch wirksamen Lichtstrahlen dem Entfernungsgesetze gehorchen und ihre Intensität mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, so bleibt der chemische Effekt der relativ wenig hellen Strahlen häufig merklich hinter jenem Effekt zurück, welchen man proportional der abnehmenden Lichtintensität erwarten würde.

Fast alle Stoffe scheinen mehr oder weniger lichtempfindlich zu sein, teils für sich, teils in Berührung mit andern (s.a. Sensibilisatoren). Selbst das Glas ist in hohem Grade lichtempfindlich, am stärksten manganhaltige Gläser, welche im Licht (ebenso unter dem Einfluß der Radiumstrahlen) violett werden. – In zahlreichen Fällen bringt das Licht eine dem Auge unmittelbar wahrnehmbare chemische Veränderung hervor (Schwärzung von Silbersalzen, Bräunung von Bichromaten auf Papier im Lichte u.s.w.), was man dann direkte Lichtwirkung nennt; die auf diese Weise entstehenden photographischen Bilder nennt man direkte Lichtbilder (direktes photographisches Kopierverfahren). Die hierbei auftretende sichtbare Veränderung der lichtempfindlichen Substanz ist durch die chemische Analyse quantitativ zu bestimmen (Uebergang von weißem Chlorsilber in dunkles Silbersubchlorid, Reduktion der Chromate zu braunem Chromdioxyd u.s.w.). – Gewisse Silberverbindungen (AgJ, AgBr, AgCl) und Quecksilberverbindungen verändern sich bei sehr kurzer Belichtung in keinerlei direkt sichtbarer Weise, trotzdem sie minimal chemisch oder physikalisch verändert wurden. Diese Lichtwirkungen sind so gering, daß sie durch die quantitative chemische Analyse nicht nachgewiesen werden können; es ist aber ein verborgenes Lichtbild (latentes Lichtbild) vorhanden, welches sich insbesondere durch erhöhte Reduzierbarkeit der belichteten Silberverbindung gegen Reduktionsmittel äußert. Diese Reduktionsmittel (Eisensalz, Pyrogallol, Hydrochinon u.s.w.) müssen so gewählt werden, daß sie das unbelichtete Silbersalz nicht, dagegen das belichtete stark zu metallischem Silber reduzieren; dann wild das latente Lichtbild[109] deutlich sichtbar werden (»hervorgerufen« oder »entwickelt«). Die »Entwicklung« der latenten Lichtbilder kann auch durch Einwirkung von Dämpfen erfolgen, welche sich auf die belichteten Stellen stärker kondensieren als auf die nicht belichteten, worauf das Prinzip der Daguerreotypie (Entwicklung mit Quecksilberdampf) beruht. Die Entwicklungsvorgänge sind für die angewandte Photographie von höchster Wichtigkeit.

Das Licht kann verschiedene Arten von chemischen Reaktionen beeinflussen. – Es kann allotropische Aenderungen verursachen, z.B. bleibende Modifikationsänderung von gelbem in roten Phosphor, von Schwefel, Selen, Sauerstoff u.a. – Die elektrische Leitfähigkeit des Selens wird beim Belichten erhöht. Dies spielt eine große Rolle in der Lichttelegraphie. Nur gewisse Modifikationen des Selens sind lichtempfindlich. Hört die Belichtung auf, so wird der alte große Leitwiderstand von selbst wiederhergestellt. Es tritt wahrscheinlich temporäre Dissoziation oder Ionisierung der Selenmolekel auf. – Während beim Belichten des Selens sehr verwickelte, zum Teil noch nicht ganz sichergestellte Vorgänge auftreten, liegt dies beim Sauerstoff einfacher. – Ozon entsteht aus Sauerstoff nicht nur durch elektrische Entladung, sondern auch durch ultraviolettes Licht, wobei ein gewisser Gleichgewichtszustand zwischen O2 und O3 eintritt. – Wird feuchte atmosphärische Luft von ultraviolettem Sonnenlicht durchstrahlt, so bilden sich Ozon und sogenannte Nebelkerne, indem wahrscheinlich freie Gasionen entstehen, welche zur Erklärung der meteorologischen Nebelbildung wichtig geworden sind. Hierbei wird der Energieinhalt des Sauerstoffes vergrößert und dabei die Anzahl der Atome im Moleküle von zwei auf drei vermehrt, es findet also gewissermaßen eine Polymerisation statt. Die Photopolymerisation ist namentlich für die organische Chemie wichtig geworden, so z.B. werden Zimtsäure, Styrol, viele Kohlenwasserstoffe im Licht polymerisiert, eine Lösung von Anthracen in Anisol (Siedepunkt 152° C), trübt sich am Lichte unter Ausscheidung von unlöslichem Dianthracen:


Photochemie [1]

Es tritt allmählich ein Gleichgewichtszustand ein, den Luther genau untersuchte. Nach dem Aufhören der Belichtung bildet sich allmählich wieder Anthracen zurück. Das hierbei sich einstellende photochemische Gleichgewicht ist verschieden von den Dunkelgleichgewichten. – Damit Dunkelgleichgewicht unverändert bestehen bleibt, ist kein dauernder Aufwand an Energie erforderlich, vorausgesetzt, daß alle Energieverluste nach außen vermieden sind. Anders ist es bei den photochemischen Gleichgewichten. Hier muß dauernd Licht zustrahlen, damit der Zustand keine Aenderung erleidet. Sobald wir den Lichtzutritt hemmen, kehrt unser Gemenge allmählich unaufhaltbar wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Die Aufrechthaltung eines derartigen Dauerzustandes ist also kausal mit einem dauernden Verbrauch der einstrahlenden Lichtenergie verknüpft.

Als Photoisomerisation gibt Ciamician die Umwandlung des Nitrobenzaldehydes in Nitrosobenzoesäure an:


Photochemie [1]

Solche Photoisomerisationen sind in größerer Zahl durch die Untersuchungen von Ciamician und Silber u.a. bekanntgemacht worden.

Das Licht bewirkt häufig Reduktion und Oxydation. Kaliumbichromat auf Papier oder gemischt mit Leim gibt beim Belichten Chromdioxyd, indem die Tendenz herrscht, daß Chromsäure zu Chromdioxyd oder Chromichromat reduziert wird (K2Cr2O7 = K2CrO4 + CrO2 + O), welches braun ist und Gelatine gerbt, jedoch beim Waschen mit Wasser allmählich Chromsäure abgibt und basische Chromichromate bildet. Dieser Prozeß geht auch im Finstern vor sich, braucht aber monate- oder wochenlang. – Das Licht beschleunigt den Prozeß gleichsam als Katalysator.

Viele photochemische Reaktionen sind Ionenreaktionen; z.B. die Zersetzung von wässeriger Jodwasserstoffsäure, Chlorwasser u.s.w. am Lichte. Chlorwasser gibt im Lichte Salzsäure und Sauerstoff als Hauptzersetzungsprodukte:


Photochemie [1]

oder, als Ionengleichung geschrieben,


Photochemie [1]

Es findet also unter dem Einflusse des Lichtes eine Uebertragung der elektrischen Ladungen in elektrolytisch dissoziierten Körpern statt. – Auch die große Lichtempfindlichkeit der Gemische von Ferri- oder Merkurisalzen mit Oxalsäure gehört hierher. Gemische konzentrierter Lösungen von Quecksilberchlorid und Oxalsäure geben belichtet Ausscheidungen von Quecksilberchlorür, während die Oxalsäure zu Kohlensäure oxydiert wird. Die Lichtempfindlichkeit der Ferrioxalate, welche in der Lichtpauserei (s. Lichtpausen) und im Platindruck (s.d.) eine, so große Rolle spielt, zählt gleichfalls zu dieser Art. – Das Licht beschleunigt ferner in vielen Fällen die Oxydation von Fetten, Harzen, ätherischen Oelen, unedeln Metallen u.s.w. Der Sauerstoff wird bei Gegenwart gewisser fremder Substanzen »aktiv«, d.h. reaktionsfähiger und erhält stärker oxydierende Eigenschaften. – Die gesteigerte oxydierende Wirkung des Sauerstoffs unter dem Einfluß des Lichtes ist in vielen Fällen nachweislich an die Gegenwart von Wasser gebunden; z.B. geben Aether und Wasser bei Gegenwart von Sauerstoff reichlich Wasserstoffsuperoxyd, ja sogar reines Wasser, das mit etwas Schwefelsäure angesäuert ist, bildet bei Gegenwart von Luft im Sonnenlichte etwas Wasserstoffsuperoxyd (Richardson). Es scheint also die Bildung von Wasserstoffsuperoxyd bei photochemischen[110] Oxydationsprozessen als primäre oder sekundäre Sauerstoffübertragung eine Rolle zu spielen, wie z.B. die Photooxydationen bei der Desinfektion offener Gewässer durch das im Lichte gebildete Wasserstoffsuperoxyd.

Bemerkenswert ist auch die Oxydation der Leukobasen von Farbstoffen (Groß, König) durch Belichtung: wird wässerige Rhodaminlösung mit Essigsäure und Zinkstaub zur farblosen Leukobase reduziert, mit Aether ausgeschüttelt, die ätherische Lösung mit Kollodium gemischt und auf Papier aufgetragen und dieses nun elektrischem Bogenlicht ausgesetzt, so wird die farblose Leukobase rasch gerötet. Es wirkt komplementäres Licht. Es ist bemerkenswert, daß bei der ältesten photochemischen Reaktion, die man in der Geschichte kennt, nämlich bei der Entstehung des Purpurfarbstoffes aus dem gelblichen Safte der Purpurschnecke, das Licht eine ähnliche Rolle spielt, indem die Bildung des Purpurfarbstoffes durch Licht begünstigt wird.

Der Asphalt wird in dünnen Schichten durch Oxydation im Lichte so verändert, daß er seine Löslichkeit in Terpentinöl verliert (Verwendung in der Photozinkotypie und der Photolithographie, s. Asphaltphotographie).

Holzschliff bräunt sich im Lichte; man kann so Photographien auf Holzschliffdeckel oder ordinärem Schreibpapier herstellen (braun auf hellem Grund); hierbei wirkt violettes und ultraviolettes Licht besonders stark.

Eine 2 prozentige Jodoform-Chloroformlösung (Hardy & Willcocksche Lösung) scheidet bei Sauerstoffzutritt Jod im Lichte aus; dieselbe reagiert ganz analog gegen Licht-, Wärme-, Röntgen- und Becquerelstrahlen. Diese Reaktion wird von Leopold Freund in Wien als chemisches Maß für die Intensität der Röntgenbestrahlung in der Röntgentherapie benutzt. Bei diesem Prozesse bewirkt die Photooxydation Dunkelfärbung; viel häufiger aber als diese und die Restituierung von Farben (s. oben, Leukobasen) sind Ausbleichphänomene (bei lichtunechten Farbstoffen, die zu sogenannten Ausbleichbildern [Neuhauß, Szczepanik, Worel] photographisch verwendet werden können). Photochromien auf Silberchlorid (Papierbilder) entstehen nach dem Prinzip des Ausbleichverfahrens (Wiener), während Lippmanns Photochromie durch Interferenzerscheinungen (Scheinfarben) zustande kommt; s. Photographie.

Gehen wir nun zum bekannten photographischen Prozeß über, und zwar zum photochemischen Schwärzungsprozeß des Chlorsilbers, wobei sich Silbersubchlorid und im weiteren Verlaufe sogar metallisches Silber bildet. Derselbe ist eine photochemische Spaltung, wobei das Licht in diesem Falle den Molekularkräften entgegenwirkt:


Photochemie [1]

Wärme allein kann diesen Prozeß nicht herbeiführen. Die Abspaltung von Chlor aus Chlorsilber wird experimentell mit elektrischem Bogenlicht durchgeführt und mittels Jodkaliumstärkepapier nachgewiesen. In ein größeres Pulverglas wird feuchtes Chlorsilber hineingebracht und zwischen Stöpsel und Hals des Pulverglases ein in das Innere des Gefäßes tauchendes Jodkaliumstärkepapier befestigt. Belichtet man mit elektrischem Licht, so färbt sich das Jodkaliumstärkepapier in kurzer Zeit durch das frei werdende Chlor blau. Feuchtes Chlorsilber schwärzt sich rascher als trockenes, weil Wasser als Sensibilisator wirkt. Setzt man das Chlorsilber in geschlossenen Röhren dem Lichte aus, so wird sich Chlor im Rohr anhäufen. Sobald ein gewisser Druck erreicht ist, schreitet der Schwärzungsprozeß nicht weiter fort (Gleichgewichtszustand, der vom Druck des Chlors und der Intensität des Lichtes abhängt). Würde man das frei werdende Chlor entfernen, so würde die Schwärzung im Lichte befördert werden. Schließt man Chlorsilber mit Chlorgas in Röhren ein, so vermag schwaches Licht beim Atmosphärendruck nicht zu schwärzen, wohl aber Sonnenlicht, wenn auch schwach; hört die kräftige Belichtung auf, so wird das Chlorsilber wieder weiß.

Bromsilber ist in verschiedenen Modifikationen verschieden empfindlich. Aeußerst lichtempfindlich sind Verbindungen des an und für sich hochempfindlichen körnigen Bromsilbers mit Gelatine bei nachfolgender Hervorrufung. In der Bromsilbergelatine haben wir ein empfindliches Reagens auf Lichtenergie (0–02 S.M.K.). Es schwärzt sich nicht so intensiv im Lichte als Chlorsilber, aber es ergibt bei kurzer Belichtung ein sogenanntes latentes Lichtbild; man sagt, das Bromsilber wird »aktiv« gegen Entwickler. Die Natur des durch Licht »aktiv« gewordenen Bromsilbers oder des latenten Bromsilberbildes ist schwer zu erforschen, weil Bromsilber auf mannigfache Reize ganz ebenso wie gegen Licht reagiert (Analogie mit Jodoform), z.B. auf stille elektrische Entladungen, auf mechanischen Druck, auf Berührung mit Hölzern, Metallen (Photechie). Die Schwärzung durch Holz soll mit der Oxydation von Harz oder ätherischen Oelen und Okklusion des hierbei entstehenden Wasserstoffsuperoxyds (Russell) zusammenhängen, welch letzteres selbst in Verdünnung von weit unter einem milliontel Prozent das Bromsilber gegen Entwickler aktiv macht, bezw. von Ozon herrühren, das sich unter gewissen Umständen im Lichte bildet (Blaas & Czermak). Jedoch ist es nicht ausgeschlossen, daß, wie andre Forscher annehmen, eine Art von Strahlung vorliegt. Es gibt also viele Reize, auf welche die Bromsilbergelatine durch gesteigerte Reduzierbarkeit in sogenannten photographischen Entwicklern (starken Reduktionsmitteln) reagiert. Im normalen photographischen latenten Lichtbild nimmt man mit großer Wahrscheinlichkeit die Entstehung eines Subbromids des Silbers an, d.h. die chemische Veränderung des Bromsilbers durch Abspaltung kleiner Mengen Brom. Ein einfaches Fundamentalexperiment ermöglicht den Nachweis, daß Bromsilber im latenten Lichtbilde eine chemische Veränderung erlitten hat. Während unverändertes Bromsilber glattweg von Fixiernatron (Natriumthiosulfat) gelöst (fixiert) wird und kein entwicklungsfähiger Rest zurückbleibt, widersteht das latente Lichtbild dem Fixieren. Man kann bekanntlich eine Bromsilberplatte belichten, dann fixieren, wonach eine glasblanke Schicht ohne sichtbare Bildspur zurückbleibt, und dann mit Metol-Silbernitrat-Zitronensäurelösung entwickeln. Es ist also die Bildsubstanz, das latente Lichtbild, ein chemisch verändertes Bromsilber. Wahrscheinlich ist es Silbersubbromid,[111] weil es der Einwirkung von Salpetersäure viel besser als Silbermetall widersteht, vielleicht aber auch eine feste Lösung von Silber in Bromsilber. Bromsilber ist hauptsächlich für blaue, violette und ultraviolette Strahlen empfindlich. Gewisse Farbstoffe sensibilisieren das Bromsilber für Rot, Gelb und Grün. Man faßt die Wirkung der Farbensensibilisierung als optische Resonanzerscheinung auf, die sich vom Lichte auf den absorbierenden Farbstoff und von diesem auf das Bromsilber überträgt. Farbstoffe, welche das Bromsilber vermöge ihrer ausgedehnten Lichtabsorption annähernd für das ganze sichtbare Spektrum sensibilisieren, benutzt man zur Herstellung panchromatischer Platten, z.B. Isocyanine (Aethylrot von Miethe, Pinachrom und Pinacyanol von König). Solche Platten haben für die orthochromatische Photographie und den Dreifarbendruck enorme Bedeutung erlangt.

Wir wollen nunmehr einige Schlußfolgerungen aus den gegenwärtig erforschten Gebieten der Photochemie ziehen: Bei den photochemischen Prozessen gibt es ebenso wie bei andern chemischen Vorgängen vollständige und unvollständige und umkehrbare Reaktionen, Isomerisation und Polymerisation. Die Reaktionen folgen in der Regel den Gesetzen der chemischen Massenwirkung. Es vermag Licht jeder Strahlenart chemische Reaktionen zu beeinflussen, je nach der Beschaffenheit des belichteten Körpers. Photochemische Prozesse können ebenso wie andre chemische Reaktionen endotherm, unter Bindung von Wärme, oder exotherm, unter Freiwerden von Wärme, erfolgen. Die wichtigste endotherme Lichtreaktion ist der Assimilationsprozeß der Kohlensäure der Luft durch die Pflanzen, wobei dieselbe in Kohlenstoff und Sauerstoff gespalten wird. Die strahlende Energie des Sonnenlichtes wird dadurch in den Pflanzen bei ihrem Wachstum aufgespeichert und beim Verbrennen, z.B. des Holzes, als Wärme wieder abgegeben. Auch die Schwärzung des Chlorsilbers im Lichte ist endotherm, d.h. die Lichtenergie leistet chemische Arbeit und speichert gebundene Energie im geschwärzten Chlorsilber an. Dagegen verläuft die Vereinigung des Chlorgases mit Wasserstoff im Lichte exotherm, indem 22000 Kalorien hierbei frei werden, was zu explosionsartigen Erscheinungen führt. Trotzdem man Lichtenergie zugeführt hat und ein Teil davon zur Durchführung des Prozesses verbraucht wurde, ist der Energieinhalt der gebildeten Salzsäure schließlich kleiner als jener der einzelnen Bestandteile zu Beginn des Prozesses. Häufig wirkt Licht bei chemischen Prozessen ähnlich wie Wärme, jedoch ist in den meisten Fällen der detaillierte Verlauf der Lichtreaktionen (der Mechanismus der Reaktion) anders als im Dunkeln. Die Reaktionsgeschwindigkeit, die chemischen Gleichgewichte werden in der Regel beim Belichten verschoben. Das Licht erzwingt in zahlreichen Fällen mit Leichtigkeit diverse chemische Prozesse, welche sich bei Lichtausschluß nicht oder nur schwierig durchführen lassen.

Die Photochemie, die Lehre von den chemischen Wirkungen des Lichtes, ist nicht nur durch die Photographie und die photomechanischen Reproduktionsverfahren von hoher volkswirtschaftlicher und kultureller Bedeutung geworden, sondern durch die chemischen Wirkungen des Lichtes werden uns auch in der organischen Natur unerschöpfliche Quellen der Energiezufuhr erschlossen, welche vom Weltenraume zur Erde gelangen.


Literatur: [1] Eder, Photochemie, 3. Aufl., Halle 1906. – [2] Eder-Valenta, Beiträge zur Photochemie und Spektralanalyse, Wien und Halle 1904. – [3] Vogel, H.W., Photographie farbiger Gegenstände, Berlin 1885. – [4] Vogel-König, Handbuch der Photographie, Bd. 1, 5. Aufl., Berlin 1907. – [5] Eder, Die chemischen Wirkungen des farbigen Lichtes, Wien 1879. – [6] Namias, Theoretisch-praktisches Handbuch der photographischen Chemie, Bd. 1, Halle 1907. – [7] Schaum, Photochemie und Photographie, 1. Teil, Leipzig 1908. – [8] Lüppo-Cramer, Wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiete der Photographie, Halle 1902. – [9] Lüppo-Cramer, Photographische Probleme, Halle 1907. – [10] Luther, Die chemischen Vorgänge in der Photographie, Halle 1899. – [11] Valenta, Photographische Chemie, 1. und 2. Teil, Halle 1898/99.

J.M. Eder.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 109-112.
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