Alexandria [4]

[303] Alexandria (Alexandreia), eine von Alexander d. Gr. 331 v. Chr. an Stelle des ägyptischen Hafenortes Rakote gegründete und nach ihm benannte Stadt an der Küste von Unterägypten, jahrhundertelang eine der glänzendsten Großstädte des Altertums und als Pflegerin der Wissenschaften berühmt. Sie nahm den sandigen Streifen zwischen dem Meer und dem Strandsee Mareotis ein und war vom Baumeister Deinokrates angelegt.

Plan des alten Alexandria.
Plan des alten Alexandria.

Ihr Umfang betrug an 16 km. Die vorliegende Insel Pharos war mit dem Festlande durch einen mächtigen, 7 Stadien (1290 m) langen Damm (Heptastadion) verbunden, welcher den Hafen in eine westliche (Eunostos) und eine östliche Hälfte (den sogen. Großen Hafen mit dem abgetrennten Königlichen Hafen und der Insel Antirrhodos) teilte. Diese Häfen sind noch die der jetzigen Stadt A.; das tief und fest begründete Heptastadion ist durch die vom Meer angeschwemmten Gerölle zu einer etwa 600 m breiten Landzunge geworden, die Kanäle aber, welche die Häfen ehedem verbanden, sind längst angefüllt. Auf der Ostspitze der Insel Pharos erhob sich, von Sostratos unter Ptolemäos I. und II. im 3. Jahrh. v. Chr. erbaut, der berühmte, 160 m hohe Leuchtturm, dessen Licht auf 300 Stadien (50–60 km) den Schiffen sichtbar war (vgl. Adler, Der Pharos von A., Berl. 1901). Das prächtigste Quartier der Stadt war das sogen. Brucheion oder Basileia, das den Großen Hafen von A. einschloß und alle zur königlichen Residenz gehörigen[303] Bauwerke umfaßte. Hier stand das weltberühmte Museion, der Brennpunkt des geistigen Lebens für mehrere Jahrhunderte, mit der großen, angeblich 700,000 Rollen starken Bibliothek (vgl. Alexandrinische Schule); weiter nordöstlich das Kaisareion und davor die sogen. Nadeln der Kleopatra, zwei schlanke Obelisken aus dem 16. Jahrh. v. Chr., von denen der eine seit 1878 in London, der andre seit 1880 in New York sich befindet. Weiter folgten der Poseidontempel, das Theater, die Palästra und die den Großen Hafen im O. begrenzende Halbinsel Lochias, die als Akropolis diente, mit einem königlichen Palast, dem Artemistempel und dem Arsenal. Im S. des Brucheions stand das prunkvolle Gymnasion und ostwärts davon, vor dem Kanopostor, der große Hippodrom. Im SW. der Stadt lag das Serapeion, nächst dem Kapitol in Rom das prachtvollste Gebäude seiner Art in der damals bekannten Welt (mit einer zweiten wertvollen Bibliothek von 300,000 Rollen), in dessen weiten Räumen zu Anfang des 4. Jahrh. n. Chr. ein römischer Präfekt, Pompejus, zu Ehren des Kaisers Diokletian eine imposante Säule errichtete, die noch heute, Pompejussäule benannt, mitten unter Schutthügeln aufrecht steht, ein riesenhafter Monolith aus rotem Granit von 20 m Höhe und 2,5 m Durchmesser. Sie gehört zur korinthischen Ordnung und erreicht mit Fußgestell und Knauf eine Gesamthöhe von fast 32 m. Den Mittelpunkt der gesamten Stadt bildete der ungeheure Platz, auf dem sich die beiden über 30 m breiten Hauptstraßen Alexandrias rechtwinkelig schnitten; Reihen großer Schutthaufen, einzelne Säulen und zahlreiche Zisternen deuten noch jetzt den Lauf dieser Hauptstraßen an. Im W. lag die große (unterirdische) Gräberstadt (Nekropolis), bis zu dem sogen. Bade der Kleopatra sich erstreckend. Die Hunderte der noch immer vorhandenen Zisternen zeugen noch heute von der Größe des alten Alexandrien. Unter den aufgetürmten Schuttmassen mögen noch ansehnliche Reste der großen Vorzeit verborgen liegen; mit vielen der alten Marmor- und Granitwerke hat sich Rom ausgestattet und nachmals Byzanz, über andre flutet das Meer. A. besaß eine hochentwickelte Industrie, namentlich in Glas, Papier und seinen Stoffen, und ein seltsames Gemisch von Völkern war hier zusammengedrängt: Griechen (die Mehrzahl), Ägypter und zahlreiche Juden, die den Osten der Stadt bewohnten; daneben Leute aus allen Gegenden der damals bekannten Welt, Schwarze und Weiße, die der Handel oder die Sklaverei hierher führte, endlich als Befehlende Römer. S. Literatur, S. 305.

Das heutige Alexandria.

(Hierzu der Stadtplan.)

Das jetzige A. (arab. Iskanderieh), befestigter Haupthafen und erste Handelsstadt, nächst Kairo die größte und blühendste Stadt Ägyptens, liegt auf einem Sandstreifen zwischen dem Meer und dem sumpfigen Mareotissee, zum größten Teil die schmale Landzunge zwischen Port Vieux (Osthafen) und Port Neuf (Westhafen) bedeckend, unter 30°11´7´´ nördl. Br. und 29°53´52´´ östl. L., 13 m ü. M., wird auf der Landseite von einer alten, durch zahlreiche Forts und Bastionen flankierten Mauer umgeben, während den Hafen das Fort Napoleon und eine Anzahl von Forts auf den vorspringenden Landspitzen nebst Strandbatterien verteidigen. Das Klima (14,9–26,5°) wird durch die See gemildert, sehr lästig ist der vom Wind aufgewirbelte Staub. Wasser liefert der Mahmudiehkanal. der von Mehemed Ali aus dem Nilarm von Rosette zugleich als Schiffahrtskanal 20 m breit und 6 m tief angelegt wurde, aber immer mehr verschlammt. Daneben gibt es eine Menge Zisternen. A. besteht aus dem Türkenviertel auf der Landzunge, dem Frankenquartier im S. davon und dem Araberviertel im W. und zwischen den beiden Häfen. Von den letztern ist der westliche jetzt allein wichtig. Er besteht aus einem äußern, 3,5 qkm groß, 5–20 m tief, und einem innern, durch einen Molo von ersterm getrennten Hafen, 9–11 m tief, an dessen Ostseite sich das Arsenalbassin mit Schwimmdock befindet. Ein mächtiger Wellenbrecher schließt den Hafen nach N. und NW. und endigt mit einem Leuchtturm. Fünf weitere Leuchttürme erheben sich an andern Punkten. Die mohammedanische Stadt hat ungepflasterte Straßen, ist daher im Winter äußerst schmutzig, die Häuser sind meist niedrig. Der vizekönigliche Palast, Râs et Tin, die Kasernen, das Arsenal, der Palast des Gouverneurs, das Gebäude der Polizeidirektion sind sämtlich Werke Mehemed Alis. Das Frankenquartier, dessen Mittelpunkt der Platz Mehemed Ali (auch Platz der Konsuln) mit der Reiterstatue Mehemed Alis und zwei Fontänen ist, enthält 4 katholische, 3 protestantische, 3 griech. Kirchen, 1 koptische, 1 maronitische, 3 Synagogen, mehrere Theater und eine Anzahl schöner Privatbauten. Hier hat sich ein völlig europäisches Leben entwickelt, die Klubs und Vereine (»Deutscher Verein«) haben hier ihren Sitz, und hier liegen auch die europäischen Spitäler (deutsches Diakonissenhaus). An ihn stößt der schöne öffentliche Garten, Gineneten Nuzha oder Jardin pastré. A. hatte 1902: 310,587 Einw. Die Stadt vermittelt fast den ganzen Außenhandel Ägyptens; 1900 betrug die Einfuhr 14,1, die Ausfuhr 16,7 Mill. ägypt. Pfd. Letztere, bestand in erster Linie in Baumwolle, Baumwollensamen, Zucker, Bohnen, Weizen, Wolle, Zwiebeln, lebenden Wachteln, erstere in Baumwollenstoffen und -Garnen, Schuhwaren, Bauholz, Tabak, Rohseide, Eisen- und Stahlwaren, Steinkohle, Olivenöl, Bier, Branntwein, Seife, Jutesäcken. Die Eröffnung des Suezkanals hat Alexandrias Handel nicht unwesentlich beeinträchtigt. Es liefen 1900: 2830 Schiffe von 2,375,619 Ton. ein und 2784 Schiffe von 2,364,672 T. aus, meist englische, dann französische, türkische, österreichische. Von A. laufen englische, französische, österreichische und ägyptische Postdampferlinien sowie vier Eisenbahnstränge aus, nach Kairo, Rosette, Ramleh und El Meks (großartige Steinbrüche); Telegraphenkabel gehen nach Malta, Kreta, Cypern und Port Saïd. Die Überlandtelegraphenlinie zwischen Europa und Ostasien geht von hier über Kairo nach Suez. In A. bestehen acht Banken: die Bank of Egypt, Anglo-Egyptian Banking Co., Crédit Lyonnais, Banque Franco-Égyptienne, Impériale Ottomane, Société Immobilière, Land and Mortgage Bank, Cassa di Sconto e di Risparmio. Von Wohltätigkeitsanstalten bestehen fünf von Europäern gestiftete und unterhaltene Krankenhäuser, ägyptische für die Eingebornen, insbes. für die Truppen. A. hat eine Marine- und eine Militärschule, ein Collège der Lazaristen, ein italienisches Lyzeum, je eine Schule unterhalten die Deutschen, die schottische und die griechische Kirche, die apostolischen Armenier und die Juden; außerdem gibt es viele andre Schulen, darunter sechs für Mädchen, und eine öffentliche Bibliothek. A. ist Sitz eines Gouverneurs, von 16 Konsuln (darunter ein deutscher Berufskonsul), eines katholischen Erzbischofs, des Marineministeriums, eines Appellationsgerichts, der Direction générale des ports et des phares, einer Polizeipräfektur,[304] der Intendanz für das Quarantänewesen und hat seit 1890 auch einen Munizipalrat, in dem sechs europäische Kaufleute sitzen. Das 1895 eröffnete archäologische Museum birgt umfangreiche Sammlungen. Außerhalb der Mauern, den Mahmudiehkanal entlang, ziehen sich reizende Villen hin, aus denen auch das 9 km östlich liegende Ramleh fast ausschließlich besteht.

Geschichte. Die Ptolemäer wählten A. zur Hauptstadt ihres neuen Reiches, und unter ihrer Regierung hob es sich zu einer der blühendsten Städte des Altertums empor, groß durch Handel, berühmt als Sitz der Wissenschaften, aber auch als Sitz einer durch überschwenglichen Reichtum genährten grenzenlosen Sittenlosigkeit berüchtigt. Als Cäsar 48 v. Chr. nach Pompejus' Ermordung in A. erschien, entstand eine Empörung des Volkes, gegen die sich die Römer unter heftigen Kämpfen neun Monate lang in der Königsstadt (Bruchium) behaupteten (Alexandrinischer Krieg); ein Brand verzehrte damals den größten Teil der berühmten alexandrinischen Bibliothek (s. oben). Auch im Römerreich stand A. nur Rom selbst an Größe nach und war der Hauptstapelplatz. wo sich der orientalische Handel vereinigte. Die wissenschaftliche Bedeutung Alexandrias machte es auch zu einem Hauptsitz des Christentums; die heftigsten Kämpfe zwischen diesem und dem Heidentum und zwischen den christlichen Parteien schädigten die Blüte der Stadt. Vernichtet wurde aber A. als Hauptstadt Ägyptens und herrschender Handelsplatz durch die Araber, die unter Führung Amrus die Stadt nach 14 monatiger tapferer Verteidigung im Dezember 641 eroberten. Die Festungswerke wurden geschleift; der größte Teil der Stadt blieb zwar verschont, sie erhob sich aber nicht wieder zu der frühern Größe. Als das Kalifat selbst in Verfall geriet, erklärte sich der Statthalter Ahmed 868 für unabhängig und gründete die kurzlebige Dynastie der Tuluniden (bis 904); nach der Zwischenherrschaft der Abbasiden bis 933 machten sich wieder die Ichschid(id)en fast unabhängig. Schon 919 waren jedoch A. und Mittelägypten durch ein Heer des schiitischen Mahdi Obeidallah eingenommen worden; 50 Jahre später fiel auch Fostât in die Hände dieser neuen nordafrikanischen Dynastie der Fatimiden, ward zu »Kairo« erweitert (969) und fortan Residenz. A. aber kam mehr und mehr herab. Genuesen und Venezianer, die es zum Hauptstapelplatz des indischen Handels auserkoren, schützten es allein noch vor größerm Verfall; der aber trat unvermeidlich ein, als 1498 der neue europäisch-indische Handelsweg um Afrika entdeckt wurde. Vom alten A. hatte sich bis zu Edrisis Zeit (12. Jahrh.) immer noch ein großer Teil der Denkmäler erhalten. Erst die Herrschaft der Türken (seit 1517) gab ihm den Todesstoß; sogar die unter den Tuluniden entstandene Stadt der Araber, die durch ihre sich rechtwinkelig durchschneidenden Gassen einem Schachbrett glich und zahlreiche Prachtgebäude einschloß, wurde der Erde gleich gemacht. In trümmerhaftem Zustand befand sich A. noch, als es durch Bonaparte in der Nacht vom 1. zum 2. Juli 1798 erstürmt ward. Bis Oktober 1801 blieb es in den Händen der Franzosen. Als Mehemed Ali 1806 die Statthalterei Ägyptens übernahm, hatte A. kaum 7000 Einw. in elenden Lehmhütten; er wurde der Schöpfer des neuen A. Im J. 1882 wurde die Stadt infolge der Empörung Arabi Paschas arg heimgesucht: 11. Juni war sie Schauplatz einer blutigen Verfolgung der Europäer durch den aufgehetzten Pöbel, und da Arabi Pascha die Forts neu befestigte, ward sie 11. Juli von der englischen Flotte unter Seymour beschossen, worauf sie von den Ägyptern in Brand gesteckt und geplündert wurde, bis die Engländer sie 14. Juli besetzten. Vgl. Dimitsas, Geschichte Alexandriens (griech., Athen 1885); Vaujany, Alexandrie et la Basse-Egypte (Par. 1886); Néroutsos-Bey, L'ancienne Alexandrie (das. 1888).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 303-305.
Lizenz:
Faksimiles:
303 | 304 | 305
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon