[464] Amtsverbrechen (Amtsdelikt), im weitern Sinn jede Pflichtverletzung eines Beamten (d.h. desjenigen, der auf Grund staatlicher Anstellung als Organ der Staatsgewalt und daher unter staatlicher Autorität für Staatszwecke tätig zu sein hat), im engern Sinn und in der juristischen Bedeutung des Wortes die kriminell strafbare Verletzung der besondern Amtspflicht eines solchen. Abgesehen von den allgemeinen Verpflichtungen eines jeden Staatsbürgers, liegen nämlich dem Beamten besondere, durch seine amtliche Stellung begründete Pflichten ob. Eine Verletzung dieser Amtspflichten, wie z. B. Verletzung des Amtsgeheimnisses, Ungehorsam u. dgl., kann eine Disziplinaruntersuchung und Disziplinar- oder Ordnungsstrafen nach sich ziehen, welch letztere in Warnung, Verweis, Geld- oder Arreststrafe, Strafversetzung und Dienstentlassung bestehen. Das hierbei zu beobachtende Verfahren ist gewöhnlich durch besondere Gesetze geregelt, die den Beamtenstand gegen Willkürlichkeiten schützen und namentlich das Recht der Beschwerde gegen Disziplinarstraferkenntnisse im geordneten Instanzenzug einräumen. Steigert sich aber die Verletzung der Amtspflicht zu einer Verletzung der staatlichen Rechtsordnung überhaupt, so reicht eine im Verwaltungsweg zu verhängende Disziplinarstrafe nicht aus, sondern strafrechtliche Verfolgung und eine durch das Strafgesetz bestimmte öffentliche Strafe müssen Platz greifen (A. im eigentlichen Sinne). Doch ist nicht jede von einem Beamten begangene Straftat ein A. Ein solches liegt nur dann vor, wenn das Verbrechen eine Verletzung der besondern Amtspflicht des Beamten enthält. Nur findet zwischen dem von einem Beamten begangenen gemeinen Verbrechen und seinem Amtsverhältnis insofern ein Zusammenhang statt, als ein solches Verbrechen regelmäßig die Unfähigkeit zu öffentlichen Ämtern und deren Verlust nach sich zieht. Zuweilen bezeichnet die Strafgesetzgebung auch ein an und für sich gemeines Verbrechen ausdrücklich als ein A., wenn es von einem Beamten begangen wurde, und seyt dafür eine besondere Strafe fest; so das Reichsstrafgesetzbuch (§ 340, 342, 339, 350) in Ansehung der von einem Beamten in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Amtes vorsätzlich begangenen Körperverletzung, eines unter gleichen Verhältnissen begangenen Hausfriedensbruches, einer Erpressung oder Nötigung durch Mißbrauch der amtlichen Gewalt oder durch Androhung eines solchen, endlich auch su Ansehung einer Unterschlagung von Geldern und andern Sachen, die ein Beamter in amtlicher Eigenschaft empfangen oder im Gewahrsam hatte. Zu den Beamten, die das Strafgesetzbuch als solche bezeichnet (vgl. Beamter), treten in einigen besondern Fällen auch die Geschwornen, Schöffen, Schiedsmänner und Schiedsrichter, Geistliche und andre Religionsdiener, Anwalte und Rechtsbeistände hinzu.
Im einzelnen führt das Reichsstrafgesetzbuch folgende A. auf: 1) Annahme von Geschenken (Bestechung, s. d.; § 331 mit 334) von seiten eines Beamten für eine in sein Amt einschlagende, an sich nicht pflichtwidrige Handlung. 2) Rechtsbeugung (§ 336), d.h. Parteilichkeit bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache. 3) Strafbare Handlungen bei Trauungen und Eheschließungen (§ 337, 338), wenn ein Geistlicher ohne Nachweis der standesamtlichen Eheschließung zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung schreitet, oder wenn ein Religionsdiener oder Personenstandsbeamter, wissend, daß eine Person bereits verheiratet ist, eine neue Ehe derselben schließt (vgl. auch Kanzelmißbrauch). 4) Bedrückung der Staatsbürger (§ 339 mit 342), wie widerrechtliche Nötigung, Körperverletzung, Beschränkung der persönlichen Freiheit und Hausfriedensbruch durch einen Beamten in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Amtes. 5) Mißbrauch der Amtsgewalt im Strafverfahren (§ 343 mit 347), dieselbe kann erfolgen durch Anwendung von Zwangsmitteln bei einer Untersuchung, durch vorsätzliche Verhängung der Untersuchung über Unschuldige, durch vorsätzliches Vollstreckenlassen einer ungerechten Strafe, durch Begünstigung von Verbrechern, Entweichenlassen und Befreien von Gefangenen. 6) Urkundenverbrechen im Amte (§ 348, 349), und zwar vorsätzliche Falschbeurkundung sowie vorsätzliche Vernichtung, Beschädigung, Beiseiteschaffung oder Verfälschung einer ihm als Beamten anvertrauten Urkunde. 7) Amtsunterschlagung (§ 350, 351), d.h. Unterschlagung von Geldern oder andern Sachen, die der Beamte in seiner amtlichen Eigenschaft empfangen oder in Gewahrsam hat; straferhöhend wirkt hierbei, wenn zur Verdeckung derartiger Unterschlagung die amtlichen Bücher, Listen, Register etc. verfälscht oder unterdrückt werden. 8) Übermäßiges Sportulieren (§ 352, 353), d.h. die Erhebung von Gebühren oder andern Vergütungen für amtliche Verrichtungen im eignen Interesse und in einem höhern als geschuldeten Betrag. 9) Strafbare Handlungen im Dienste des auswärtigen Amtes (§ 353 a, der sogen. Arnimparagraph, benannt nach dem Grafen Harry von Arnim; vgl. Arnim 7). Hiernach soll ein Beamter im Dienste des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches, der die Amtsverschwiegenheit dadurch verletzt, daß er ihm amtlich anvertraute oder zugängliche Schriftstücke oder eine ihm von seinem Vorgesetzten erteilte Anweisung oder deren Inhalt andern widerrechtlich mitteilt,[464] mit Gefängnis bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 5000 Mk. bestraft werden. Gleiche Strafe trifft den mit einer auswärtigen Mission betrauten oder bei einer solchen beschäftigten Beamten, der den ihm durch seinen Vorgesetzten amtlich erteilten Anweisungen vorsätzlich zuwiderhandelt oder in der Absicht, seinen Vorgesetzten in dessen amtlichen Handlungen irre zu leiten, diesem erdichtete oder entstellte Tatsachen berichtet. 10) Strafbare Handlungen von Post und Telegraphenbeamten (§ 354, 355), wie Öffnung und Unterdrückung von Briefen, Verfälschung, Unterdrückung und Offenbarung von Depeschen. 11) Untreue des Sachwalters (§ 356), sogen. Prävarikation eines Advokaten, Anwalts oder sonstigen Rechtsbeistandes. 12) Konnivenz des Amtsvorgesetzten (§ 357), d.h. Verleitung eines Untergebenen zu einer strafbaren Amtshandlung, oder wissentliches Geschehenlassen einer solchen.
Nach § 101 des österreichischen Strafgesetzbuches begeht das Verbrechen des Mißbrauchs der Amtsgewalt jeder Staats- oder Gemeindebeamte, der in dem Amt, in dem er verpflichtet ist, die ihm anvertraute Gewalt mißbraucht, um jemand Schaden zuzufügen; insbes. auch derjenige, der ein ihm anvertrautes Amtsgeheimnis gefährlicherweise eröffnet, oder der eine seiner Amtsaufsicht anvertraute Urkunde vernichtet oder jemand pflichtwidrig mitteilt (§ 102); ebenso der Advokat, der dem Gegenteil mit Rat und Tat behilflich ist. Die Geschenkannahme in Amtssachen wird nach § 104 als Verbrechen mit Kerker zwischen 6 Monaten und 1 Jahr und Verlust des Geschenkes (bez. des Wertes) bestraft. Besondere Bestimmungen über vorsätzliche Beschränkungen der persönlichen Freiheit und des Hausrechtes enthalten zwei Gesetze vom 27. Okt. 1862. Beleidigungen von seiten einer Amtsperson in Amts- oder Dienstesverrichtungen werden nach § 331, 332 als Übertretungen mit Arrest von 3 Tagen bis 3 Monaten geahndet. Vgl., Jucker, Skizze zu einer Monographie der A. (Prag 1870); Oppenheim, Die Rechtsbeugungsverbrechen des Reichsstrafgesetzbuches (Leipz. 1886).