Blumen, künstliche

[73] Blumen, künstliche, aus verschiedenen Stoffen, besonders aus Geweben (Stoffblumen) hergestellte Nachahmungen natürlicher Blumen. Man macht die Gewebe (Jakonett, Batist, Englischleder, Satin, Perkal, Taft) durch Satinieren glatt wie Wachs und gibt ihnen auch auf der Rückseite eine Appretur aus Gelatine und Stärkekleister. Die mit Ausschlageisen (Blumen-, Blümcheneisen) hergestellten Ausschläge werden gefärbt, getrocknet und dann auf einem Kleiekissen oder einer Gummiplatte mit erwärmten Instrumenten gekröst, d. h. mit Krümmung, Äderung etc. versehen. Hierzu dienen Stempel, die den natürlichen Blättern galvanoplastisch treu nachgebildet sind Staubfäden werden aus wiederholt in Leimlösung getauchten Seiden- und Baumwollfäden und aufgeklebten Grieskörnern hergestellt. Die Stengel bestehen aus umhülltem Draht, der auch in gefärbte Kautschukröhrchen gesteckt wird; Früchte macht man aus Glas, Kautschuk oder Wachs. Strohblumen, Getreideähren, Gräser, Moos, Dornen werden der Natur entnommen. Geringere k. B. werden aus Papier hergestellt, außerdem benutzt man Kollodiumhäutchen, die getrennten Lagen abgehaspelter Seidenkokons (italienische Blumen), Leder, Holzspäne, Federn, Fischschuppen etc. Auch werden Stoffblumen galvanoplastisch bronziert (galvanisierte Blumen). In neuerer Zeit hat man auch Blattpflanzen, besonders Palmen und Dracänen, in Stoff nachgeahmt und schmückt mit solchen die Natur täuschend kopierenden Gebilden Räume, in denen Pflanzen nicht gedeihen. Wachsblumen fertigt man aus Wachs, das mit etwas Terpentinöl[73] zusammengeschmolzen und beliebig gefärbt wird. Man formt daraus dünne Streifen, aus denen sich die Blätter leicht ausschneiden oder ausstechen lassen. Die nötige Wölbung gibt man ihnen mittels nasser Kugelhölzer. Stengel und Stiele werden von Draht gemacht und mit Wachs überzogen. Die Staubfäden bildet man aus ganz fein geschnittenem Wachs, das man in Gummiwasser und dann in gefärbten Gries eintaucht. Die Adern auf den Blumen- und Sten gelblättern werden mit dem Pinsel aufgetragen. Porzellanblumen sind in wunderbarer Vollkommenheit aus dem scheinbar ungeeignetsten Material hergestellt worden. Aus Brotkrume und aus Kautschukmasse werden Blumen durch Kneten geformt, auch gießt man sehr schöne und zarte Gebilde aus Bronze. Aus Glas werden die Blumenteile vor der Glasbläserlampe geformt und durch Aneinanderschmelzen verbunden.

Nach Plinius wurde der Gebrauch von Kränzen aus künstlichen Blumen um 350 v. Chr. aus Ägypten nach Griechenland eingeführt, und unter den römischen Kaisern trugen die Frauen parfümierte Blumen aus Papyrusrinde und verschiedenfarbiger Seide. In China benutzte man im 3. Jahrh. allerlei Pflanzenteile, Vogelfedern und gefärbte Seide, in Spanien und Italien fertigten im Mittelalter die Klöster k. B. aus Kokons, Batist, Gaze und Seide, und zwar zunächst zum Schmuck der Altäre. Die Italiener verpflanzten die Kunst gegen Ende des 15. Jahrh. nach Frankreich, wo sie zuerst in Lyon Fuß faßte, dann aber in Paris zur Blüte gelangte. Séguin veranlaßte die treue Nachahmung natürlicher Blumen und gab der Blumenmacherei einen solchen Aufschwung, daß sie bald den Markt und die Mode vollständig beherrschte. 1770 erfand ein Schweizer eine Maschine, mit der man 6–8 Blätter auf einmal schneiden konnte, und bald darauf wendete man die Matrizen an. Unter dem Kaiserreich und der Restauration machte die Fabrikation der künstlichen Blumen große Fortschritte, aber die jetzige Vollendung und Ausdehnung erlangte die Blumenmacherei erst durch die Arbeitsteilung. Mit Frankreich konkurriert fast nur noch Deutschland, wo die Blumenmacherei durch Magdalene Bienert in Nixdorf vor etwa 80 Jahren begründet wurde und an der böhmisch-sächsischen Grenze um Sebnitz, Neustadt, Rumburg, Schluckenau erblühte. Zollverhältnisse veranlaßten später die Übersiedelung der jungen Industrie nach Sebnitz, Hertigswalde, Burkersdorf, Neustadt etc. Hauptorte der Fabrikation in Deutschland sind jetzt Berlin, Leipzig, Dresden, München, wo den französischen vollkommen ebenbürtige Sachen geliefert werden. England liefert sehr viele, aber wenig geschmackvolle k. B., Brasilien sehr schöne aus Federn. Vgl. Clasen-Schmid, K. B. aus verschiedenem Material (Leipz. 1886); Braunsdorf, Die Herstellung künstlicher Blumen und Pflanzen aus Stoff und Papier (Wien 1890, 2 Bde.) und aus Blech, Wolle, Band, Wachs, Leder etc. (das. 1892); Ballerini, Die Anfertigung künstlicher Blumen (deutsch von Jürgens, Weim. 1898); »Journal für Kunstblumen etc.« (Wien, seit 1894); Blanchon, L'industrie des fleurs artificielles et des fleurs conservées (Par. 1899).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 73-74.
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