[517] Eisenbahnbetriebssicherheit hängt ab von dem Zustande der Bahn und der Eisenbahnbetriebsmittel sowie von der Einrichtung und Handhabung des Betriebsdienstes. Der Grad der E. wird erkennbar durch das in der Eisenbahnstatistik ermittelte Verhältnis der Eisenbahnunfälle zu den ihnen gegenüberstehenden Leistungen der Bahnen (Unfallstatistik der Eisenbahnen).
Der Zustand der Bahn wird überwacht durch den Bahnerhaltungsdienst. Dieser erfolgt in erster Linie durch die Bahnwärter (Strecken- und Schrankenwärter auf der freien Strecke, Weichenwärter auf den Bahnhöfen), die ihre Strecke (von 1,24 km Länge, bei Nebenbahnen auch mehr) täglich mehrmals zu begehen haben. Sie werden beaufsichtigt durch die Bahnmeister, die ihren Bezirk (von 715 km Länge, bei Nebenbahnen auch erheblich mehr) täglich begehen und die Unterhaltungsarbeiten leiten. Sie unterstehen dem Streckeningenieur (Betriebsingenieur), der unter Oberaufsicht der Betriebsinspektion den Bahnbewachungs- und Bahnerhaltungsdienst eines größern Bezirks zu verwalten und dessen sachgemäße Ausführung durch örtliche Besichtigungen zu sichern hat. Besondere Sorgfalt wird hierbei wegen der steten Abnutzung dem Oberbau (Schienengestänge nebst Schwellen und Bettung), ferner den Tunneln und Brücken, insbes. den Eisenbrücken, zugewendet, deren Zustand in vorgeschriebenen Zwischenräumen genauen Prüfungen unterworfen wird. Ebenso wird schon bei Herstellung der zu dem Oberbau und den Brücken erforderlichen Eisenteile in den Hüttenwerken seitens der Bahnverwaltungen eine strenge Aussicht geübt und von den Werken eine (in der Regel fünfjährige) Haftpflicht übernommen.
Auch die Betriebsmittel unterliegen in allen wesentlichen Teilen bei der Herstellung einer strengen Prüfung und während des Betriebes in vorgeschriebenen Zwischenräumen, die nach der Zahl der durchlaufenen Kilometer bemessen werden, genauer Untersuchung in den Eisenbahnwerkstätten. Zu diesem Zweck wird über den Lauf aller Wagen durch die Wagenkontrolle bei den Direktionen eine fortlaufende Aussicht geführt. Einer besonders sorgfältigen Überwachung bedürfen die Radreifen, die namentlich bei großer Kälte selbst bei bestem Material bisweilen plötzlich Sprünge bekommen. Sie werden deshalb, zumal bei Schnellzügen mit wenigen Aufenthalten, auf den Stationen mittels eines Hammerschlages untersucht, dessen Klang einen etwaigen Sprung erkennen läßt. Die Befestigung der Reisen auf dem Radkörper ist jetzt derart, daß selbst bei Eintritt mehrfachen Sprunges die gelösten Stücke nicht leicht von dem Rad abfliegen können. Bei den Lokomotiven werden zudem alle Sicherheitsvorrichtungen fortlaufend überwacht. Die Lokomotivführer und Heizer werden von dem Maschineningenieur, bez. der Maschineninspektion beaufsichtigt, die den gesamten Maschinendienst der Bahn verwaltet, während das Signalwesen, mit Ausnahme des der Betriebsinspektion zugewiesenen Stellwerkswesens, der Telegrapheninspektion untersteht.
Einrichtung und Handhabung des Betriebsdienstes und des Signalwesens. Strenge Vorschriften über die Fahrordnung, Zusammensetzung und Geschwindigkeit der Züge (s. Eisenbahnfahrgeschwindigkeit), Versorgung der Züge mit Begleitpersonal (Zugführer und Schaffner), ihre Ausrüstung[517] mit der erforderlichen Zahl von Bremsachsen (Bremsprozente), mit der Zugleine und bei schneller Fahrt mit durchgehenden, rasch und beim Zerreißen eines Zuges selbsttätig wirkenden Bremsen, über die Bedienung der Lokomotiven (stets durch zwei Mann, Führer und Heizer), endlich die Überwachung der Innehaltung dieser Vorschriften durch die mittlern und obern Betriebsbeamten sorgen nach Möglichkeit für die Sicherheit des Fahrdienstes. Von besonderer Wichtigkeit ist ferner die Einrichtung des Signalwesens und die damit bewirkte Regelung der Zugfolge. Das früher übliche Innehalten gewisser kleinster Zeitabstände zwischen den Zügen gleicher Richtung ist in Deutschland, mindestens auf allen wichtigen Bahnen, längst durch die Innehaltung des Stationsabstandes (Blocksignalsystem) ersetzt. Hierbei wird die Bahn durch die vorhandenen Bahnhöfe und die dazwischen eingeschalteten Signal- oder Blockstationen in kürzere Abschnitte zerlegt, und innerhalb eines solchen Abschnittes darf sich stets nur Ein Zug gleicher Richtung befinden. Ein folgender Zug erhält mithin das Fahrsignal nicht früher, als bis der vorausgehende den Bahnabschnitt verlassen, also die nächstfolgende Signalstation hinter sich hat. Erst dann darf der hier befindliche Signalwärter nach der vorausgehenden Signalstation telegraphisch das Zeichen geben »Strecke frei« und diese den Zug vorbeilassen, indem sie das Signal auf »Fahrt« stellt. Nach Vorbeilauf des Zuges wird es sofort wieder in die »Haltstellung« zurückgebracht (geblockt). Häufig wird die Einrichtung getroffen, daß die Bewegung des Signals auf »Fahrt« durch eine mechanische Vorrichtung so lange verhindert bleibt, bis dies Hindernis von der folgenden Signalstation aus auf elektrischem Wege beseitigt, die Signalbewegung also freigemacht (entblockt) wird. Außerdem wird jeder Zug unmittelbar vor der Abfahrt von einem Bahnhof (oder vor der Vorbeifahrt an einer Signalstation) telegraphisch der nächsten Signalstation angemeldet.
Das Vorstehende bezieht sich zunächst auf zweigleisige Bahnen, auf denen die Züge entgegengesetzter Richtung unabhängig voneinander sind, indem jedes Gleis nur Einer Richtung dient (in Deutschland rechts, in England und den meisten andern Ländern links). Auf eingleisigen Bahnen muß jeder Zug vor Abfahrt erst dem nächstfolgenden Bahnhof »angeboten« werden, um zu erfahren, ob die Strecke frei ist und der Zug auslaufen darf. Erst nach Zustimmung erfolgt die Anmeldung und die Ausfahrt des Zuges.
Auf den Bahnhöfen, wo die Züge Gleisverbindungen zu durchfahren haben, ist einmal die Anordnung der Gleise, namentlich die möglichste Beschränkung und die Sicherung von »Spitzweichen« (die in der Richtung gegen die Spitze befahren werden), sowie die tunlichste Vermeidung von Gleiskreuzungen bedingend für die E., zweitens die Einrichtung der Signal- und Weichenstellwerke. Zunächst wird der Bahnhof durch Abschlußsignale und Vorsignale (die, mit erstern selbsttätig verbunden, die gleichen Bewegungen machen und für gewöhnlich auf »Halt« stehen) beiderseits »gedeckt«, so daß unter dem Schutz dieser Deckung die Rangierbewegungen auf dem Bahnhof vollzogen werden können. Ein Einfahrtssignal darf erst möglich sein, nachdem die vom einlaufenden Zuge zu durchfahrenden Spitzweichen in richtiger Stellung verriegelt und alle in das Einfahrtsgleis hineinführenden, also der Einfahrtstraße gefährlichen (»feindlichen«) Weichen von dieser abweisend gestellt und dann verschlossen sind. Zu diesem Zweck werden auf größern Bahnhöfen die für Zugeinfahrten wichtigen Weichen und Signale gruppenweise von besondern Stellwerken (Weichentürmen, Stellwerksbuden) aus mittels Stangen- oder Drahtleitungen (auch durch Luftdruck, Wasserdruck oder Elektrizität) bewegt und verschlossen und dabei die unzeitige Bewegung der einander feindlichen Signal- u. Weichenhebel mechanisch verhindert. Diese Stellwerke stehen mit dem´Hauptbureau des Bahnhofs in telegraphischer (auch telephonischer) Verbindung; unter Umständen werden auch von da aus gewisse Bewegungen der Stellwerke gesperrt und befreit. Auf großen Bahnhöfen werden die Ausfahrtsweichen in gleicher Weise behandelt. Auch wird bei wichtigen, spitz befahrenen Weichen der sichere Anschluß der Zungen durch besondere Spitzenverschlüsse in Verbindung mit Druckschienen gesichert, die, nahe vor der Spitze gelegen, von den hinüberrollenden Rädern niedergedrückt werden (sobald sie zufolge Nichtanschließens der Zungen über die Schienenhöhe aufragen) und dadurch festen Schluß der Weichenspitzen bewirken, auch die vorzeitige Umstellung der Weiche vor Durchlauf des ganzen Zuges verhindern (s. auch Eisenbahnsignale).
Bei aller Vervollkommnung derartiger Einrichtungen und ihrer Handhabung bleibt indessen doch der menschlichen Aufmerksamkeit und Tätigkeit immer noch eine Reihe von Aufgaben (wie z. B. das Beachten der gegebenen Signale) übrig, deren Versäumnis oder mangelhafte Erfüllung bei besonders unglücklichem Zusammentreffen von Umständen Unfälle veranlassen kann. Dieser Übelstand wird nie ganz zu beseitigen sein. In Deutschland sind zur Erhöhung der E. von Reichs wegen bindende Bestimmungen erlassen in den »Normen für den Bau und die Ausrüstung« und in der »Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands«, in der »Bahnordnung für die Nebenbahnen« und in der »Signalordnung«. Diese Vorschriften (zuletzt von 1898 mit neuern Nachträgen) stehen fast durchweg im Einklang mit den »Technischen Vereinbarungen« u. s. s. des (weit über Deutschland und Österreich hinausreichenden) Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen (zuletzt vom 1. Jan. 1897 mit Nachträgen).
Die Unfallstatistik zeigt, daß die deutschen Eisenbahnen den meisten andern Ländern an Betriebssicherheit voranstehen. Mit den englischen Bahnen ist ein ganz zutreffender Vergleich nicht möglich, weil dort nicht die Zahl der zurückgelegten Personenkilometer, sondern nur die Anzahl der Reisenden angegeben wird, gleichviel, ob sie eine kurze oder lange Reise machen. Das gibt keinen richtigen Maßstab für die wirklichen Leistungen der Bahnen und dies um so weniger, als dort jeder Reisende, der das Gebiet mehrerer Bahnverwaltungen berührt, wie es bei der großen Zahl der dortigen Privatbahnen fast auf jeder größern Reise vorkommt, von jeder gesondert, also mehrmals gezählt wird. Die Zahl der Reisenden erscheint sonach dort größer, als sie wirklich ist, und das Verhältnis der Unfälle zu der bloßen Anzahl der Reisenden gibt ohnehin kein richtiges Bild. In Deutschland wird dagegen neben der Zahl der beförderten Reisenden auch die Zahl der gefahrenen Personenkilometer gebucht und dadurch ermöglicht, die Zahl der Unfälle zu den wirklichen Leistungen in Verhältnis zu setzen. Aus der Statistik der deutschen Eisenbahnen für das Rechnungsjahr 1900/1901 ergibt sich unter anderm die folgende Übersicht (in abgerundeten Zahlen):[518]
Die fettgedruckten Zahlen sind die eigentlich maßgebenden für den Grad der Betriebssicherheit.
Die außerdem vorgefallenen Tötungen und Verletzungen der Bahnbediensteten (deren mit Ausschluß der Werkstättenverwaltung 537,122 gezählt wurden) können nur im Verhältnis zu den Gesamtleistungen der Bahnen im Personen-, Güter- und Bahnhofsdienst beurteilt werden. Nimmt man als etwaiges Maß dafür die Gesamtzahl der geförderten Netto-Tonnenkilometer (wobei eine Person zu 75 kg gerechnet ist), so ergibt sich folgendes: Von den Bahnbediensteten wurden getötet 554 oder je einer auf 69,5 Mill. Netto-Tonnenkilometer; desgl. verletzt 979 oder je einer auf 39,2 Mill. Netto-Tonnenkilometer. Vgl. auch die Art. »Eisenbahnfahrgeschwindigkeit«, »Eisenbahnsignale« und »Eisenbahnunfälle«.
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