[368] Fechtart (Fechtweise), die einem Heer, einer Truppengattung oder einem Volk eigentümliche Art zu kämpfen, sowohl in bezug auf die Gliederung des Heeres als auf die Zusammenordnung der einzelnen Streiter zueinander und den Gebrauch der Waffen. Jede Waffe hat ihre eigne F., die sich mit der Vervollkommnung der Waffe ändert, und überdies sind auch Kulturzustand und Charakter eines Volkes bestimmend für seine F. Die F. bildet einen wesentlichen Teil der Taktik, in welche auch die Bewegung der Truppen auf dem Gefechtsfeld inbegriffen ist. Die Begriffe F. und Taktik decken sich also um so mehr, je mehr die Gefechtsbewegungen zurücktreten. Die Truppenbewegungen auf dem Gefechtsfeld sind aber zunächst bedingt durch die Wirkung der Fernwaffen; je weiter sie reichen, um so früher beginnt der eigentliche Kampf als Feuergefecht, und desto weitere Wege sind zurückzulegen, um zum Nahkampf zu kommen. Je größer die Treffsicherheit der Feuerwaffen ist, um so mehr wird man sich gegen ihre Wirkung zu schützen suchen durch Benutzen von Deckungen und durch Auflockern der Kämpferlinien, Vergrößerung der Abstände etc., in zerstreuter F. Nichts ist gefährlicher,[368] als in geschlossener Ordnung in den wirksamen Schußbereich der Artillerie oder Infanterie zu kommen. Je tiefer und je dichter das Ziel, um so verheerender wird die Wirkung einschlagender Geschosse sein.
Geschichtliches. Wenn auch die Völker des Altertums mit Fernwaffen kämpften, konnte deren Wirkungsweise bei dem Schutz der Streiter durch Schild und Harnisch doch nicht eine zerstreute F. im heutigen Sinne hervorrufen, obgleich die Schlacht durch zerstreute Fechter eröffnet wurde. Der eigentliche Kampf der Massen war ein Nahkampf mit Spieß und Schwert in geschlossener Ordnung. Die Grundform der griechischen Schlachtordnung war die Phalanx; die einzelnen Heerhaufen standen in einer Linie nebeneinander, die Reiter und die Leichtbewaffneten, Bogen, Wurfspieß, Schleuder führend, auf den Flügeln; letztere eröffneten zerstreut, unsern Schützenlinien vergleichbar, das Gefecht; ihnen folgte die schwer bewaffnete Hoplitenphalanx, deren Stoßkraft bei der Geschlossenheit der großen Massen eine gewaltige war. Die Reiterei, im griechischen Gebirgsland schwer verwendbar, blieb für den Kampf von untergeordneter Bedeutung, bis sie Alexander d. Gr. zu glänzender Entwickelung führte. Gleichzeitig erreichte aber auch die Stoßtaktik durch ihn die höchste Blüte. Die Ausnutzung günstiger Gefechtsmomente durch erhöhte Beweglichkeit lehrte zuerst Epameinondas mit seiner schiefen Schlachtordnung bei Leuktra 371 v. Chr. Er teilte sein Heer in einen Offensiv- und einen Defensivflügel, griff mit dem einen in tiefer Phalanx an und behielt den andern als Reserve zurück.
Die Griechen unterlagen den Römern, die Phalanx der Legion. Die Legionarstellung, die Grundlage der römischen Schlachtordnung des 2. und 1. Jahrh. v. Chr., war eine Treffenstellung (Fig. 1). Vor der Front kämpften die Veliten, mit Bogen oder Wurfspieß bewaffnetes leichtes Fußvolk, in zerstreuter F. Hinter ihnen standen in drei Treffen schachbrettförmig, mit je 3050 Schritt Abstand, zunächst die Hastaten, mit zwei Wurfspießen, Schwert und Dolch bewaffnet und leicht geharnischt, hinter ihnen die Principes mit dem Pilum (Wurfspieß) und im dritten Treffen die Triarier, die Veteranen, mit der 4 m langen Pike (Hasta) ausgerüstet, beide schwer geharnischt. Die Hastati und Principes waren in Manipeln zu 100, die Triarier zu 60 Mann geteilt, 3 Manipeln bildeten eine Kohorte, 10 Kohorten eine Legion. Die Veliten zogen sich nach Eröffnung des Kampfes auf die Flügel der Stellung zurück, die Hastaten rückten vor, warfen aus naher Entfernung ihr Pilum und griffen zum Schwert, dann folgten ihnen die Principes. Die Triarier, die während des Kampfes ruhten, griffen nur im Notfall ein, um die Entscheidung herbeizuführen. Die Reiterei, in 10 Turmen zu je 30 Mann geteilt, stand auf den Flügeln der Legion, später, als die Hilfsvölker gute Reiterei stellten (Numidier), wurde sie in größern Massen verwendet. Mit dem Verfall des Reiches ging auch die Kriegskunst herab, und bei den Kämpfen mit den Germanen konnten auch die zahlreichen Katapulten und Ballisten die Heereskraft nicht wesentlich stärken.
Die Germanen kämpften in tiefen, nach Stammesgenossenschaften geordneten Heerhaufen. Später entwickelte sich aus dem Lehnswesen das Rittertum. Die gepanzerten Reiter in tiefen Geschwadern ließen dem Anlauf mit der Lanze den Einzelkampf mit Schwert und Streitkolben folgen. Die aufblühenden Städte des Hansebundes, vor allem aber die Schweizer Eidgenossenschaft, schufen im 14. und 15. Jahrh. aus dem Bürgertum heraus ein neues Fußvolk, das mit Hellebarde und Pike den Ritter vom Pferde zwang und, als die Handfeuerwaffen und Geschütze in immer größerer Zahl auf den Schlachtfeldern erschienen, auch den Panzer beseitigen half. Die großen, 34000 Mann starken Gevierthaufen der Schweizer wurden kleiner bis zu 1000 Mann bei den Landsknechten. Vor ihnen eröffneten die verlornen Knechte mit Arkebuse und Muskete das Gefecht und zogen sich vor dem Angriff der Reiter unter den Schutz der Spieße des hellen Haufens zurück. Dieser machte gegen Kavallerie den Igel, ähnlich dem spätern Karree.
Die zunehmende Wirkung der Feuerwaffen zwang zu flacherer Aufstellung und der Geist der Offensive zu beweglicherer Formation. Moritz von Oranien gliederte sein Fußvolk in Bataillone zu 500 Mann (Fig. 2).
Gustav Adolf ging noch weiter; die Brigade, aus 3 Bataillonen zu 4 Fähnlein bestehend, wurde seine eigentliche Gefechtseinheit. Sie stand in zwei Treffen und sechs Gliedern formiert (Fig. 3), die Reiterei in kleinen Geschwadern auf den Flügeln Die Artillerie zeigte sich unter Gustav Adolf schon manövrierfähiger. Am Anfang des 18. Jahrh. wurde die Pike in den größern Heeren von den Feuerwaffen verdrängt.
Friedrich II. stellte die Infanterie in drei Gliedern auf. Wenn die Gegner in langen, geraden Linien (daher Lineartaktik), Schulter an Schulter sich bis auf 200 Schritt genähert hatten, überschüttete man sich mit Salven, die zugweise (s. Peloton) oder rottenweise (Heckenfeuer) abgegeben wurden.
Wer am schnellsten feuerte, hatte die meiste Aussicht auf Erfolg. Die preußische Infanterie erreichte fünf Salven in der Minute. In den Feuerpausen näherte man sich und suchte den Gegner durch Feuer zum Weichen zu zwingen; gelang dies nicht, so folgte der Bajonettangriff. 300 Schritt hinter dem ersten stand das zweite Treffen in Linie. Gegen Kavallerieangriffe wurde Karree formiert. Die Reiterei erhielt durch Friedrich II. einen[369] hohen Grad taktischer Ausbildung. Sie sollte vorzugsweise durch die Kraft ihres Anlaufs und Gebrauch der blanken Waffe wirken und durfte niemals eine Attacke im Stillhalten annehmen; sie unterstützte die Infanterie im Aufrollen feindlicher Linien, war mit Karabinern bewaffnet und auch im Fußgefecht geübt. Um mit ihr gemeinsam zu kämpfen, schuf Friedrich II. 1759 die reitende Artillerie. Die Fußartillerie eröffnete, in Batterien vereinigt, das Gefecht. Man bevorzugte ebenes Gelände, weil es die Bewegung langer, geschlossener Linien begünstigte. Mit dem Ende des 18. Jahrh. beginnt die Epoche der zerstreuten F. Sie kam aus Nordamerika, wo bei Beginn des Befreiungskriegs die Landleute in naturwüchsiger Weise das Gefecht in dieser Form gegen die englischen Truppen begannen. Dies Beispiel fand erfolgreiche Nachahmung bei den Franzosen in ihren Revolutionskriegen und zwang deren Gegner zu gleicher F. Die mit gezogenen Gewehren (Büchsen) bewaffnete Infanterie eröffnete als Voltigeure das Gefecht in aufgelöster Linie unter Benutzung der Deckungen im Gelände. Als Rückhalt dienten Kolonnen. Man setzte sich in Wäldern, Dörfern etc. fest. Damit erwuchs für die Kavallerie die Aufgabe, den Aufklärungs- und Sicherheitsdienst weiter auszubilden.
Neuere Zeit. Die fortgesetzte Steigerung der Feuerwirkung seit Einführung der Hinterladung, der Magazingewehre kleinsten Kalibers, des rauchlosen Pulvers, der Schnellfeuerkanonen etc., dazu die Erhöhung der Beweglichkeit und Manövrierfähigkeit der Artillerie führten bei der Infanterie zu immer weiterer Ausbildung der zerstreuten F., zu immer weiterer Auflösung der geschlossenen Ordnung in dünne Linien, die ungünstige Zielobjekte bieten, endlich zu vermehrter Aufsuchung von Deckungen. Für die Kavallerie wurde die Bewaffnung mit Karabinern nötig, um im Aufklärungs- und Sicherheitsdienst selbständiger zu werden, sie legt immer mehr Wert auf das Fußgefecht; Autoritäten verlangen bei jedem Kampf Unterstützung durch Feuer. Ihre Gefechtsform ist die Linie, in der Schlacht die Attacke. Die Feldartillerie kann infolge Erhöhung ihrer Wirkungsweite das Feuer schon frühzeitig eröffnen. Wird sie später durch die eigne Infanterie behindert, so geht ein Teil mit jener vor, um durch energisches Feuer auf den entscheidenden Punkt dem Infanterieangriff vorzuarbeiten. Sie tritt von vornherein in Massen auf, um möglichst bald Feuerüberlegenheit zu gewinnen. An der Verfolgung nimmt sie durch Schnellfeuer bis auf 45000 m tätigsten Anteil.
Die F. ändert sich noch heute beständig mit den Fortschritten in der Bewaffnung, und überall treten neue Fragen auf. Bei der Infanterie ist über das kleinste Kaliber noch nicht endgültig entschieden, und schon scheint die Einführung automatischer Gewehre sicher. Eine neue Waffengattung, die berittene Infanterie, ist mit Erfolg aufgetreten. Bei der Artillerie ist die Einführung der Feldhaubitzen neben den Schnellfeuerkanonen und die Mitführung schwerer Artillerie beim Feldheer noch nicht überall durchgeführt. Das Auftreten von Maschinengewehrabteilungen im nächsten Krieg ist sicher. Es kommt hinzu, daß alle Heere jetzt bemüht sind, die Erfahrungen des Burenkrieges in ihren Reglements zur Geltung zu bringen. Gegenwärtig gilt für die Infanterie als Hauptkampfform der Schützenschwarm, weil man annimmt, daß das Gefecht in Zukunft in der Regel durch Feuerwirkung entschieden wird. Ferner wird es, ohne den Angriff zu schematisieren, Grundsatz sein, nach wohlgeplanter und gründlicher Vorbereitung durch Feuer unaufhaltsam vorwärts zu eilen, da Zurückweichen die Vernichtung durch feindliches Feuer in sichere Aussicht stellt. Hierzu sind für die Führer größte Selbsttätigkeit und Selbständigkeit unter eigner Verantwortung erforderlich. Die schwierigste Aufgabe, die der F. gestellt ist, besteht bei dem Angriff in dem Zurücklegen der letzten Entfernungen von dem Feinde.
Vgl. Jähns, Geschichte des Kriegswesens von der Urzeit bis zur Renaissance (Leipz. 1880); v. Boguslawski, Die Fechtweise aller Zeiten (Berl. 1880); Derselbe, Betrachtungen über Heerwesen und Kriegführung (das. 1897); Meckel, Allgemeine Lehre von der Truppenführung im Kriege (3. Aufl., das. 1890); Derselbe, Grundriß der Taktik (4. Aufl., das. 1897); v. Schlichting, Taktische und strategische Grundsätze der Gegenwart (das. 189799, 3 Tle.); Balck, Taktik (das. 18971904, 5 Tle.; Bd. 1 u. 2 in 3. Aufl. 1903); Schnötzinger, Schwarmlinie und Feuerleitung (Wien 1897); v. Pelet-Narbonne, Die Aussichten der Kavallerie im Kampfe gegen die Infanterie und die Artillerie (Berl. 1897); die Sonderabdrücke aus Löbells »Jahresberichten« (das. 1899) über Taktik der Infanterie (von Keim), Kavallerie (von v. Brixen) und Feldartillerie (von Rohne); v. Lindenau, Was lehrt uns der Burenkrieg für unsern Infanterieangriff? (das. 1902); Keßler, Tactique des trois armes (Par. 1903).
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