Literatūr

[614] Literatūr (lat., hierzu Textbeilage: »Synchronistische Übersicht der Weltliteratur« und 4 Porträttafeln: »Dichter der Weltliteratur«), im weitesten Sinne Inbegriff der sämtlichen in Schriften niedergelegten Bestrebungen des menschlichen Geistes, in den redenden Künsten sowohl als in den Wissenschaften: die ganze Masse dessen, was geschrieben und durch die Schrift bewahrt worden ist, soweit es geistiges Leben widerspiegelt. Wird diese L. in bezug auf einzelne Völker und Sprachen betrachtet, so sprechen wir von einer L. der Hebräer, Griechen, Italiener etc.; nach Maßgabe historischer Epochen und Perioden oder gewisser allgemeiner Geistesströmungen unterscheidet man eine L. des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit, eine L. der Kreuzzüge, der Renaissance, der Reformation etc., nach Maßgabe der Formen, Zwecke und wissenschaftlichen Einzelgebiete eine prosaische und poetische, wissenschaftliche und schöne, theologische, medizinische etc. L. Die Gesamtheit derjenigen Schriftwerke einer Nation, in welcher deren individueller Charakter zu besonders scharfer und eigentümlicher Ausprägung gelangt ist, bezeichnet man mit dem Namen Nationalliteratur. Zu ihr gehören somit vorzugsweise die dichterischen Erzeugnisse, nächstdem die Werke der Beredsamkeit, Philosophie und Geschichte. Von den übrigen, rein wissenschaftlichen Schriftwerken eines Volkes können nur wenige als dem Schatz der Nationalliteratur zugehörig betrachtet werden, weil in den meisten die stoffliche Bedeutung vorwiegt. Die Gesamtheit der Werke, die über die Grenzen der Nationen hinaus gewirkt haben, bildet die Weltliteratur, und man darf die Geschichte der letztern mit Goethe ansehen als »eine große Fuge, in der die Stimmen der Völker nach und nach zum Vorschein kommen«. Unter Literaturgeschichte versteht man die historische Darstellung dessen, was im Verlauf der Zeiten auf literarischem Gebiete geleistet worden ist. Sie ist von andern geschichtlichen Disziplinen, z. B. von der politischen Geschichte, vor allem dadurch unterschieden, daß in ihr neben der Darstellung des Entwickelungsganges die Analyse und Beurteilung der einzelnen Tatsachen eine weit größere Bedeutung hat als dort, und daß hier auf die psychologische Charakteristik der in den Entwickelungsgang eingreifenden Individuen ein weit größeres Gewicht gelegt werden muß. In Deutschland schrieben in neuerer Zeit über die Aufgaben der Literaturgeschichte: ken Brink (Straßb. 1891), Wetz (Worms 1891) und Elster (Halle 1894; »Prinzipien der Literaturwissenschaft«, Bd. 1, das. 1897); von ausländischen Werken sind zu nennen: Lacombe, Introduction à l'histoire littéraire (Par. 1898); Gayley und Scott, An introduction to the methods and materials of literary criticism (Boston 1899); Sherman, Analytics of literature (das. 1893). Das Verhältnis der einzelnen Literaturen zueinander und zu den Gesamtentwickelungen der Geschichte stellt sich am deutlichsten in synchronistischen Tabellen dar, deren Verständnis sich freilich nur für den erschließt, der mit der Fülle der Gruppen und Namen schon bestimmte Eindrücke und Erinnerungen verbinden kann; s. die Textbeilage und die Porträttafeln, zu denen die Tafeln »Klassiker der deutschen Literatur« (beim Art. »Klassiker«) u.a. eine Ergänzung bilden.

Die Hilfsmittel zum Studium der allgemeinen Literaturgeschichte sind sehr zahlreich, wenn es auch in der Natur des Stoffes begründet ist, daß die Verfasser vielfach genötigt sind, aus zweiter Hand zu schöpfen. Hier sei, von ältern Werken (Eichhorn, Wachler u.a.) abgesehen, nur an einige der nächstliegenden erinnert: Grässe, Lehrbuch der allgemeinen Literaturgeschichte (Dresd. 1837–60, 4 Bde. in 13 Tln.) und Handbuch der allgemeinen Literaturgeschichte (das. 1844–50, 4 Bde.); Scherr, Illustrierte Geschichte der Weltliteratur (10. Aufl. von Haggenmacher, Stuttg. 1900, 2 Bde.); A. Stern, Katechismus der allgemeinen Literaturgeschichte (3. Aufl., Leipz. 1892), Geschichte der Weltliteratur (Stuttg. 1887) und Geschichte der neuern L. von der Frührenaissance bis auf die Gegenwart (Leipz. 1882–85, 7 Bde.); Norrenberg, Allgemeine Literaturgeschichte (Münster 1881 bis 1882, 2 Bde.; 2. Aufl. 1896 ff.); v. Leixner, Illustrierte Geschichte der fremden Literaturen (2. Aufl., Leipz. 1898, 2 Bde.); De Gubernatis, Storia universale della letteratura (Mail. 1883–85, 18 Bde.); Karpeles, Allgemeine Geschichte der L. (neue Ausg., Berl. 1901, 2 Bde.); Alex. Baumgartner, Geschichte der Weltliteratur (bisher 5 Bde., Freib. 1897 bis 1905, in wiederholten Auflagen, vom katholischen Standpunkt); Diercks, Literaturtafeln (Dresd. 1878) und als die bedeutendste Gesamtdarstellung: M. Carriere, Die Kunst im Zusammenhange mit der Kulturentwickelung der Menschheit (3. Aufl., Leipz. 1876–86, 5 Bde.). Die groß angelegte und auf selbständiger Forschung beruhende »Allgemeine Geschichte der L. des Mittelalters im Abendland« von Ebert ist nur bis zum 3. Band (bis ums Jahr 1000 reichend) gediehen (Leipz. 1874–87; Bd. 1, 2. Aufl., das. 1889). Ausgewählte Proben enthalten: Weber, Literarhistorisches Lesebuch (Leipz. 1851–52, 3 Tle.); Scherr, Bildersaal der Weltliteratur (3. Aufl., Stuttg. 1884, 3 Bde.), und Wolff, Die Klassiker aller Zeiten und Nationen (Berl. 1859–77, 7 Bde.). Von neuern[614] lexikalischen Werken allgemeinen Inhalts sind anzuführen: Vapereau, Dictionnaire universel des littératures (2. Aufl., Par. 1884); Dantès, Dictionnaire biographique et bibliographique (das. 1875); De Gubernatis, Dictionnaire international des écrivains du jour (Flor. 1888–91). Beiträge zur allgemeinen Literaturkunde enthalten das »Archiv für Literaturgeschichte« (hrsg. von Fr. Schnorr v. Carolsfeld, Leipz. 1870–87, 15 Bde.), die »Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte« (hrsg. von Seuffert, Weim. 1888–93, 6 Bde.), die »Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte« (hrsg. von Mar Koch, Berl. 1886 ff.; Bd. 15 ff., hrsg. von Wetz und Collin, 1904 ff.), deren Abzweigung, die »Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte« (hrsg. von Koch, das. 1901 ff.), der »Euphorion« (hrsg. von A. Sauer, Bamb. 1894 ff.). Vgl. auch E. Grisebach, Weltliteraturkatalog (2. Aufl., Berl. 1905) und Artikel »Literaturzeitungen«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 614-615.
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