Italienische Literatur

[882] Italienische Literatur. 1. Periode bis Ende des 14. Jahrh. Das Erwachen der Poesie in Italien erfolgte durch den Einfluß der Provenzalen, in deren Form und Sprache die ersten ital. Dichter dichteten. Seit Anfang des 13. Jahrh. dichtete man in einheimischer Sprache, zuerst in Sizilien am Hofe Friedrichs II. (ältestes Gedicht das Liebesgespräch von Ciullo d'Alcamo), dann in Toskana wo Giudo Cavalcanti (gest. 1300) und Jacopone da Todi (gest. 1306) auftraten. Alle überragt weit Dante Alighieri, der Schöpfer der poet. Sprache der Italiener und der wissenschaftlichen Prosa; neben ihm glänzt Petrarca, der die rein lyrische Dichtung auf ihren Gipfelpunkt erhob; sein Vorgänger ist Cino da Pistoja (gest. 1336); unter seinen Nachfolgern ist nur Pucci als Begründer der burlesken Poesie nennenswert. Der dritte große Schriftsteller dieser Zeit (sog. Trecentisten) ist Boccaccio, der zuerst die Prosa in seiner Novellensammlung »Decamerone« künstlerisch behandelte; seine Nachfolger sind Sacchetti und Ser Giovanni (»Pecorone«). Der franz. Ritterroman ward nachgeahmt in den »Reali di Francia« von A. dei Magnabotti u.a. Bedeutendstes Geschichtswerk dieser Periode ist das des Giovanni Villani (gest. 1348), fortgesetzt von seinem Bruder und dessen Sohn.

2. Periode. Das 15. Jahrh. Infolge des erwachenden Eifers für die klassischen Studien ward die Muttersprache vernachlässigt; eine Hebung der nationalen Poesie geschah erste Ende des 15. Jahrh. von Florenz aus; Poliziano (gest. 1494) dichtete zierliche Stanzen, auch das erste unabhängige dramat. Werk (»Favola d'Orfeo«), während bisher nur die sog. Mysterien und Nachahmungen der Stücke des Plautus und Terenz üblich waren. Die romantischen Ritter-Epopäen nach franz. Muster wurden weiter ausgebildet durch Luigi Pulci (»Morgante maggiore«) und Bojardo (»Orlando innamorato«), den Vorläufer Ariosts. Durch Reinheit des Sinns und wahrhafte Frömmigkeit zeichnen sich in dieser frivolen Zeit die Gedichte (»Rime spirituali«) des Benivieni (gest. 1542), des Schülers Savonarolas, aus. Zahlreiche Lyriker: Bellincioni, Cammelli, Francesco Cei, Gasparo Visconti, Serafino Aquilano u.a.; die ital. Prosa nur vertreten durch Novellendichter (Masuccio Salernitano) und Historiker (Collenuccio, Corio etc.), auch zwei Künstler (Battista Alberti und Leonardo da Vinci).

3. Periode. Das 16. Jahrh. (Cinquecento). Die Durchdringung der klassischen und nationalen Richtung zeitigte die höchste Blüte der I. L.; mit der darauf folgenden Alleinherrschaft der nationalen Richtung beginnt bereits der Verfall. Die Hinneigung zur Antike zeigt sich noch in der »Italia liberata dai Goti« des Trissino und dem »Avarchide« und »Girone il cortese« des Alamanni. Das erste nationale Epos schuf Ariosto mit seinem »Orlando furioso«, dem nur Torquato Tasso mit seiner »Gerusalemme liberata« die Palme streitig machte. Die Neigung der Zeit zu lockerm Scherz und zur Satire erzeugte zahlreiche burleske und satir. Dichtungen, wie den »Orlandino« des Folengo, des ersten Bearbeiters der maccaronischen Poesie, »La guerra de'mostri« von Grazzini, und die sog. Capitoli, bes. von Berni (daher auch poesia Bernesca), von dem berüchtigten Aretino und dem harmlosen Bentivoglio. Die didaktische Poesie, in welcher Virgil als Muster galt, pflegten Alamanni, G. Rucellai, Erasmo da Valvasone, Baldi, Tansillo. Auch die Tragödie (Trissino, Rucellai, Tasso, Aretino u.a.) und die Komödie (Bibbiena, Ariosto, Macchiavelli, Cecchi) entstand aus der gelehrten Nachahmung der Alten; der gelehrten Komödie (Commedia erudita) stand die Volkskomödie [882] (Commedia dell'arte) gegenüber, aus der sich die echt ital. Masken bildeten. Das Schäferdrama (Pastorale) erreichte seine Blüte in der »Aminta« des Tasso und dem »Pastor fido« des Guarini; aus dem Gesang der Chöre hierin ging die Oper hervor, die bald das Lieblingsdrama der Italiener ward. Als Lyriker ragen neben Ariosto, Tasso, Guarini hervor: Bembo, Molza, Guidiccioni, Angelo di Constanzo, Michelangelo etc., die Frauen: Colonna, Gambara, Stampa, Tullia d'Aragona. Die Novelle wird vertreten durch Bandello, Firenzuola, Straparola; in dialogischer Form durch Bembo, Tasso, Speroni, Gelli (»Capricci del bottajo«), Castiglione. Zahlreiche polit. Schriftsteller und Geschichtschreiber, vor allen MachiavelliPrincipe«, »Istorie florentine«), ferner Guicciardini, Nardi, Bembo u.a. Kunstschriftsteller: Vasari, Palladio, Cellini; Literarhistoriker: Barbieri und Doni. Die Philosophie wird in dieser Periode selbständig behandelt von Cardano, Giordano Bruno, Vanini.

4. Periode. Das 17. Jahrh. Dasselbe bezeichnet den durch die kirchliche Reaktion herbeigeführten, bis Mitte des 18. Jahrh. dauernden Verfall der klassischen Studien und der Poesie. Dagegen erwachten die Naturwissenschaften, insbes. die Astronomie, zu hoher Blüte; hochverdient um dieselben machten sich Galilei und seine Schüler Torricelli, Cassini (Vater, Sohn und Enkel); ferner Malpighi und der Arzt und Dichter Redi. Auch ausgezeichnete philos. Schriftsteller traten auf; CampanellaPoesie filosofiche«), Vico etc. Geschichte schrieben: Davila, Bentivoglio, Giannone, Muratori, Maffei (letztere beiden mehr Sammler); Kirchengeschichte: Sarpi (»Das Tridentinische Konzil«); Kunstgeschichte: Baldinucci, Dati, Baglione; Literaturgeschichte: Rossi, Cinelli, Fontanini, Tiraboschi. Der verdorbene Geschmack in der Poesie gelangte durch die schlüpfrigen, antithesen-und gleichnisreichen, halb epischen, halb idyllischen Werke des Marini (bes. im Epos »Adone«) zur Herrschaft; er fand hierin wie auch als Lyriker mit seinen käuflichen Gelegenheitsgedichten viele schwülstige Nachahmer (Marinisten). Frei vom Marinismus hielten sich als Epiker Tassoni (»La secchia rapita«), als Lyriker Chiabrera und seine Schüler (Pindaristen), sowie Fulvio Testi. Eine neue, natürlichere Geschmacksrichtung in der Lyrik zeigte sich gegen Ende des Jahrhunderts, getragen vor allem durch die von Crescimbeni und Gravina 1690 gestiftete Akademie der Arkadier, am chrakarteristischsten hervortretend bei Frugoni, Manfredi, Zappi, Lemene. Außer dem komischen Epos »La secchia rapita« des Tassoni und dem »Ricciardetto« des Forteguerri haben kleinere solche Epen Bracciolini und Lippi gedichtet; von ernsten Heldengedichten ist nur »Il conquisto di Granata« des Graziani von Bedeutung. Die Novelle tritt zurück; das Drama, durch die Oper, welche durch Zeno und Metastasio dramatisch ausgebildet wurde, verdrängt, macht sich nur in geschmacklosen Nachahmungen erst span., später bes. franz. Stücke (Martelli, Maffei) geltend, dagegen blühte noch die Commedia dell'arte (Scala, Fiorello).

5. Periode. Von Mitte des 18. Jahrh. bis zur Gegenwart. Die allmähliche Umwälzung in der nationalen Literatur ward durch den Aufschwung des öffentlichen Lebens vorbereitet und begleitet; die Erneuerung der klassischen Studien, die Nacheiferung Dantes, der Einfluß der engl. und deutschen Literatur und der sich entwickelnde Journalismus übten eine bessernde Wirkung auf dem Geschmack aus. An der Spitze dieser Bewegung steht Gozzi (gest. 1786), neben ihm Baretti (gest. 1789). Von großer Bedeutung war die Übersetzung des Ossian von Cesarotti und die Dichtung »Il Giorno« von Parini für die didaktisch-epische, wie des letztern Oden für die lyrische Poesie. In letzterer zeichneten sich später bes. Pindemonte, Fantoni (Labindo) und Foscolo aus. Bertola, als Fabeldichter ausgezeichnet, führte die Idyllen Geßners in Italien ein; Spolverini, Imperiali, Lorenzo, Betti und Arici verfaßten eigentliche Lehrgedichte. Der Umschwung in der Literatur wurde aber erst durch die Befreiung der ital. Bühne von dem franz. Einfluß und das Aufblühen des Dramas vollendet. Reformator der Komödie wurde Goldoni, Schöpfer der nationalen Tragödie Alfieri, welchem Monti (gest. 1828), als Dramatiker und Lyriker bedeutend, folgte. Der mit dem 2. Jahrzehnt des 19. Jahrh. beginnende Kampf zwischen Klassizismus und Romantizismus schlug zugunsten des letztern aus, dessen Haupt Manzoni, auch als Lyriker und Dramatiker ausgezeichnet, durch seine »Promessi sposi« Schöpfer des ital. geschichtlichen Romans wurde, während Leopardi dem Weltschmerze klassische Gestaltung gab. Beider Zeitgenossen wirkten namentlich durch ihre patriotischen Tendenzdichtungen; so die Tragödiendichter Niccolini und Pellico, ferner Giacometti, Marenco, di Ventignano, Gualteri, Fortis, Revere (bes. Lyriker) und Dall'Ongaro. Den vaterländischen histor. Roman pflegten nach Manzoni bes. Grossi, Guerrazzi, Carcano, d'Azeglio (Verlasser der »I mei ricordi«). Polit. und satir. Gedichte schrieb bes. Giusti (gest. 1850); andere patriotische Lyriker waren: Berchet, Fusinato, Rossetti, Mameli, Poerio, Nievo. Als Dichter von Operntexten hatte Romani den meisten Erfolg. Als legitimer Nachfolger Goldonis galt Giraud. In der 2. Hälfte des 19. Jahrh. beherrschte das franz. Sittendrama und die franz. Posse die ital. Bühne, später führte man auch deutsche Lustspiele und im letzten Jahrzehnt Sudermann, Ibsen und Hauptmann mit großem Erfolg auf. Von den ital. Lustspieldichtern ist neben Nota nur del Testa, Ferrari, Suñer und Bersezio zu nennen. Dagegen erlangten mehrere moderne dramat. Dichter großen Ruf, so: Verga, Giacosa, Praga, Illica, Bracco, Rovetta, Gallina, auch Martini und Cavallotti (gest. 1898). Als kraftvoller Lyriker offenbarte sich Carducci, um ihn sammelten sich Stecchetti, Ferrari, Pascoli, Mazzoni, Rossi u.a. Als deren Gegner sind zu nenen: Aleardi, Prati, Revere, Zanella, ferner Rapisardi, Graf, Marradi und Vanni. Von den dichtenden Frauen der neuesten Zeit sind die hervorragendsten Ada Negri, Anna Vivanti und Vitt. Aganoor. Der eigenartigste unter den jüngern Lyrikern ist d'Annunzio, der auch unter den Romanschriftstellern der Gegenwart die erste Stelle einnimmt und auch einige Dramen schrieb. Neben ihm sind auf dem Gebiete des Romans am bedeutendsten: Verga, Donati, Fogazzaro, Farina, Barili, Matilde Serao, Neera, Ranieri, Rovetta, Colauti, Maruzzi, Ojetti, Capuana, Dalbalzo, Butti, de Roberto, Corradini, Novaro, Grazia Deledda; als Novellendichter: Giacosa, Mantovani und de Amicis. Dialektdichter sind: die Römer Belli und Pascarella, der Mailänder Porta, der Piemontese Brofferio, der Sizilianer Meli. Die wissenschaftliche Geschichtschreibung gelangte auch erst seit dem polit. Umschwunge zur Blüte; außer Denina, Carlo Botta und Colletta behandelten die Geschichte Italiens: Zeni, Cesare Balbo, Bocchi, Troya, Amari, Farini, Ranalli, Carutti, Villari, Tommasini, Tivaroni. Die erste Weltgeschichte schrieb Cantù; kriegsgeschichtliche Werke: Ricotti und d'Ayala. Die Kirchengeschichte behandelten Tosti, Balzani, Pais, Chiala; die nationale Kunst: Graf, Fumi, Venturi, Cavalcaselle; die Literatur: Settembrini, de Sanctis, Imbriani, Bartoli, d'Ancona, de Gubernatis, Morandi u.a. Auf histor.-polit. Gebiete waren d'Azeglio, Balbo, Gioberti, Mazzini von Einfluß; von ältern und neuern Philosophen sind zu nennen: Romagnosi, Rosmini, Ferrari, Gioberti, Mamiani, Ardigo, Barzellotti, Ferri, Mariano, Morselli, Tocco, Conti, die Hegelianer Vera, Spaventa und der Materialist Trezza. Ebenso ist Italien auf den übrigen Gebieten der Wissenschaft seit der Emanzipation vom kirchlichen Einfluß rasch vorwärts geschritten. – Vgl. Ebert (1864), Gaspary (1885-88), Wiese und Pèrcopo (1898), Rossi (ital., 1900), Ferrari (1901).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 882-883.
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