Messen [1]

[658] Messen (Handelsmessen), Märkte, die sich von den gewöhnlichen Jahrmärkten nur durch ihren größern Umfang, längere Dauer und größere Zahl der Besucher unterscheiden; insbes. die längere Zeit andauernden, vorzugsweise für den Großhandel bestimmten Märkte. Einen gesetzlichen Unterschied zwischen M. und Märkten kennt die deutsche Gewerbeordnung nicht. M. sind bei wenig entwickeltem Verkehr unentbehrliche Sammelpunkte von Angebot und Nachfrage, die eine vollständigere Übersicht über Bedarf und Vorrat gewähren, größern Absatz und sicherere Deckung mannigfaltigen Bedarfs ermöglichen. Die meisten M. sind im Anschluß an kirchliche Feste entstanden, die große Menschenmengen und mit diesen viele Handelsleute herbeizogen. So erwuchs besonders um größere Kirchen ein vollständiger Marktverkehr. Der deutsche Name »Messe« sowie das Ein und Ausläuten der M. erinnern an die Entstehung dieser Märkte aus der kirchlichen Messe. Im mohammedanischen Orient sind noch jetzt die heiligen Städte, wie Mekka mit seiner Kaaba in Arabien, Hardwar in Ostindien, als Zielpunkte großer Wallfahrten auch gleichzeitig Hauptpunkte des Marktverkehrs. Seit dem 13. Jahrh. waren die durch große Privilegien geschützten M. die wichtigsten Veranstaltungen im Großhandel des Binnenlandes. Hier fanden sich Groß- und Kleinhändler zusammen, um Einkäufe zu machen oder an andre Kaufleute ihre Waren abzusetzen. An den Warenverkehr schloß sich mehr und mehr der Geld- und Wechselverkehr an. Im 12. und 13. Jahrh. waren die M. der Champagne die bedeutendsten; seit dem 14. Jahrh. rücken im Norden Brügge und Antwerpen, im Süden Lyon und Genf in den Vordergrund; infolge der veränderten Züge der orientalischen Waren dann Frankfurt a. M., der Verkehr nach den östlichen Gebieten brachte Frankfurt a. O. und Leipzig in die Höhe. An sonstigen M., deren es noch eine große Anzahl gab, waren besonders bekannt die zu Sinigaglia und Bergamo in Italien, Medina del Campo in Spanien, Nishnij Nowgorod in Rußland. Da die M. nicht allein gemeinnützig waren, sondern auch dem Landesherrn reiche Einnahmen erbrachten, so suchte man sie durch verschiedene Verordnungen und Veranstaltungen, die den Meßverkehr sicherten, erleichterten und regelten, besonders zu heben. Man bewilligte den Meßbesuchern gewisse Meßfreiheiten und Meßprivilegien, ermäßigte die Zölle und Geleitsgelder, milderte oder suspendierte das Repressalien- und Retorsionsrecht, befreite die Marktbesucher vom Personal- und Güterarrest wegen früherer Verbindlichkeiten, mit Ausnahme der auf den M. eingegangenen, und gewährte ein Asylrecht. Den Meßplätzen wurde das Recht der Warenniederlage (Zwang zur Benutzung der städtischen Speicher gegen eine Abgabe), das Münzrecht, das Zollerhebungsrecht, freier Handel während der Meßzeit (Befreiung von dem sonst geltenden Innungszwang), Veranstaltung von Lustbarkeiten aller Art, zeitweilige Gestattung sonst verbotener Spiele etc. verliehen. Von besonderer Bedeutung war die Errichtung eines eignen Meßgerichts, das in allen zwischen den Meßbesuchern entstandenen Rechtsstreitigkeiten nach dem Meßrecht ohne die üblichen Formalitäten mit beschleunigtem Verfahren entschied. Die Gesamtheit der die Messe betreffenden Verfügungen bilden die Meßordnungen. Die Zeit der Abhaltung der M. richtete sich nach dem Klima (Benutzbarkeit der Land- und Wasserstraßen) und nach den Produktionsverhältnissen (Ernte) des Landes. Bezüglich der Meßzeit selbst sind zu unterscheiden die für die eigentlichen Meßgeschäfte bestimmten Meßtage und die zur Abrechnung und zur Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten festgestellten Zahltage. Die größern M. haben ihre eigentliche Meßwoche und ihre eigne Zahlwoche, letztere aber meist mit einem bestimmten Zahltag oder sogen. Skontro. Gewöhnlich werden jedoch schon vor dem Eintritt der Meßwoche, oft in der gar nicht zur Messe gehörigen Vorwoche, die wichtigsten Geschäfte des Großhandels abgeschlossen, weil sich die Einkäufer in der Auswahl aus den Vorräten zuvorkommen wollen. Nicht alle in der laufenden Messe entstandenen Schuldverpflichtungen werden auch während der Dauer derselben erledigt, vielmehr erfolgen viele Käufe auf Kredit mit Fälligkeit der Zahlung in der nächsten oder einer der nächsten M. Schon frühzeitig wurden auf vielen M. Geschäfte auf Lieferung nach Proben und mit Zahlfrist bis zur nächsten Messe abgeschlossen; ja, einige M., wie im 16. Jahrh. die zu Lyon, Besançon, Medina del Campo und Piacenza, nahmen vorwiegend den Charakter von Abrechnungstagen an. Zahlung und Einkassierung von Meßwechseln vereinigten sich in den Händen von wenigen Bankiers. Infolgedessen dienten auch die M. in ähnlicher Weise zur Ausgleichung gegenseitiger Forderungen wie die heutigen Clearinghouses. Während die M. mit wirklicher Warenzufuhr in Ländern mit mangelnden Transportmitteln noch heute von großer Wichtigkeit sind (wie die zu Kiachta, zu Nishnij Nowgorod), haben sie in andern mit zunehmender Entwickelung und Sicherheit des Verkehrs ihre alte Bedeutung mehr und mehr eingebüßt, oder sie behaupten sich mit Erfolg nur noch dadurch, daß sie mehr und mehr den Charakter von Gewerbeausstellungen und Musterlagern annehmen, die Gelegenheit zu reicherer Auswahl von Neuem, zur Annahme von Bestellungen und zu Abrechnungen bieten. Oft sind an ihre Stelle Börsen getreten. Dagegen haben die Spezialmärkte mit ihrem heutigen großen Umfang vielfach den Charakter der M. angenommen, insbes. für solche Güter, die, wie Vieh, Pferde, dann auch mancherlei Rohstoffe, einen persönlichen Verkehr erfordern. Die wichtigsten deutschen M. sind diejenigen in Leipzig (Oster- und Michaelismesse; s. Leipzig, S. 380 f.), dann die M. in Frankfurt a. M. (Frühjahrs- und Herbstmesse), ferner die M. in Frankfurt a. O.[658] (Margareten-, Reminiszere- und Martinimesse), deren Hauptverkehr nach dem Osten (Polen, Ost- und Westpreußen, Schlesien und Pommern) gerichtet ist, die Tuchmesse in Augsburg, die Braunschweiger M. (Lichtmesse und Laurentiusmesse). Die übrigen in Deutschland noch bestehenden M. sind nur noch als Jahrmärkte zu betrachten. Nur der »Umschlag« in Kiel mag noch eine Erwähnung verdienen, weil er zugleich eine Geldmesse für den Umsatz von Hypothekenkapitalien ist. Von den außerdeutschen M. in Europa sind besonders wichtig: diejenigen von Basel in der Schweiz; Pest und Debreczin in Ungarn; Sinigaglia, Alessandria und Bergamo (Seide) im Königreich Italien; Beaucaire, die wichtigste französische, ehemals ungleich bedeutender; Nishnij Nowgorod, Irbit, Poltawa und Charkow in Rußland, deren Besucher zum großen Teil aus dem Innern Asiens kommen; ferner Usundschowa und Tultscha in der Türkei. Von den außereuropäischen M. sind vorzüglich zu nennen: diejenigen von Tanta in Oberägypten, Kiachta im südlichen Sibirien, Mekka in Arabien und Hardwar in Hindostan. Über die Buchhändlermesse in Leipzig s. Buchhandel. Vgl. Philippi, Beiträge zur Geschichte und Statistik der deutschen M. (Frankf. a. O. 1857) und Die M. der Stadt Frankfurt a. O. (das. 1877); Hasse, Geschichte der Leipziger M. (Leipz. 1885); Chaffignet, Essai historique sur les foires françaises an moyen-âge (Nancy 1890); Artikel »Märkte und M.« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 5 (2. Aufl., Jena 1900; dort auch weitere Literatur).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 658-659.
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