[691] Metaphysik (griech.), die Wissenschaft von den letzten Gründen des Seins, deren Name nach der gewöhnlichen Ansicht daher kommt, daß in der Sammlung der Schriften des Aristoteles die dem Inhalt nach der M. entsprechende »erste Philosophie« hinter der Physik folgte. In der Tat bildete auch das äußere Sein, die Natur, anfänglich den Hauptgegenstand der metaphysischen Forschung, doch wurden im Laufe der Zeit auch die Fragen nach dem Wesen der Seele und dem der Gottheit in ihren Bereich gezogen und die M. demgemäß in die vier Abschnitte der Ontologie, Kosmologie, rationalen Psychologie und Theologie eingeteilt (vgl. diese Artikel). Während ferner die ionischen Naturphilosophen, die zuerst die Frage nach dem Grundprinzip aller Dinge unabhängig von religiösen Vorstellungen zu beantworten suchten, dieses im Bereich der Sinnenwelt zu finden glaubten (indem z. B. Thales die Feuchtigkeit, Anaximenes die Luft als solches betrachteten), waren es die Eleaten, die zuerst einen Unterschied machten zwischen den vergänglichen und trügerischen Erscheinungen der Sinnenwelt und dem unvergänglichen wahrhaft Seienden, das nur im Denken erfaßt werden könne, und dadurch auf mehr als zwei Jahrtausende der M. ihre Richtung gaben. Hiernach will die M. im Gegensatz zu den empirischen Wissenschaften, die an der Hand der Erfahrung den Zusammenhang der Erscheinungen (Phänomene) zu erforschen suchen, die Erkenntnis der nicht selbst erscheinenden, aber allen Erscheinungen zugrunde liegenden wahren Wesenheiten (der Noumena) vermitteln, sie will über die Erfahrung hinaus zu den unerfahrbaren (transzendenten) Gründen des Seins fortschreiten, von dem Bedingten zum Unbedingten (Absoluten) gelangen. Je nachdem nun dabei ein besonderes Organ für die Erkenntnis des Transzendenten vorausgesetzt oder diese auf dem Wege der logischen Bearbeitung der Erfahrungstatsachen gesucht wird, gewinnen die metaphysischen Systeme einen verschiedenen methodologischen Charakter. Die rationalistischen Systeme (zu denen diejenigen von Platon, Aristoteles, Descartes, Spinoza, Leibniz, Fichte, Hegel u. a. gehören) stützen sich auf die Annahme, daß die menschliche Vernunft durch die ihr angebornen reinen (nicht der Erfahrung entstammenden) Begriffe zur Erkenntnis des transzendenten Seins befähigt ist, und daß es nur darauf ankomme, diese reinen Vernunftbegriffe zu entwickeln und untereinander zu verknüpfen; ihre Methode ist also eine synthetisch-deduktive. Andre (wie die Mystiker, aber auch Schelling, Schopenhauer) nehmen an, daß der menschliche Geist des Absoluten durch eine Art übersinnlicher (»intellektualer«) Anschauung unmittelbar inne werden könne, und kennen deswegen keine andre Methode als die geniale Intuition. Im Gegensatz zu beiden Richtungen betrachten die empiristischen Systeme (deren bedeutendste diejenigen von Herbart, Lotze und v. Hartmann sind) die Erfahrung als die Grundlage, von der ausgegangen werden müsse, um schrittweise die richtige Auffassung des Transzendenten zu gewinnen; ihre Methode ist demnach eine analytischinduktive. In Verbindung hiermit steht auch die Verschiedenheit der Ansichten über das Verhältnis der M. zu den Erfahrungswissenschaften, insbes. zur Naturwissenschaft. Während die Eleaten und Platon nur die M. als wahre Wissenschaft gelten ließen und die Möglichkeit einer Wissenschaft von den Erscheinungen überhaupt bestritten, erkennt die rationalistische M. der Neuzeit die Erfahrung zwar als Erkenntnisquelle an, beansprucht aber für sich selbst einen höhern Rang, weil durch die Erfahrung nur das äußere Neben- und Nacheinander der Dinge, nicht aber die letzten Gründe ihres Zusammenhangs erkannt würden. Dagegen bestreiten die empiristischen Systeme, daß die M. unabhängig von den Erfahrungswissenschaften überhaupt zu positiven Resultaten gelangen könne, und betrachten sie vielmehr nur als die Spitze des auf dem Boden der Erfahrung errichteten Wissensgebäudes. Neben den methodologischen Unterschieden der Systeme der M. gehen nun nicht minder starke materielle (auf den Inhalt bezügliche) einher. Wird die physische Welt für Schein, aber auch ihre Grundlage, die metaphysische, für das »Nichts« erklärt, wie es der indische Buddhismus tut, so nimmt die M. einen nihilistischen Charakter an. Wird die phänomenale Welt in bloße »Vorstellung« verwandelt, das dieselbe vorstellende (unendliche oder endliche) Subjekt für das einzige Reale erklärt, so geht die M. in (absoluten oder relativen) Idealismus über, wie in dem »Welttraum« Brahmas der indischen Wedantaphilosophie, in Berkeleys empirischem, Fichtes und seiner Nachfolger subjektivem, objektivem und absolutem Idealismus. Wird sie dagegen als »Erscheinung« (eines oder mehrerer) realer (geistiger, materieller oder indifferenter) Wesen angesehen, so nimmt die M. realistischen Charakter an. Sie ist Monismus, wenn der gesamten Erscheinungswelt ein einziges (Alleinheitslehre: Spinoza), Pluralismus, wenn ihr mehrere oder unbestimmt viele ursprünglich Seiende (Allvielheitslehre: Herbart) zugrunde gelegt werden, Spiritualismus, wenn der realen Grundlage aller Erscheinungen geistige (Materie als Phänomen des Geistes: Leibniz), Materialismus, wenn ihr körperliche (Geist als Phänomen der Materie: Holbach), Dualismus, wenn ihr teilweise geistige, teilweise körperliche (Platon, Aristoteles, Descartes), Identitätslehre, wenn ihr von je verschiedenem Gesichtspunkt aus sowohl geistige als körperliche (Spinoza, Schelling), Pantheletismus (Voluntarismus), wenn ihr weder geistige noch körperliche Beschaffenheit beigelegt und sie vielmehr als »blinder Urwille« (Schopenhauer) bezeichnet wird. Nach ihrem Verhältnis zum Gottesbegriff ist die M. entweder Atheismus oder Pantheismus oder Deismus oder Theismus (s. diese Artikel). Zu keiner Zeit hat es übrigens an Denkern gefehlt, die der M. überhaupt feindlich gegenüberstanden und[691] ihre Bemühungen für illusorisch erklärten (metaphysischer Skeptizismus). Ihren entschiedensten Ausdruck hat diese Opposition in dem durch Locke und Hume begründeten, in unserm Jahrhundert hauptsächlich durch Comte zur Geltung gebrachten Positivismus (der alles Erkennen auf die Objekte der Erfahrung, also auf Erscheinungen beschränkt), in dem Agnostizismus Spencers, besonders aber in dem Kritizismus Kants gefunden, welcher der (rationalistischen) M. vorwarf, daß sie dogmatisch, d. h. ohne genauere Prüfung der Erkenntnisfähigkeit unsers Geistes, den gesicherten Boden der Erfahrung verlasse, und zu dem Resultat gelangte, daß mit Hilfe der reinen Verstandesbegriffe zwar die Existenz, nicht aber die Beschaffenheit der den Erscheinungen zugrunde liegenden »Dinge an sich« bestimmbar, und daß deshalb die M. eine trügerische Scheinwissenschaft sei. Trotzdem führten in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. Fichte, Schelling und Hegel einerseits, Schopenhauer und Herbart anderseits einen neuen Aufschwung der M. herbei, indem jene von dem erkenntnistheoretischen Idealismus Kants aus zum metaphysischen Idealismus gelangten, diese durch Beseitigung der Lehre von der Unerkennbarkeit der »Dinge an sich« sich den Weg frei machten. Die willkürlichen und teilweise geradezu phantastischen Begriffskonstruktionen der idealistischen M., die von ihr bekundete Verachtung des Erfahrungswissens brachten jedoch die M. bald wieder, besonders bei den Naturforschern, in tiefen Mißkredit, und auch der Neukantianismus (s. d.) wollte sie lediglich als »Begriffsdichtung« (F. A. Lange) gelten lassen. Daß indes dieser rein negierende Standpunkt sich auf die Dauer nicht festhalten läßt, beweist das Auftreten des sich zwar für ein Resultat empirischer Forschung ausgebenden, in Wahrheit aber selbst ein metaphysisches System darstellenden naturwissenschaftlichen Materialismus, der durch seine Einseitigkeit die entgegengesetzten Verirrungen des Spiritismus und Okkultismus herausforderte. In der Gegenwart tritt auf allen Gebieten das Streben nach einer besonnenen spekulativen Ergänzung des wissenschaftlichen Weltbildes immer stärker hervor; das lebhafte Interesse an den Fragen der Naturphilosophie einer-, der Religionsphilosophie anderseits ist neuen metaphysischen Systembildungen günstig, die teils (in Anlehnung an Lotze) theistisch, teils pantheistisch und im letztern Falle vorwiegend voluntaristisch oder idealistisch sind. Daneben behauptet freilich auch die radikale Opposition in dem Empiriokritizismus Avenarius' und dem Phänomenalismus Machs ihren Standpunkt. Vgl. außer den Werken der angeführten Denker: E. v. Hartmann, Geschichte der M. (Leipz. 18991900, 2 Bde.); Volkelt, Über die Möglichkeit der M. (Hamb. 1884); Kirchner, Die Hauptpunkte der M. (Köthen 1880); Deussen, Die Elemente der M. (3. Aufl., Kiel 1902); Eucken, Die Einheit des Geisteslebens (Leipz. 1888); Bergmann, System des objektiven Idealismus (Marburg 1903); Reinke, Die Welt als Tat (4. Aufl., Berl. 1905); Heymans, Einführung in die M. auf Grundlage der Erfahrung (Leipz. 1905).
Buchempfehlung
Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro