[710] Methodisten, eine aus der anglikanischen Kirche hervorgegangene Religionsgesellschaft, die keine neue Lehre einführen, sondern, ähnlich wie die Pietisten und Labadisten auf dem Festlande, das Christentum verinnerlichen und praktisch fruchtbar machen wollte. Deshalb wurden ihre Mitglieder spottweise M., d. h. solche, welche die Frömmigkeit nach der Methode betrieben, ihre Richtung und Denkart Methodismus genannt. Gründer des Methodismus waren die Brüder John und Charles Wesley (s. d.), die 1729 in Oxford einen geistlichen Verein gründeten, der sich gemeinsames Beten und Lesen der Bibel, häufige Abendmahlsfeier, Verkündigung des Evangeliums dem unwissenden Volk, Besuch und Bekehrung der Kranken und Gefangenen zu Zwecken setzte. Die beiden Wesley wirkten seit 1735 besonders in Amerika, namentlich in Neugeorgia; aber erst nach ihrer Rückkehr entstand 1739 durch den seit 1735 mit ihnen verbundenen George Whitefield (s. d.) eine förmlich organisierte Gemeinschaft, nachdem die Geistlichen der bischöflichen Kirche den methodistischen Predigern die Kanzel verboten hatten. Notgedrungen von der englischen Kirche abgelöst, predigten sie zuerst auf freiem Felde, dann in besondern Kapellen. Auch in Schottland (seit 1741) und Irland (seit 1747) verbreiteten sich die M. rasch, namentlich unter dem niedern Volk, infolge des bedeutenden Rednertalents Wesleys und mehr noch Whitefields. Durch die frühere, jedoch schon 1740 wieder gelöste Verbindung mit der Brüdergemeinde, die Wesley in Amerika und Deutschland kennen gelernt hatte, hat die ursprüngliche Verfassung der M. manches aus der herrnhutischen aufgenommen (Bandgesellschaften [bands] und select societies. d. h. intimere Kreise der Begnadigten innerhalb des größern Teiles der united societies). Diese Verfassung wurde jedoch verdrängt durch das 1742 von Wesley eingeführte Klassensystem. Zur gegenseitigen Förderung in der Heiligung teilt sich eine Gemeinde in Klassen mit vierteljährlich erneuerten Mitgliederkarten[710] (society-tickets), gewöhnlich von etwa 20 Personen gleichen Geschlechts und gleicher Lebensverhältnisse, jede unter einem Vorsteher (class leader). Mehrere Gemeinden sind zum Bezirk (circuit) unter Leitung eines Superintendenten vereinigt. Gemeinsame Liebesmahle (love feast) werden gehalten. Das Ritual ist das der bischöflichen Kirche, nur mit Hervorhebung des Gesanges. Auch im Dogma weichen die M. nicht von der englischen Kirche ab, nur betonen sie die fortgehende unmittelbare Wirkung des Heiligen Geistes und machen die Bekehrung von seiner wunderbar mächtigen und plötzlich eingreifenden Wirksamkeit abhängig. Innerhalb der M. gab seit 1769 die Lehre von der Gnadenwahl Anlaß zur Spaltung, da Whitefield und seine Anhänger an der partikularen Gnadenwahl festhielten, während Wesley und Fletcher den Universalismus der Gnade lehrten. Die Eigentümlichkeit des Methodismus liegt indessen nicht auf theologischem Gebiet, sondern in strengster seelsorgerischer überwachung jedes Einzelnen und intensiver Liebestätigkeit. An der Spitze der M. steht seit 1744 die jährliche Generalkonferenz. Sie beschließt über die Disziplin und ernennt die Bischöfe für die einzelnen Distrikte sowie die Prediger (ministers), die für je drei Jahre einem Bezirk zugeteilt und in den Einzelgemeinden von Laienpredigern mit bürgerlichem Beruf unterstützt werden. Besondere Beamte (stewards) besorgen die ökonomischen Angelegenheiten. Für Nordamerika weihte Wesley 1784 in der Person des Thomas Coke einen besondern Superintendenten, der den Titel eines Bischofs annahm und Begründer der Methodist Episcopal Church (mit besonderer, in einer vierjährig zusammentretenden Generalkonferenz gipfelnden Verfassung) wurde; ihr trat als Missionskirche eine deutsche bischöfliche Methodistenkirche, 1849 von L. S. Jacoby gegründet, zur Seite. Erst auf dem amerikanischen Boden entfaltete der Methodismus seinen ganzen Bekehrungseifer in den großen Versammlungen, die entweder in den Städten stattfinden und dann Revivals (Wiederbelebungen, Erweckungen) heißen, oder auf dem Land unter dem Namen Camp meetings veranstaltet werden-methodisch ins Werk gesetzte Erschütterungen des Gemüts, die so lange fortgesetzt werden, bis sich die Erregtheit der Gemeinde unter Seufzen und Schluchzen in wildem Geheul steigert und mit konvulsivischem Gebaren endigt; daher der Name Jumpers (»Springer«). Trotz vieler krankhafter Auswüchse hat der Methodismus die verwilderten Massen der Neuen Welt vielfältig in eine wohltätige Zucht genommen und namentlich auf die Sklavenbevölkerung erhebend eingewirkt. Übrigens gab 1845 die Sklavenfrage Veranlassung zu einer Spaltung der M. in den Vereinigten Staaten in eine Nord- und eine Südkirche, und 1830 spaltete sich die Methodist Protestant Church mit kongregationalistischer Verfassung ab. Aber auch in England fanden beständige Separationen innerhalb der M. statt, und namentlich bildete sich 1797 nach dem Tode Wesleys wegen Unzufriedenheit mit der von ihm hinterlassenen Erklärungsurkunde (deed. f declaration), die alle Macht in die Hände der Generalkonferenz legte, die Partei der Neuen M. (New Connexion). Gleichfalls im Widerspruch mit der Allgewalt der Konferenz bildete sich 1810 unter dem Namen Primitive Methodists oder Ranters (Schwärmer) eine zur ursprünglichen Einfachheit zurückgekehrte Sekte, die auch den Frauen das Predigen gestattet und auch in Amerika vertreten ist. Gleichfalls durch Laienvertretung unterschieden sich seit 1835 noch die London Wesleyan Methodists Association und seit 1857 die United Methodist Free Churches. Infolgedessen hat 1877 auch die Mutterkirche ihre Konferenz zur Hälfte aus Laien bestellt. Seit 1814 entstanden zwei methodistische Missionsgesellschaften für äußere und innere Mission. Temperenzgesellschaften, Diakonievereine etc. sind organisiert. Die M. auf dem Kontinent gehören überwiegend der amerikanischen bischöflichen Methodistenkirche an: so in der Schweiz, vorzüglich im Kanton Waadt, wo sie das Volk spottend als Mômiers (s. d.) bezeichnet, und in Deutschland, namentlich in Württemberg und Bremen (s. auch Albrechtsleute). Seit 1859 wurden die amerikanischen »Erweckungen« zuerst in Großbritannien, dann mit steigendem Erfolg auch auf dem Festland in Szene gesetzt, so besonders 1875 durch Pearsall Smith, Sankey und Moody; s. Gemeinschaftsbewegung. In Frankreich haben die M. besonders seit der Julirevolution 1830 durch ihre Beteiligung an der Société Evangélique (s. Evangelisation), durch einen Lehrstuhl an der Fakultät Montauban und durch Verbreitung von Bibeln und Traktätchen an Bedeutung gewonnen. Die Gesamtzahl der M. wurde 1901 auf dem alle 10 Jahre tagenden ökumenischen Konzil aller M. auf über 7,5 Mill. geschätzt. Die amerikanisch bischöfliche Methodistenkirche zählte 1904: 3,031,918 (Deutschland ca. 21,000) Mitglieder. Neben den beiden bischöflichen Kirchen Nord und Süd bestehen in Amerika noch acht selbständige Negergemeinschaften, dazu die Protestant Church (s. oben), die amerikanischen Wesleyaner, die Kongregationalisten, die neuen Kongregationalisten, die freien M., die Independenten. Bei der starken Unionstendenz ist eine Vereinigung sämtlicher M. in absehbarer Zeit möglich. Aus den Wesleyanischen M. in England ist die Heilsarmee (s. d.) hervorgegangen.
Vgl. außer der Literatur beim Artikel »Wesley«: G. Smith, History of Wesleyan methodism (Lond. 185962, 3 Bde.); Jacoby, Geschichte des Methodismus (Brem. 1871); Stevens, History of methodism (neue Ausg., Lond. 1878, 3 Bde.; Auszug 1885); Jüngst, Der Methodismus in Deutschland (2. Aufl., Gotha 1877); Lecky, Entstehungsgeschichte und Charakteristik des Methodismus (deutsch, Leipz. 1880); Williams, The constitution and polity of Wesleyan methodism (Lond. 1881); Crookshank, History of methodism in Ireland (das. 188586, 2 Bde.); Atkinson, Centennial history of American methodism (New York 1885) und The beginnings of the Wesleyan movement in America (das. 1896); Kolde, Der Methodismus und seine Bekämpfung (Erlang. 1886); Neely, The evolution of episcopacy and organic methodism (New York 1888); Nippold, Handbuch der neuesten Kirchengeschichte, Bd. 4 (3. Aufl., Berl. 1892); Curtis, Methodist episcopal church history in the United States (New York 1893); Buckley, History of methodism in the United States (das. 1897, 2 Bde.); Loofs und Nuelsen in der »Realenzyklopädie für protestantische Theologie«, 3. Aufl., Bd. 12 u. 13 (Leipz. 1903); J. F. Hurst, The history of methodism (New York 190204, 7 Bde.) und das in London erscheinende »Wesleyan methodist connexial Record and Yearbook«. M. ist auch Bezeichnung für die jesuitischen Schriftsteller, die im 17. Jahrh. den Protestantismus nach einer bestimmten dialektischen Methode bekämpften.
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