Sünwasserfauna

[216] Sünwasserfauna (hierzu Tafel »Süßwasserfauna I u. II«), die Tierwelt des süßen Wassers im Gegensatz zur Meeresfauna. Entsprechend dem geringern Umfang der Wasserbecken und Wasserläufe des Süßwassers gegenüber demjenigen der Meere steht die S. der marinen Fauna an Zahl der Individuen und Arten bedeutend nach; ihr fehlen besonders Manteltiere und Armfüßer (Brachiopoden), Stachelhäuter, sodann Radiolarien, Sternwürmer, Pfeilschwanzkrebse, Tintenschnecken völlig; Schwämme und Cölenteraten sind in verschwindend geringem Maß[216] vertreten. Dafür sind der S. eigen zahlreiche Amphibien und Insekten, von denen nur wenige marine Formen bekannt sind. In der S. sind von Tieren, die ausschließlich im Wasser leben, vertreten: sämtliche Amphibien während des Larvenstadiums, Fische, eine Anzahl Arten der Schnecken und Muscheln sowie einige Larven der letztern (Tafel II, Fig. 10 u. 11), Moostierchen (Tafel II, Fig. 4, 5 u. 9), viele Insekten und Insektenlarven, Spinnentiere, Bärtierchen (Tafel II, Fig. 8), Krebstiere, Ringel-, Platt- und Rundwürmer, Rädertiere, Gastrotrichen (Tafel II, Fig. 1, 2, 3, 6, 7; Tafel I, 11, 12 u. 14), ferner einige Gattungen der Hydroidpolypen (Tafel I, Fig. 13) und ein paar Quallen als gelegentliche Süßwasserbewohner sowie einige jetzt in mehrere Gattungen zerlegte Süßwasserschwämme als einzige Vertreter der Schwämme (Tafel I, Fig. 8 u. 10), endlich viele Protozoen, die sehr zahlreich durch Wurzelfüßer, Geißeltierchen und Wimperinfusorien vorhanden sind (Tafel I, Fig. 1–7 u. 9). Die S. ist je nach der Art der Gewässer recht verschiedenartig, große Seen bieten ganz andre Lebensbedingungen als kleine Teiche oder Tümpel und ebenso entfaltet sich das Tierleben in großen Strömen anders als in kleinen Bächen, anders in fließenden als in stehenden Gewässern. Manche Gewässer trocknen zeitweise aus, es kommen eigenartige Bedingungen hinzu wie bei denen, die in Torfmooren oder hoch im Gebirge liegen (vgl. unten). Auch spielt, wie gerade bei den letztern, die Höhe der zu verschiedenen Jahreszeiten wechselnden oder unter andern Verhältnissen ziemlich konstant bleibenden Temperatur eine Rolle. In großen Gewässern, wie in Strömen und besonders in Seen, ist es von Bedeutung, ob die Tiere der zumeist besser mit Pflanzen bestandenen Uferzone angehören oder mehr im freien Wasser an dessen Oberfläche oder in der Tiefe leben. Dementsprechend läßt sich in großen Seen ähnlich wie im Meer eine Küstenfauna, eine Tiefenfauna und die der Mitte des Seebeckens zukommende freischwimmende pelagische Fauna unterscheiden. Die Vertreter dieser Gruppen zeigen ähnliche biologische und morphologische, mit dem Aufenthaltsort zusammenhängende Eigentümlichkeiten wie bei der marinen Fauna, beispielsweise Rückbildung der Sehorgane bei Tiefentieren, sehr geringes spezifisches Gewicht und Ausbildung besonderer Schwimm- oder Schweborgane sowie große Durchsichtigkeit bei pelagischen Organismen. Im Bodensee und andern großen Seen lebt die Daphnoide Leptodora hyalina, die so durchsichtig wird, daß man sie in einem Glas mit Wasser kaum erkennt. Viele Süßwassertiere besitzen eine weite, nahezu kosmopolitische Verbreitung; nicht nur, daß sich in völlig isoliert und hochgelegenen Seen überhaupt tierische Bewohner finden, die daselbst auch während des Winters unter der Eisdecke weiterzuleben vermögen, sondern es ist auch bei allen isolierten Seebecken der Grundstock ihrer tierischen Bewohner im ganzen ein ziemlich gleicher. Zu diesem Grundstock gehören außer zahlreichen Protozoen hauptsächlich Rädertiere, Krustazeen und Mollusken. Die weite Verbreitung erklärt sich durch Verschleppung dieser Tiere durch Wasservögel; häufig finden sich besondere, diese Art der passiven Wanderung begünstigende Haftorgane, wie Klebzellen, gedornte Borsten und ähnliches, ausgebildet; auch besitzen viele Keime der niedern Süßwassertiere, besonders die sogen. Wintereier der niedern Krebse, die Gemmulae der Schwämme, die Statoblasten der Moostierchen, große Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit, so daß sie nach dem Austrocknen der von ihnen bewohnten Wasserbecken durch den Wind weiter transportiert werden können. Einige Tiere der S. stammen aus dem Meer und dürften als Reliktenfauna in manchen Seen von der Zeit zurückgeblieben sein, als diese noch zum Meer gehörten, wie dies für manche Krebse, z. B. Mysis relicta, und Angehörige der Gattungen Pontoporeia, Pallasiella, Idothea sowie für den Strudelwurm u. a. sehr wahrscheinlich ist. Offenbar vermögen auch marine Tiere sich dem Leben im Süßwasser anzupassen, denn es ist eine bekannte Tatsache, daß gewisse, ganz verschiedenen Abteilungen angehörige Tiere, wie besonders Krebse, Schnecken, Muscheln, Fische, aber auch niedere Formen, z. B. ein Hydroidpolyp, Cordylophora lacustris und selbst einige Medusen, weit in die Flüsse hinauf und sogar in Süßwasserbecken einwandern. – Wie die Seen, so besitzen auch die fließenden Gewässer eine hauptsächlich aus Protozoen und Würmern bestehende Mikrofauna von nahezu konstanter Zusammensetzung. Die größern Flüsse beherbergen stets eine artenreichere Mikrofauna als die kleinern, und die artenärmere der letztern erscheint wieder als ein Bestandteil der reichern faunistischen Bewohnerschaft größerer Ströme, und zwar in bestimmter Individuenzahl. Das Plankton, das sich in größern und langsam fließenden Strömen vorfindet, pflegt weit geringer zu sein als dasjenige stehender Gewässer. – Recht eng begrenzt ist gewöhnlich die Tierwelt solcher Gewässer, die besondere Verhältnisse bieten, wie z. B. die der Torfmoore oder diejenige von Sümpfen, die dem Austrocknen ausgesetzt sind. Hier vermögen nur relativ wenige Tierarten dauernd zu leben. Das gleiche ist der Fall in salzigen Seen, die gelegentlich im Binnenlande vorkommen und neben einer recht beschränkten Fauna abweichende Formen, wie die Artemia salina, enthalten können. Nur auf wenige Arten beschränkt sich die Fauna der eisen- und schwefelhaltigen Wasser sowie der heißen Quellen. Besondere Verhältnisse bietet auch die S. der Höhlen (s. Höhlenfauna), zu denen diejenige der Brunnen und Brunnenstuben in Beziehung steht, da ja auch diesen Tieren das Licht fehlt. In der Hamburger Wasserleitung wurden zur Zeit, als sie noch keine Filtereinrichtung besaß, 61 verschiedene Tierarten festgestellt. – Nicht so sehr verschiedenartig, als man vielleicht erwarten sollte, ist die S. der Hochgebirgsseen, die auch im Winter unter dem Schutz der Eisdecke günstige Ernährungsbedingungen findet (s. Alpen [Tierwelt], S. 367). Man hat sogar festgestellt, daß bei verspätetem Auftreten der Eisdecke, wie es in milden Wintern vorkommt, die Tierwelt solcher hochgelegenen Seen direkt leidet. Ähnlich verhalten sich andre im Winter zufrierende Wasserbecken, deren Tierwelt ausgestorben erscheint, während sich die höhern Tierformen, wie Amphibien, Schnecken, Insekten, in Wirklichkeit nur verbergen, oder andre, wie die Fische, Moostierchen, Muscheln, Insektenlarven, Krebse und besonders die niedern Tierformen, unter der Eisdecke ziemlich ungestört weiterleben.

Die Tiere des Süßwassers nähren sich zum Teil von Wasserpflanzen, von andern Tieren oder von zerfallenden organischen (pflanzlichen oder tierischen) Substanzen, dem sogen. Detritus. Manche von ihnen sind von volkswirtschaftlicher Bedeutung, indem sie als Fischnahrung eine große Rolle spielen, so nähren sich die jungen Fische zum großen Teil von der Mikrofauna, aber für viele Fische, zumal in stehenden Gewässern, bildet das Plankton zeitlebens die Hauptnahrung, wobei Protozoen, Rädertiere, vor allem aber die oft in ungeheuern Mengen auftretenden kleinen [217] Krebse in Betracht kommen, wie dies z. B. für die Felchen des Bodensees gilt, um nur ein Beispiel herauszugreifen. Die Kenntnis der S. und die Bedingungen, unter denen die sie bildenden Tiere, besonders die des Planktons, leben, ist somit nicht unwichtig, und in der Erkenntnis dieser Tatsache hat man sich in neuerer Zeit wissenschaftlich und praktisch viel mit der S. beschäftigt. Es sind Methoden erfunden und ausgebildet worden, um durch Messung und Zählung das Quantum in den mit besonders dafür konstruierten Netzen gemachten Fängen vorzunehmen. An einem Frühjahrstage wurde das im großen Plöner See vorhandene Plankton auf nicht weniger als 15,000 Zentner berechnet.

Die eingehende und systematische Beschäftigung mit der S. ist zurückzuführen auf Forels Untersuchungen der Fauna des Genfer Sees. Hauptsächlich infolge seiner Anregung gewann die faunistische Erforschung der Seen und Flußläufe eine größere Ausbeutung, und von großer Bedeutung wurde dann die Gründung von biologischen Stationen. 1888 wurde auf Veranlassung von Fritsch in der Nähe von Prag die erste »fliegende Station« errichtet. In Deutschland wurde 1891 die biologische Station in Plön (in der holsteinischen Schweiz) durch Zacharias ins Leben gerufen und diesen Anfängen folgte bald eine ganze Reihe andrer Süßwasserstationen in den verschiedenen europäischen Ländern wie in Nordamerika. Vgl. Zacharias, Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers (Leipz. 1891, 2 Bde.), Das Süßwasser-Plankton (das. 1907) und die »Forschungsberichte aus der Biologischen Station zu Plön« (Bd. 1–10, Stuttg. 1892–1905; fortgesetzt als »Archiv für Hydrobiologie und Planktonkunde«); Lampert, Das Leben der Binnengewässer (2. Aufl., Leipz. 1907 ff.); Apstein, Das Süßwasserplankton (Kiel 1896); Schütt, Analytische Planktonstudien (das. 1892); Steuer, Die Entomostraken der alten Donau bei Wien (in den »Zoologischen Jahrbüchern«, Abteilung für Systematik, Bd. 15, Jena 1902); Ostwald, Theoretische Planktonstudien (ebenda, 18. Bd., 1903, und in den Plöner Berichten, 10. Bd., 1903); Eyferth, Einfachste Lebensformen des Tier- und Pflanzenreiches (3. Aufl. von Schönichen, Braunschw. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 216-218.
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