[1019] Vatikanisches Konzil, nach der Zählung der römischen Kirche die 20. ökumenische Kirchenversammlung, tagte vom 8. Dez. 1869 bis 20. Okt. 1870 und brachte die katholische Lehrbildung durch Definierung der päpstlichen Unfehlbarkeit zum Abschluß. Seit dem Scheitern der großen Reformkonzile des 15. Jahrh. war die absolute Bedeutung des Papsttums auch auf dem Gebiete der Lehre tatsächlich entschieden. Sie auch kirchenrechtlich vollzogen zu sehen, gehörte schon lange zu den Lieblingsideen Pius' IX. Seit 1864 war der Entschluß in ihm gereist, zu diesem Zweck ein [1019] Konzil zu berufen. Das vage Programm des Einberufungsschreibens vom 29. Juni 1868 unzweideutig auszulegen übernahmen die Jesuiten in der »Civiltà cattolica«. Die in jenem Schreiben erwähnte Heilung der allgemeinen Weltübel sollte durch Bestätigung des Syllabus (s. d.) vom 8. Dez. 1864, durch die Dogmatisierung der Himmelfahrt Marias und vornehmlich der päpstlichen Unfehlbarkeit erfolgen. Daß dadurch das Verhältnis der Kirche zum Staate von dem modernen Rechtsboden wieder auf denjenigen der mittelalterlichen Theorie, wie sie Gregor VII., Innozenz III. und Bonifatius VIII. formuliert hatten, zurückgeführt werde, machte trotz des am 9. April 1869 erlassenen Rundschreibens des bayrischen Ministers v. Hohenlohe den Regierungen wenig Sorge. Aber die Zusammensetzung des Konzils wies ein wenig verheißungsvolles Gepräge auf. Zur Teilnahme berechtigt waren gegen 1050 Prälaten; es erschienen 774, davon viele nur vorübergehend. Darunter befanden sich 276 Italiener, dem Papst meist unbedingt ergeben; dasselbe galt von den 41 Spaniern, 83 Asiaten, 14 Afrikanern, 13 Australiern. Deutsche Mitglieder waren nur 19, österreichisch-ungarische 48, französische 84 vorhanden und auch unter diesen nicht wenige, die zur unbedingt päpstlichen Partei gehörten. Diese letztere setzte sofort eine an den Papst gerichtete Petition um Definierung der Unfehlbarkeit in Umlauf. Für eine Gegenadresse fanden sich nur 137 Unterschriften, und auch innerhalb dieser Minorität war man über den Standpunkt, von dem aus die Unfehlbarkeit zu bekämpfen sei, keineswegs einverstanden. Unter solchen Umständen konnte schon 21. Jan. den Vätern ein »Schema der dogmatischen Konstitution über die Kirche Christi« zugehen, das über die letzten Absichten der Kurie keine Zweifel mehr ließ. Nun regten sich freilich die Regierungen; aber der im Sommer ausbrechende Deutsch-französische Krieg ließ es zu keinem energischen und gemeinsamen Vorgehen kommen. Die Kurie ihrerseits hatte den Gang der Verhandlungen durch eine neue, die Minorität lahm legende Geschäftsordnung beschleunigt und hierauf dem Konzil 6. März einen Zusatzartikel zu jenem Schema vorgelegt, daß der Papst in Sachen des Glaubens und der Moral nicht irren könne. Nach einigen Redaktionsmanövern wurde 24. April die Konstitution über den katholischen Glauben, 13. Juli die Konstitution über die Kirche Christi genehmigt, jene einstimmig, diese mit 451 unbedingten gegen 62 bedingte Placet und 88 Non placet. Mit dieser Tat war der Mut der Opposition erschöpft, das Schreckgespenst eines drohenden Schismas lähmte ihre letzten Kräfte. Die Opponenten verließen Rom, und in der entscheidenden vierten öffentlichen Sitzung 18. Juli stimmten 533 Väter mit Placet, nur 2 mit Non placet. Das neue Dogma wurde nach und nach auch von den Bischöfen der Opposition in ihren Diözesen verkündigt, der Widerspruch schlug sich im Altkatholizismus (s. d.) nieder. Vgl. Quirinus (Lord Acton), Briefe vom römischen Konzil (Münch. 1870); Friedberg, Sammlung der Aktenstücke zum ersten vatikanischen Konzil (Tübing. 1872); Friedrich, Documenta ad illustrandum concilium Vaticanum (Nördl. 1871), Tagebuch während des vatikanischen Konzils (2. Aufl., das. 1873) und Geschichte des vatikanischen Konzils (Bonn 187787, 3 Bde.); »Acta et decreta sacrosancti oecumenici concilii Vaticani« (Freiburg 1892); Granderath, Geschichte des vatikanischen Konzils (hrsg. von Kirch, das. 190306, 3 Bde.).