Erbvertrag

[823] Erbvertrag (Pactum successorium), das zweiseitige unwiderrufliche Geschäft, dessen unmittelbarer Gegenstand die künftige Beerbung eines od. beider Contrahenten ist. Verträge dieser Ars waren nach Römischem Rechte durchaus unwirksam; dasselbe kannte nur eine Berufung von Erben, entweder durch Testament od. durch Gesetz; ja selbst Verträge über die Erbschaft einer dritten noch lebenden Person wurden als unsittlich verworfen. Ebenso waren dem älteren Deutschen Rechte die Erbverträge unbekannt, indem die Erbfolge der Blutsfreunde als die unabänderliche Folge des Todes durch keine Verfügung auf den Todesfall alterirt werden konnte. Die erste Spur einer vertragsmäßigen Zuwendung für den Todesfall findet sich erst in den sogenannten Vergabungen von Todes wegen, wodurch eine Person, unter. gerichtlicher Auflassung, einem Dritten sein ganzes: Vermögen od. einzelne Liegenschaften so übertrug, duft der Dritte die Gewere an den Gütern erhielt, der Übergebende sie sich aber für die Dauer seines Lebens zum Besitz u. Genuß vorbehielt. Um auch anderen Personen, als denjenigen, an welche die Übertragung der Gewere geschah, Zuwendungen dieser Art machen zu können, wurden die Saalmannen (Saalmänner, Treuhänder, M anutideles) gebraucht, welchen das Grundstück zu getreuen Händen mit der Verpflichtung aufgelassen wurde, daß sie es beim Tode des Gebers dann dem eigentlich Bedachten weiter auflassen sollten. Später wurde aber, bes. bei den Ehestiftungen, die gegenseitige unmittelbare Bedeutung für den Todesfall immer gebräuchlicher u. mit dem Eindringen des Römischen Rechtes, trotzdem daß dieses die Verträge über Erbschaften nicht zuließ, unter den Gesichtspunkt von Verträgen gebracht. Die spätere Jurisprudenz bildete es dann immer mehr zu einem feststehenden Dogma aus, daß nach dem Deutschen Rechte allgemein über eine Erbschaft von dem künftigen Erblasser auch durch Vertrag verfügt werden könne u. dies als eine Eigenthümlichkeit des Deutschen Rechtes festzuhalten sei. Dennoch hat sich dabei die Landesgesetzgebung u. Landespraxis sehr verschieden entwickelt, so daß allgemein gültige Sätze sich nur schwer aufstellen lassen u. es bei der Prüfung, ob ein E. als gütrig anzusehen sei, eines genaueren Eingehens auf die besondere Ausbildung des Instituts in der particularen Gesetzgebung des Landes bedarf. Die Erbverträge sind im Allgemeinen entweder vorerbende (Erbeinsetzungsverträge) od. erzichtende (Erbverzichte, Pacta renunciativa). Die ersteren hat die Praxis noch eingetheilt in: Pacta acquisitiva, d.h. solche, wodurch Jemand ein Erbrecht auf ein gewisses Vermögen erwirkt, worauf er keinen Anspruch hatte; Pacta conservativa, wodurch ihm nur ein gesetzlich zustehendes Erbrecht versichert wird; P. dispositiva, wodurch sich Jemand verpflichtet,[823] seinen Nachlaß einem Dritten nicht Mitcontrahirenden zu geben; u. P. restitutiva, wodurch man sich verpflichtet, eine anfallende Erbschaft einem Anderen abzutreten. Über die Form der Errichtung können gemeinrechtlich nur die Grundsätze über Errichtung von Verträgen überhaupt als maßgebend betrachtet werden, so daß daher die Nothwendigkeit einer schriftlichen od. gar gerichtlichen Errichtung sich nicht behaupten läßt; doch ist in den Particularrechten die Schriftlichkeit u. Gerichtlichkeit oft vorgeschrieben. Zur Errichtung ist jeder befugt, welcher selbständig von Todes wegen über sein Vermögen verfügen darf. Bei dem Erbeinsetzungsvertrag erhält der Eingesetzte alle Rechte, wie sie der gesetzliche Erbe hat; sein Recht geht daher freilich auch nur auf den beim Tode vorhandenen Nachlaß. Verfügungen, welche der andere Contrahent noch während seines Lebens trifft, kann daher der Vertragserbe nicht hindern, u. nur Anträge auf eine Prodigalitätserklärung könnten nöthigenfalls hier einen Schutz gewähren. Umgekehrt dürfen die Rechte der Notherben u. Pflichttheilsberechtigten durch einen E. nicht beeinträchtigt werden, u. der Verletzte hat daher das Recht, eine Klage auf Ergänzung anzustellen. Die Antragung der Erbschaft hat von Seiten des vertragsmäßigen Erben nach den gewöhnlichen Grundsätzen, wie sie bei anderen Delationen gelten, zu erfolgen; insbesondere muß der Vertragserbe daher in diesem Zeitpunkte die Successionsfähigkeit besitzen, um wirksam antreten zu können. Die Wirkung der Antretung ist dann dem Erwerb eines gewöhnlichen Erbrechtes gleich; nur ist ihm gegenüber von Miterben das Anwachsungsrecht abzusprechen. Ob der Vertragserbe gültig mit Vermächtnissen belastet werden könne, ist sehr bestritten; doch kann dies Recht dem anderen Contrahenten nicht wohl abgesprochen werden, da der Vertrag dem Vertragserben immer nur ein Anrecht auf ein Erbrecht, ohne über dessen Höhe eine Garantie zu geben, verleiht. Bei dem Erbverzicht wird der Verzichtende von dem Nachlaß, auf welchen er verzichtete, ausgeschlossen, ohne deswegen diejenigen Vortheile zu verlieren, welche sich nicht als unmittelbare Folgen seines Erbrechtes darstellen. An die Stelle des Verzichtenden tritt dann derjenige, welcher, wenn der Verzichtende überhaupt nicht vorhanden wäre, zunächst erbberechtigt sein würde, es müßte denn zum Vortheil einer bestimmten anderen Person verzichtet sein. Im Übrigen hat der Erbverzicht nur für den Verzichtenden selbst eine Wirkung; für seine Nachkommen kann er nur dann schädlich wirken, wenn die Bedingungen vorliegen, unter welchen auch sonst ein Verzicht für Nachkommen verbindlich sein kann. Besonders häufig finden sich die Erbverzichte bei den Töchtern adeliger Familien; zu dem Zwecke, um die Güter zum Vortheil des Mannsstammes in der Familie zu erhalten, kommen sie in manchen Familien, selbst bei ganzen ritterschaftlichen Corporationen sogar observanzmäßig vor, so daß die Tochter gegen gewisse Vorbehalte, z.B. daß sie auf den ledigen Anfall, d.h. auf den Fall des Aussterbens des Mannsstammes ihr Erbrecht reservirt behält, zur Ausstellung des Erbverzichtes verbunden ist. Besondere Arten der Erbeinsetzungsverträge mit eigentlichen Modificationen bilden die Erbverbrüderungen u. Ganerbschaften (s.d.), auch in gewisser Beziehung die Einkindschaft (s.d.). Vgl. Beseler, Die Lehre von den Erbverträgen, 1835–40, 2 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 823-824.
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