Kalmücken

[249] Kalmücken (Kalmyken, vom tatar. Khalimik, d.i. Abtrünniger, sonst auch Ölöt od. Eleuten), ist der Name eines Volkes in Hochasien, welches einen Zweig der mongolischen Völkergruppe (bestehend aus den eigentlichen Mongolen, den Burjäten u. K.) der großen Altaischen (Turanischen) Völkerfamilie bildet. Im Allgemeinen den Mongolen in Bezug auf Körperbildung u. Sitten gleichend, sind sie doch noch sinnlicher u. schmutziger als diese, übrigens neugierig, offenherzig, betrügerisch, diebisch, gesellig, von scharfen Sinnen, daß sie die jag baren größeren Thiere schon aus weiter Ferne war nehmen. Sie leben nomadisch unter Jurten, w[249] mit wasserdichtem Filz eigener Arbeit bedeckt sind, kleiden sich fast wie die Polen, der Reiche in Tuch od. Seide, der Arme in Schafpelz, die Mädchen u. Weiber flechten u. winden ihre Haare. Wie alle mongolischen Völker führen auch die K eine nomadisirende Lebensweise; ihre Beschäftigung besteht in Viehzucht, Jagd u. Bau ihrer Wohnungen, die der Weiber in Verfertigung der Kleider, des Filzes u. dgl.; die Nahrung in Milch u. Fleisch; aus Pferdemilch fertigen sie den Kumiß, eine Art Branntwein. Als Waffen besitzen sie Bogen, Pfeile u. Lanzen, doch auch Feuergewehr. Die K. theilen sich in Adel, Volk (Leibeigne) u. Priesterschaft; letztere üben einen großen Einfluß bei den buddhistischen K. aus. Das ganze Volk zerfällt in Stämme od. Uluß, jeder mit einem Taldscha an der Spitze; diese wiederum in Aimaks, deren jeder etwa aus 150–300 Familien besteht u. von einem Saisan regiert wird. Über ihre Sprache s. Kalmückische Sprache. Die K. nennen sich selbst Ölöt (d.i. Abgesonderte) od. Durban-Oirad (die vier Verbundenen). Letzteren Namen führen sie, weil sie seit Alters aus vier Stämmen bestehen, nämlich den Dshungar (Songaren, Dsongaren), Turgut (Torgoten), Choschod (Koschoten) u. Durbet (Derbeten). Von denselben bewohnen die Choschod (d.i. Krieger) 56–60,000 Köpfe stark, die Gegend am Koko-Noor od. Blauen See, welche sie als ihre eigentliche Heimath bezeichnen. Ihre Fürsten führen noch gegenwärtig ihren Ursprung auf Dschingis-Khan zurück. Ein Theil der Koschoten soll sich schon frühzeitig an den Irtisch gezogen, sich aber hierauf mit den Songaren vereinigt u. an deren Kriegen gegen China Theil genommen haben. Ein anderer Theil dieses Hauptstammes wandte sich seit 1759 (nach einigen Angaben schon 1675) nach der Wolga in das russische Gouvernement Astrathan, wo sie sich freiwillig dem russischen Czar unterwarfen, dem sie sich auch bisher stets anhänglich bewiesen haben. Die Derbeten, bald mit den Songaren, bald mit den Torgoten vereint, ließen sich schon frühzeitig in Rußland nieder, wo sie bis gegen das Ende des 18. Jahrh. an der Wolga u. dem Uralfluß nomadisirten. Seit die Hauptlinie ihrer Erbfürsten erloschen ist, haben sie sich in neuerer Zeit theils nach dem Don hingezogen u. den Donischen Kosacken beigesellt, theils nach dem Ili hin zurück nach Asien gewandt. Die Torgoten heißen auch Wolgaische K., weil ein großer Theil des Uluß, welcher mit den Songaren u. Koschoten in Zwist gerathen u. sich diesen gegenüber seiner Schwäche bewußt war, bereits 1616 ihr Vaterland am Ili verließen u. die Wolgaebenen zur neuen Heimath erwählten, wo sie sich 1630 dem russischen Scepter unterwarfen. Es war zwar ein Theil der Torgoten am Ili zurückgeblieben, doch 1703 zogen auch diese, um den Verfolgungen des Songarenherrschers Tse-Wang-Arasdan zu entgehen, nach Rußland, wo sie sich zwischen den Flüssen Jaik u. Ural niederließen. Im Jahr 1712 sandte der Kaiser von China eine Gesandtschaft zu den Torgoten, mit der Einladung, nach China zurückzukehren; dieses kam auch 1771 zur Ausführung, wo der größte Theil der Torgoten wieder nach dem Ili zog. Durch ihr Beispiel verlockt, kehrten 1772 auch andere Stämme, sowohl der K., als der Burjäten auf chinesisches Gebiet zurück. Nur ein untergeordneter Zweig der Torgoten, der Stamm Zoochor, unter seinem Fürsten Daudukow, blieb in Rußland u. trat in die vollkommenste Abhängigkeit zu diesem Reiche. Einst die tapferste, reichste u. mächtigste Horde der K. waren die Songaren od. Dshungar, welche im 17. u. im Anfang des 18. Jahrh. die Herrschaft über alle übrigen Stämme erlangte, jedoch später von den Chinesen unterjocht u. fast ganz aufgerieben wurde. Von ihnen hat die Songarei od. Dsungarei ihren Namen. Nachdem sie von den Chinesen besiegt worden waren, flüchtete der größte Theil der Übriggebliebenen 1758 nach Rußland, doch schon 1770 kehrten die meisten wieder unter die chinesische Botmäßigkeit zurück. Sämmtliche vier Kalmückenstämme zählen, soweit sie unter russischer Oberhoheit stehen, etwa 50–60,000 Seelen; dazu kommen jedoch noch die zum Christenthum übergetretenen Freien K. im Gouvernement Simbirsk, am Flusse Samara, sowie an den Flüssen Sok u. Tok (15,000 Seelen), ferner die durch die Kirgisen dem Islam zugeführten Orenburgischen K. an der Ostseite des Ural, am Flusse Iset, endlich verschiedene einzelne Glieder der Nation, welche in Petersburg, Kasan, Tobolsk, Irkutsk u. anderen Gouvernements zerstreut wohnen. Man kann daher die Zahl sämmtlicher K. in Rußland auf 120–125,000 anschlagen. Die Zahl der unter chinesischer Hoheit stehenden läßt sich nicht angeben; doch muß ein großer Theil derselben mit der Ausdehnung der russischen Grenzen über den Balkasch u. Ili hinaus, von Neuem in Abhängigkeit von Rußland gerathen sein. Mit Ausnahme der erwähnten, zum Christenthume u. dem Islam übergetretenen, bekennen sich die K. zu der unter dem Namen des Lamaismus bekannten Form des Buddhismus, den sie mit den Mongolen von Tibet aus erhielten. Die K. sind sehr abergläubisch, u. die Zauberer treiben unter ihnen viel Unfug. Ihre Priester (Gellongs) stehen in großem Ansehen u. sind die alleinigen Träger der religiösen u. literarischen Bildung.

Von den früheren Schicksalen der K. hat man nur wenig Kenntniß. Zur Zeit des Dschingis-Khan standen sie unter ihrem eigenen Fürsten, dem Toka-Beghi, welcher sich jedoch nach langem Widerstande dem großen Eroberer unterwerfen mußte. Sie standen seitdem unter eigenen Khanen, die den Titel Khan-Taischi (Kontaisch) führten. In späterer Zeit wurden durch die K zwei Reiche in Hochasien gestiftet, welche jedoch beide nur von kurzer Dauer waren; das erste begründete seit 1671 Galdan, der alle Ölötstämme, die Telengut u. Kirgisen unterwarf, die Kalkamongolen aus ihren Wohnsitzen vertrieb u. eine große Verheerung in den östlichen Theilen Hochasiens anrichtete. Gegen ihn erhob sich bald einer der Söhne seines Bruders, Tse-Wang-Arabdan, welcher sich an die Spitze der Songarischen Horde stellte u. mit Hülfe der Chinesen 1696 Galdan besiegte, worauf sich Letzter 1698 vergiftete. Sein Reich mit dem seines Neffen bildete nun das Songarenreich am Ili, das sich auch über die Burjäten u. andere benachbarte Völker erstreckte. Als er 1717 einen Einfall in Tibet machte, rief der Großlama die Chinesen zu Hülfe, welche 1720 den Arabdan von da vertrieben u. in seinem Lande angriffen. Arabdan bot dem Tzar Peter dem Großen seine Unterwerfung an, wenn er ihn mit 10,000 Mann unterstützte; doch schlug es Peter aus, u. der Kontaisch machte 1722 Friede mit den Chinesen. Er st. 1727, u. ihm folgte sein Sohn Galdan Tserin; diesem 1746[250] sein Sohn Ardschan, den jedoch, wegen seiner schlechten Verwaltung, die Saissanen (d.i. die Großen des Volkes) blendeten u. absetzten u. dessen natürlichen Bruder Lamu Darschu zum Kontaisch wählten. Der bei dieser Wahl übergangene Debatschi erschlug aber den Lamu u. bemächtigte sich der Kontaischwürde. Dieser wurde jedoch nicht allgemein anerkannt u. es entstanden große Parteiungen unter den K., einer der Parteiführer war Amur Sanan, Lamus Neffe. Dieser von Debatschi geschlagen, floh nach China u. kehrte mit chinesischen Truppen 1754 zurück; er schlug u. fing den Debatschi, wurde aber von den Chinesen nicht als Kontaisch eingesetzt Endlich machte er sich mit Hülfe der Mongolen selbst zum Kontaisch, mußte aber vor den Chinesen zu den Kirgisen fliehen u. endlich sich 1757 den Russen in die Arme werfen, in deren Land sich viele seiner Unterthanen retteten. Er starb kurz nach seiner Ankunft, sein Sohn wurde Christ u. das Land der K. blieb unter chinesischer Herrschaft, bis seit etwa 1850 die Russen ihre Herrschaft in der ehemaligen Songarei auszudehnen angefangen haben. Vgl. Bergmann, Nomadische Streifereien unter den K., Riga 1804–5, 4 Bde.; Hell, Les steppes de la mer Caspienne, Par. 1843.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 249-251.
Lizenz:
Faksimiles:
249 | 250 | 251
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon