Nesselrode

[797] Nesselrode, ein der Katholischen Confession folgendes, altadeliges, schon im 10. Jahrh. (da ein Emmerich von N. 969 auf dem Turnier in Merseburg gewesen sein soll) bekanntes Geschlecht, welches vom Niederrhein stammt, wo das Stammhaus N. (Nesselroth) an der Wupper bei Solingen liegt. Die ununterbrochene Stammreihe beginnt mit 1) Johann von N., welcher 1337 auf dem Turnier in Regensburg mitkämpfte u. mit Sophie geb. vom Stein vermählt war, die ihm die Güter Stein u. Löwenberg zubrachte. 2) Wilhelm, Sohn des Vor., erhielt durch seine Gemahlin Jutta von Ereshofen die noch im Besitz der Familie befindliche Herrschaft Ereshofen u. st. 1389. Seine Söhne Johann der Ältere u. Johann der Jüngere stifteten die beiden folgenden Hauptlinien: A) Die ältere Linie N.-Reichenstein u. Landskron, welche schon 1481 das Erbmarschall- u. Erbkämmereramt des Herzogthums Berg besaß, wurde 1652 in den Reichsfreiherrnstand erhoben in Person der beiden Brüder Bertram (st. 1678) u. Johann Matthias, welche diese Hauptlinie in eine Reichensteiner u. Landskroner Speciallinie theilten. In der ersten derselben erkaufte 3) Franz, Sohn des Stifters, 1698 von dem Grafen von Wied die reichsunmittelbare Herrschaft Reichenstein, wurde in demselben Jahre in den Reichsgrafenstand erhoben u. erhielt 1706 Sitz u. Stimme im Westfälilischen Grafencollegium. Diese Linie starb 1746 aus, worauf ihre reichsunmittelbaren Besitzungen mit Sitz u. Stimme auf der Westfälischen Grafenbank an die Landskroner Speciallinie kamen, in welcher 4) Graf Johann Florentin, Sohn des Stifters, durch seine Verbindung mit Margaretha von Brempt die Güter Landskron, Grünberg, Fonderen, Veen etc. erbte u. 1710 den Reichsgrafenstand erhielt. Als diese Linie 1824 im Mannesstamm erlosch, kamen ihre Ländereien durch Vermählung der Erbtochter Marie mit dem Erbdrosten Adolf Heidenreich Grafen Droste zu Vischering (st. 1826) an deren Sohn, den preußischen Kammerherrn Felix Grafen Droste zu Vischering (geb. 1808), welcher von seinem mütterlichen Großvater zum Universalerben eingesetzt worden war u. den Beinamen. N. von Reichenstein führt. B) Die jüngere Linie N.-Ereshofen, erhielt 1655 den Reichsfreiherrn-, 1705 den Reichsgrafenstand u. 1729 das Indigenat in Ungarn; sie hat Besitzungen in Rheinpreußen u. Westfalen u. zum dermaligen Chef: 5) Grafen Maximilian, geb. 1817, ist preußischer Premierlieutenant in der Landwehr, Landrath des Kreises Wipperfürth u. Mitglied des preußischen Herrenhauses auf Lebenszeit u. seit 1852 mit Melanie geb. Gräfin Hatzfeld vermählt. Ein Zweig dieser Linie kam unter der Kaiserin Anna nach Rußland; von diesem sind merkwürdig: 6) Graf Wilhelm Franz, geb. 1724 auf dem Schloß Markersbach, war russischer Geheimer Rath, wurde 1780 [797] Gesandter in Lissabon, 1790 Gesandter in Berlin u. st. den 8. März 1810 in Frankfurt a. M.; er war vermählt mit Louise Gontard. 7) Graf Karl Robert, Sohn des Vor., geb. 14. Dec. 1780 am Bord eines englischen Kriegsschiffes im Hafen von Lissabon, schon in der Wiege durch Patent Gardeoffizier, betrat frühzeitig die diplomatische Laufbahn u. ging 1800 als Attaché mit Markow nach Paris, 1805 als Legationssecretär u. Chargé d'Affaires nach dem Haag, 1807 als Botschaftsrath abermals nach Paris, wohnte 1808 dem Congreß in Erfurt bei, stieg immer mehr in Alexanders Gunst u. wirkte vermittelnd im kaiserlichen Cabinet zwischen der altrussischen u. der Fremdenpartei; 1812 kam er ohne den Titel Minister an die Spitze der Geheimen Staatskanzlei u. schloß den geheimen Subsidienvertrag mit England u. das Bündniß gegen Napoleon, auch am 19. März 1813 mit Preußen den Vertrag zu Breslau, am 15. Juni 1813 zu Reichenbach den Subsidienvertrag zwischen England u. Rußland u. bereitete dann mit Fürst Metternich den Allianzvertrag zwischen Rußland, Preußen u. Österreich vor. 1814 begleitete er den Kaiser Alexander nach Frankreich u. unterzeichnete hier am 1. März zu Chaumont die Quadrupel-Allianz, auch unterhandelte er in der Nacht vom 30._– 31. März mit dem Marschall Marmont wegen der Übergabe von Paris. Beim Congreß in Wien war er russischer Hauptbevollmächtigter, unterzeichnete den 13. März 1815 die Achtserklärung der verbündeten Mächte gegen Napoleon u. den 25. März den Vertrag, welcher den Vertrag von Chaumont erneute; er nahm auch Theil an den Monarchen- u. Ministercongressen in Aachen 1818, Troppau 1820, Laibach 1821 u. Verona 1822. Als 1821 Graf Capo di Istria aus dem russischen Ministerium wegen der griechischen Angelegenheiten austrat, übernahm N. das Ministerium des Auswärtigen allein, welches er während der verwickelten Angelegenheiten, welche die Türkische Frage veranlaßte, mit großer Umsicht führte. Während der Zusammenkunft des russischen u. österreichischen Kaisers zu Czernowitz 1823 unterhandelte er mit Metternich zu Lemberg. Nach der. Julirevolution von 1830 schloß sich N. enger an Österreich an u. suchte das innige Einverständniß Frankreichs u. Englands zu stören, was ihm aber erst 1840 bei der Orientalischen Frage gelang; die Pforte fesselte er 1833 durch den Vertrag von Hunkiar Iskelessi (8. Juli) an das russische Interesse u. suchte im Orient, bes. in Persien, den britischen Einfluß zu schwächen. 1844 wurde er zum Reichskanzler von Rußland ernannt, leitete 1848 u. 1849 die auswärtige Politik mit großer Zurückhaltung u. benutzte endlich die Ungarische Insurrection dazu, um durch eine Intervention das revolutionäre Prinzip zu unterdrücken u. Österreich an Rußland zu fesseln. Als die Orientalische Frage 1853 sich mehr u. mehr zu verwickeln begann, war N. einer der wenigen Vertreter einer friedlichen u. gemäßigten Politik im Cabinet des Kaisers. Nach dem Schluß des Pariser Friedens vom 20. März 1856 trat er von der Leitung des Ministeriums zurück u. gehört seitdem unter Beibehaltung seines Titels zu den Mitgliedern des Reichsraths, welche keinem Departement zugetheilt sind. Er war vermählt mit Marie geb. Gräfin Gouriew (gest. 5,6. Aug. 1849 in Gastein) u. hat einen Sohn Dimitry, geb. 1816, welcher russischer Kammerherr u. wirklicher Staatsrath ist u. zwei Töchter.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 797-798.
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