Tochter

[635] Tochter, 1) ein Kind weiblichen Geschlechtes, in Bezug auf dessen Eltern betrachtet. Entsprechend der geringeren physischen Kraft des weiblichen Geschlechtes u. seiner den Geschäften des öffentlichen Lebens abgewendeten Bestimmung, findet sich fast bei allen Völkern die Wahrnehmung, daß die Stellung der T. in socialer, wie rechtlicher Beziehung[635] gegenüber den Kindern männlichen Geschlechtes, eine mehr od. minder zurückgesetzte ist. Die Töchter unterliegen in der Regel länger der väterlichen Gewalt, als die Söhne, insofern sie nicht durch Heirath in eine andere Familie übergehen; die elterlichen Rechte erstrecken sich auf mehr Befugnisse, als bei den Söhnen; bes. aber tritt die Zurücksetzung in den Erbansprüchen hervor, wobei sich zugleich meist die Rücksicht auf Erhaltung des Familiengutes für die zunächst nur durch die männliche Descendenz fortgesetzt werdende Familie von wesentlichem Einfluß erweist. Im älteren Römischen Rechte trat die T. nur dann aus der Familie des Vaters heraus, wenn sie eine Ehe mit sogenannter Manus abschloß (Conventio in manum), während sie bei sogenannter freier Ehe (Ehe ohne Manus) in der väterlichen Gewalt verblieb. Nur im letzteren Falle blieben ihr die Erbrechte gegen den Hausvater erhalten, im anderen verlor sie dieselbe u. trat mit der Stellung einer Haustochter (Filiae familias loco) in die Familie ihres Mannes über. Im Übrigen standen die Töchter den Söhnen hinsichtlich der Beerbung der Eltern zwar gleich, doch lag eine wesentliche Zurücksetzung derselben darin, daß Frauenspersonen überhaupt über den Grad der Consanguinität, d.h. über die Verwandtschaft mit leiblichen Geschwistern, nicht erben konnten, eine Beschränkung, welche erst Justinian aufhob. Ein Vorrecht der T. bestand dagegen darin, daß ihnen bei ihrer Verheirathung das Recht auf Gewährung einer Aussteuer (Dos) gebührt. Das Recht eine solche Aussteuer zu verlangen hat die T. zunächst gegen den Vater u. die väterlichen Ascendenten, im Nothfalle auch gegen die Mutter. Die Größe derselben hat sich nach dem Vermögen des Verpflichteten u. dem Stand der Ehegatten durch billiges Ermessen zu bestimmen. Im Falle einer Beerbung des Ascendenten hat aber die T. das erhaltene Heirathsgut regelmäßig den miterbenden Geschwistern zu conferiren; auch können Ausstattungen, welche den Pflichttheil eines Miterben verletzen, mittelst einer Querela inofficiosae dotis, so weit sie den Pflichttheil beeinträchtigen, theilweis zurückgefordert werden, s.u. Querela. Im älteren Deutschen Rechte war das Erbrecht der T. namentlich insofern beschränkt, als ihnen vielfach keine Succession in die Immobilien eingeräumt war. Doch findet sich hierüber durchaus keine Gleichförmigkeit; bes. standen nach mehren Volksrechten die Töchter nur den Söhnen nach, so daß bei Ermangelung Letzterer auch weibliche Descendenten Grundstücke erben konnten u. von anderen männlichen Anverwandten nicht ausgeschlossen wurden. Später traten immer mehr u. mehr Erweiterungen bezüglich des Erbrechtes der T. ein. An manchen Orten schränkte man nur den Vorzug des männlichen Geschlechtes darauf ein, daß die Söhne nur eine größere Erbportion als die Töchter erhielten. Im späteren Mittelalter verlor sich indessen auch dieser Vorzug, u. mit der allgemeinen Verbreitung des Römischen Rechtes gewann überall die Ansicht den Sieg, daß Töchter u. Söhne in Betreff der Beerbung der Eltern gleichzustellen seien. Ausnahmen hiervon haben sich nur bei dem Adel bezüglich der Stammgüter u. durch Einführung besonderer Successionsordnungen, welche bald die Weiber überhaupt, bald wenigstens bis zum gänzlichen Abgang des Mannsstammes ausschließen, erhalten. In manchen Gegenden wurde es gewöhnlich die Ausschließung der T. solchenfalls durch besondere Erbverzichte verstärken zu lassen, bei denen indessen gewöhnlich noch verschiedene Vorbehalte, bes. für den sogenannten ledigen Anfall, d.h. das Aussterben des Mannsstammes, gemacht wurden. Über den Sinn u. Umfang derartiger Erbverzichte sind mehrfach besondere Landesgesetze u. ritterschaftliche Vereinbarungen ergangen; andererseits hat die immer anerkannte Verpflichtung desjenigen, welcher das Stammgut erhält, daß er den vorhandenen Töchtern der letzten Besitzer eine Abfindung u. für den Fall der Verheirathung eine Ausstattung aus den Mitteln des Stammgutes gewähre, zu verschiedenen besonderen Berechtigungen der Töchter geführt. Hierher gehört bes. das in Mecklenburg vorkommende Erbjungferrecht, d.h. die Befugniß der T. eines ohne männliche Descendenten verstorbenen Vasallen, daß ihr das von demselben nachgelassene Lehen, auch wenn es Familienfideicommiß ist, noch eine Zeit lang zum Genusse verbleibe. Über das Erbrecht der Töchter in regierenden Häusern u. den Begriff der Erbtochter gegenüber der sogenannten Regredienterbin s.u. Thronfolge. 2) Bezeichnung für ein der Stellung einer T. ähnliches Verhältniß, wie z.B. Adoptiv-, Pflege-, Schwieger-, Beichttochter; 3) in der Sprache des gewöhnlichen Lebens jede unverheirathete jüngere Frauensperson.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 635-636.
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