[101] Familienfideicommiß, ein meist unbewegliches Gut, welches durch eine Disposition in der Weise für unveräußerlich erklärt worden ist, daß es für immer bei einer gewissen Familie verbleiben u. in dieser so lange forterben solle, als diese selbst besteht. Das F. in dieser Bedeutung ist trotz seines römischen Namens ein Institut des Deutschen Rechtes u. von den Fideicommissen des Römisches Rechtes (s.u. Fideicommiß) wohl zu unterscheiden. Ihr Aufkommen gehört dem 16. Jahrh., als der Zeit an, in welcher das ältere Deutsche Stammgutssystem (s.u. Stammgut) unter dem Einfluß des Justinianischen Erbrechtes mehr u. mehr in Verfall zu kommen drohte. Indem der Adel in der dadurch angebahnten endlosen Zersplitterung u. Veräußerung der Güter eine Verminderung seines Ansehens u. seiner bevorzugten Stellung befürchtete, suchte er das alte Recht dadurch zu wahren, daß er gewisse Güter zur Erhaltung des Flores der Familie mit einem ausdrücklichen Veränßernngsverbot belegte u. meist in Verbindung damit eine Specialsuccession in diese Güter anordnete. Im Grunde verfolgten daher diese Veräußerungsverbote den Zweck, das alte Stammgutssystem durch ausdrückliche Anordnungen zu schützen, denen die rechtliche Gültigkeit um so weniger abzusprechen war, als dem Adel in Familienangelegenheiten das Recht zu autonomischen Satzungen zustand. Die römischen Juristen aber, welche einestheils die Wirksamkeit dieser Veräußerungsverbote anerkennen mußten, andererseits aber im Mißverstand derselben stets nach römischen Formen suchten, um sie in ihrer Weise zu rechtfertigen, glaubten auf sie die Grundsätze der römischen Fideicommisse anwenden zu können, weil sie in diesen noch am ersten einen Vergleichungspunkt fanden. So entstand der Name u. ging bald in die Territorialgesetzgebungen über, obschon das Rechtsinstitut selbst seinem Wesen nach sich fast ganz auf dem Boden seines deutschen Ursprunges erhielt. Zwar findet man auch im Römischen Rechte ein Fideicom missum familiae erwähnt als ein Fideicommiß, wodurch dem Onerirten auferlegt wird, das Vermächtniß einem aus der Familie, der dann wieder dieselbe Verpflichtung haben kann, zu hinterlassen; daß indessen das deutschrechtliche F. davon ganz verschieden ist, zeigt sich schon darin, daß bei jenem der Belastete ganz die Wahl hat, wem er aus der Familie bedenken will, u. nur dann, wenn er dieses Wahlrecht nicht ausübt, der nächste eintritt. Dagegen beruht das deutschrechtliche F. im Wesentlichen auf folgenden Grundsätzen: die Errichtung eines F-es geschieht gewöhnlichdurch eine testamentarische Verordnung; doch kann sie ebensogut durch einen Vertrag mit den Mitgliedern der Familie, welchen ein Erbrecht an dem zum F. bestimmten Objecte zusteht, geschehen. Schon früh wurde es Sitte, zur mehreren Bekräftigung des Actes auch die kaiserliche od. landesherrliche Bestätigung einzuholen; allein gemeinrechtlich bildet dieselbe kein Erforderniß, wohl haben aber Particularrechte sie, um namentlich die Interessen Dritter sicher zu stellen, vorgeschrieben. In Österreich, Baiern, Hannover, Braunschweig, Weimar wird die unmittelbare Einwilligung des Landesfürsten erfordert, in Preußen wenigstens dann, wenn das F. nach einer ortsüblichen Werthschätzung einen reinen Ertrag von 10,000 Thlrn. übersteigt. In anderen Ländern (in Preußen bei F-en, unter 10,000 Thlrn.) ist die Gültigkeit wenigstens an die Bestätigung der oberen Gerichtsstellen od. an die Eintragung der Stiftungsurkunde in die Hypotheken- od. Matrikelbücher gebunden. Object des F-es können sowohl unbewegliche, als bewegliche Sachen sein; nur müssen sie dem Zwecke des Instituts gemäß so beschaffen sein, daß dem jedesmaligen Besitzer daraus ein wirklicher Nutzen erwachsen u. dieser Nutzen von der Sache so gezogen werden kann, daß dadurch der Substanz selbst kein Eintrag geschieht. Particularrechte haben auch wohl einen. Minimalwerth festgesetzt, welchen das Gut haben muß, wenn es unter Fideicommißverband gebracht werden soll, wie z.B. in Preußen für Landgüter wenigstens 2500 Thlr. Reinertrag u. für Geldfideicommisse ein Capital von 10,000 Thlrn., in Baiern die Errichtung von wenigstens 25 Fl. an Grund- u. Dominialsteuer von dem betreffenden Gute verlangt wird. Der Errichter des F-es muß außerdem über die zum F. bestimmte Sache selbst, frei verfügen können, daher er sich, z.B. wenn es sich um ein Lehnod. Erbzinsgut handelt, auch der Zustimmung des Lehns- u. Erbzinsherrn versichern muß, daß der Besitzer dagegen von Adel sei, ist, wo nicht ein bestimmtes Landesgesetz entgegensteht, nicht erforderlich. Der nach der Stiftung zum Genusse des F-es berufene Erbe wird, wie alle andern, welche nach ihm succediren, wirklicher Eigenthümer des Fideicommißgutes, nicht blos Nießbraucher; allein sein Eigenthumsrecht ist dadurch beschränkt, daß er das Gut nicht veräußern u. deshalb auch keine dauernden Beschwerungen, namentlich also keine Schulden, insofern sie nicht zur Conservirung des F-es nothwendig waren, auf dasselbe bringen darf, indem diese die später Succedirenden nicht anzuerkennnen brauchen. Nach dem Österreichischen Gesetzbuch kann aber der Fideicommißinhaber ganz allgemein mit Genehmigung der ordentlichen Gerichtsbehörde ein Drittheil des Fideicommißgutes verschulden, nur müssen jährlich 5 vom Hundert von der Schuld wieder getilgt werden. Veräußerungen kleinerer Pertinentialstücke sind, insofern dadurch der Werth u. die Bestimmung des Gutes nicht verändert wird, schon nach gemeinrechtlicher Praxis unter Genehmigung der Familiensideicommißoberaussichtsbehörde gestattet. So lange sie nicht zur Succession berufen sind, haben die übrigen Glieder der Familie nur eine Anwartschaft, zu deren Sicherstellung sie allerdings, wenn sie durch Handlungen des Familiensideicommißinhabers gefährdet werden sollte, Cautionen etc. beantragen können. Die Succession selbst kann, wenn der Stifter keine besondere Erbfolgeordnung eingeführt hat, nur nach den Grundsätzen der Intestaterbfolge erfolgen; allein in der Regel tritt nach der Stiftung eine besondere Successionsordnung (Majorat, Seniorat, Primogenitur, Secundogenitur etc.) ein, u. die hierdurch von der Erbfolge Ausgeschlossenen erhalten entweder gar Nichts od. doch nur gewisse Renten zu ihrem Unterhalt. Die Succession gilt dabei als eine Successio [101] ex pacto et providentia majorum, d.h. die Berechtigung dazu wird nicht von dem letzten Besitzer, sondern vielmehr aus der Disposition des ersten Stifters abgeleitet. Der letzte Besitzer kann deshalb auch nicht einmal letztwillig Verfügungen über das F. treffen, welche der folgende Anwärter anzuerkennen genöthigt wäre, auch wenn ihm sonst nach dem gemeinen Erbfolgegesetz die Verpflichtung hierzu obläge. Einem Abzug der Trebellianischen Quart unterliegen daher die F. ebenfalls nicht. Das F. behält seine Eigenschaft, so lange noch eine Person vorhanden ist, welche nach der Stiftung zum Genusse des Gutes berufen ist. Erst der letzte Berechtigte genießt wieder alle Rechte der freien Disposition des Stifters, im Fall dieser nicht etwa auch für diese Eventualität noch besondere Anordnungen getroffen hat. Über die Aufhebung eines F-es bei dem Vorhandensein noch mehrerer Successionsberechtigter gehen die Meinungen auseinander. Blickt man auf die Absicht des Stifters, die Dauer der F-es zum Besten aller nachfolgenden Generationen zu verewigen, so muß man die rechtliche Möglichkeit einer solchen Aufhebung, auch mit Consens aller lebenden berechtigten Familienglieder, läugnen; die Praxis u. neuere Gesetzgebungen haben sie aber dann zugelassen, wenn eine erhebliche Ursache der Aufhebung od. Abänderung nachgewiesen wird, alle lebenden Interessenten consentiren u. die oberste Gewalt außerdem ihre Bestätigung dazu ertheilt. Für etwaige nachgeborene Interessenten wird zuweilen dabei vorsichtiger Weise noch ein Curator nasciturorum aufgestellt.
In politischer u. volkswirthschaftlicher Beziehung ist die Frage über die Zweckmäßigkeit u. Nützlichkeit der F-e sehr verschieden beantwortet worden. Als Gründe gegen die Zweckmäßigkeit derselben werden bes. angeführt: das im F-verbande stehende Vermögen sei gleichsam als Eigenthum in todter Hand zu betrachten u. deshalb für den Staat u. die Gewerbsamkeit entzogen; so oft der Besitzer des Fideicommisses (z.B. wegen Mangels successionsberechtigter Descendenten) kein Interesse habe, nachhaltige Verbesserungen vorzunehmen, bliebe daher das Eigenthum entweder unbenutzt, od. der Inhaber suche zum Schaden des Gutes herauszuziehen, was sich herausziehen lasse; durch F-e werde eine schädliche Anhäufung des Grundeigenthums in großen Massen begünstigt u. damit der Erwerb der anderen Klassen der Bevölkerung gehemmt; die Bevorzugung, welche nach den besonderen F-ordnungen hinsichtlich der Erbfolge Statt finde, widerstreite ebenso der Billigkeit, wie der Vernunft; die eigenthümlichsten Verordnungen, deren Unzweckmäßigkeit vielleicht sich schon bei der nächsten Generation offen zeige, müßten nothgedrungen erhalten werden; die F-e beförderten die Ungleichheit der Stände, dienten oft zur Schutzwehr böser Schuldner u. erzeugten Gefahren für die Sicherheit des Eigenthums, indem ein späterer Nachkomme die vielleicht in bester Absicht von einem früheren F-besitzer vorgenommenen Veränderungen immer wieder umstoßen könne. Dagegen wird aber angeführt, daß der Stiftung eines F-es offenbar ein tief ethischer Zweck zu Grunde liegt, die Absicht, inmitten des ewigen Wechsels der Dinge ein Vermögen durch einen Act der Liebe auch für kommende Geschlechter bedeutungsvoll zu erhalten. Dieser Zweck erscheint aber dem Wogen u. Schwanken in den socialen Verhältnissen der Gegenwart u. dem nur auf den augenblicklichen Vortheil gerichteten Streben gegenüber, eher als etwas zu Begünstigendes, als etwas, dem entgegenzutreten wäre. Die Erhaltung eines geachteten u. kräftigen Erbadels, wie er in monarchischen Staaten eine Nothwendigkeit ist, findet in dem Bestehen der F-e ihre beste Sicherung. Den Nachtheilen, welche die Anhäufung einer zu großen Masse von Grundeigenthum in einer Hand allerdings erzeugen kann, kann leicht im Wege der Gesetzgebung durch Festsetzung eines Maximums, das nicht überschritten werden dürfte, begegnen werden, u. was die Culturfähigkeit u. Benutzung anlangt, so ist es eher vom Vortheil, wenn größere geschlossene Besitzungen bestehen, deren Inhaber, wenn sie von demselben Familiensinne beseelt sind, wie der Stifter, in derim Voraus geordneten Succession eher einen Sporn dazu finden müssen, das Interesse der Nachkommen in gleicher Weise zu fördern. Eine Unbilligkeit aber kann in der Errichtung von F-en für die etwa ausgeschlossenen Familienglieder deshalb nicht liegen, weil keines derselben nach dem gemeinen Erbrecht auf Erwerb des Gutes ein bestimmtes Recht hat; im Gegentheil ist zu bedenken, daß durch die Zusammenhaltung des Vermögens in Einer Hand indirect auch den ärmeren Verwandten oft mehr Vortheile zufließen, als sie bei unmittelbarer Theilung des Vermögens genossen haben würden. Die Nachtheile für gutmüthige Gläubiger u. die Gefährdungen durch Revocationsklagen später eintretender F-anwärter sind da nicht zu befürchten, wo für eine gehörige Bekanntmachung der F-qualität durch Intabulation in öffentliche Bücher gesorgt ist. Dennoch sind in mehreren Staaten die F-e gänzlich aufgehoben, ja verboten worden. Dies geschah für Frankreich durch die Gesetze vom 25. Octbr. u. 14. Novbr. 1792, welchen der Code Napoléon in Art. 896 folgte. Später wurde zu Gunsten der von Napoleon gestifteten Majorate durch Decret vom 30. März 1806 eine Ausnahme gemacht; ein Gesetz vom 12. Mai 1835, ergänzt durch ein neueres Gesetz vom 7. Mai 1849, hat die Majorate aber wieder aufgehoben. Dem Beispiele Frankreichs folgten die übrigen Staaten, welche das Französische Civilgesetzbuch annahmen, ebenso unter Verletzung mancher wohlerworbenen Rechte; Württemberg durch Normalverordnung vom 22. April 1808 u. Baiern durch Edict vom 28. Juli 1808. Nach Beseitigung der französischen Occupation ist indessen die Gesetzgebung meist zu den früheren Grundsätzen zurückgekehrt, wie z.B. für Österreich durch das Hoscanzleidecret vom 20. Febr. 1817, für Preußen durch Verordnung vom 11. März 1818, Gesetz vom 23. März 1828 (für Berg), Verordnung vom 21. Jan. 1837 (für die Ritterschaft der Rheinprovinzen) etc. In Hannover erschien ein neues Gesetz über Errichtung von F-en unter dem 13. April 1836, in Braunschweig unter dem 28. März 1837. In neuester Zeit wurde durch das Frankfurter Parlament in §. 38 der Grundrechte die Aufhebung der F-e für ganz Deutschland ausgesprochen u. die Festsetzung der Art u. Bedingung derselben der Gesetzgebung der Einzelstaaten überlassen. Indessen ist diese Bestimmung nirgends od. doch nur in einzelnen Staaten ganz vorübergehend zur Ausführung gelangt u. im Gegentheil neuerdings eher eine Begünstigung der Errichtung von F-en hervorgetreten.[102]
Verschieden von den eigentlichen F-en sind übrigens noch die Familienstiftungen (Familienstipendien etc.). Auch bei ihnen wird zwar zum Zwecke der Unterstützung künftiger Familiengenossen ein Vermögen unter das Verbot der Veräußerung gestellt. Indeß, während bei dem F. dieser Zweck nur das Object ergreift u. dieses, zwar mit dieser Beschränkung, aber immer mit Eigenthumsrecht auf den einzelnen Berechtigten übergeht, bildet die Familienstiftung selbst eine juristische Person, der das Vermögen gehört u. welcher die Bedachten als Gläubiger gegenüberstehen. Vgl. Mosham, Entwickelung der rechtlichen Verhältnisse der deutschen Geschlechtsfideicommisse, Münch. 1816; Wildner, Das Fideicommißrecht nach dem österreichischen Gesetzbuch, Wien 1835; von Salza u. Lichtenau, Die Lehre von den Familien-, Stamm- u. Geschlechtssideicommissen; von Gerber, Beiträge zur Lehre vom deutschen F., in den Jahrbüchern für Dogmatik des heutigen römischen u. deutschen Privatrechts, Bd. 1, S. 53 ff.
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