Vorsehung

[698] Vorsehung, 1) (Praevidentia,), so V.w. Vorhersehung; 2) (Providentia, Fürsehung), Umsicht u. Klugheit, womit man etwas vorher berechnet u. die Mittel, welche zur Erreichung einer Absicht nothwendig führen, wählt. Auf Gott angewendet (göttliche V., Providentia divina, Providenz), begreift sie die. beiden Acte der Erhaltung u. Regierung u. ist hiernach die Thätigkeit Gottes, nach welcher er theils Alles in der Welt fortdauern läßt (Erhaltung, Conservatio s. Creatio continua), theils Alles in der Welt nach einem bestimmten höheren Weltzweck lenkt (Regierung, Gubernatio). Die Lehre von der V. war auch den heidnischen Religionen nicht ganz fremd ü. sie legten ihren Göttern die Macht bei lenkend u. leitend in die Geschicke der Menschen einzugreifen.[698] Dagegen wird sie in der Heiligen Schrift nicht nur durch eine Menge von Stellen begründet (Ps. 65. Sprüche Sal. 16, 1–9. Match 1, 25 ff. Apost. 17, 26 ff. etc.) u. in dem Buch Hiob nach verschiedenen Beziehungen hin besprochen, sondern sie liegt auch in vielen Thatsachen, z.B. in der Geschichte des Joseph, Pharao, Ahab, wie überhaupt in allen Ereignissen, welche auf das Reich Gottes vorbereiten, u. vor Allem in dem Erscheinen Christi selbst. Die Dogmatik unterscheidet eine Gubernatio permittens, Gott läßt Manches zu; G. legislativa, sofern er der Natur u. den Menschen Gesetze gibt; G. activa, sofern er die Veränderungen im Leben des Menschen leitet. Das Verhältniß der Erhaltung u. Regierung Gottes zur Thätigkeit der Geschöpfe, vermöge dessen Gott den Geschöpfen die Kraft erhält u. bei ihrer Thätigkeit mitwirkt, heißt in der Dogmatik Concursus dei, u. man unterscheidet einen C. generalis, allgemeinen, u. C. specialis, besondern, bei letzterm einen C. miraculosus, wunderbaren, u. C. moralis, sittlichen. Der Glaube an die V. Gottes wird dogmatisch durch die Lehre von Gott begründet u. beruht hiernach auf der Idee Gottes als des weisesten u. gütigsten Schöpfers, als welcher er nicht gedacht weiden kann ohne die Annahme, daß er auch die Welt regiere (theologischer Beweis); auf dem Glauben, daß Gott alle Menschen zur höchsten sittlichen Würde (moralischer Beweis) u. zur Glückseligkeit (physischer u. theologischer Beweis) geschaffen habe; auf der Lebensgeschichte jedes einzelnen Menschen, welche unverkennbare Spuren eines höhern Waltens zeigt (historischer Beweis); auf der ausdrücklichen Lehre der Heiligen Schrift (s. oben). In den Symbolischen Schriften wird diese Lehre nicht umständlich behandelt, sondern als religiöser Glaubenssatz mehr in den Katechismen erklärt. Der Glaube an eine V. erklärt sich gegen den Deismus, welcher will, daß Gott zwar Schöpfer aller Dinge sei, daß aber die Erhaltung derselben in ihnen selbst liege; gegen den Determinismus, daß nicht nur die Dinge außer dem Menschen, sondern auch des Menschen Willensthätigkeit durch äußere Notwendigkeit bestimmt werde; gegen den Fatalismus, daß Alles durch eine blinde Nothwendigkeit; gegen den Casualismus, daß Alles durch einen blinden Zufall bestimmt werde; endlich gegen die Ansicht, daß böse Geister auf die Natur u. das Schicksal des Menschen Einfluß haben u. denselben dazu anwendeten, den Menschen zu schaden u. das Leben zu verbittern, u. hält daran fest, daß Gottes Liebe Alles, was den Menschen trifft, zu dessen Besten führen wird, u. daß nach Gottes Heiligkeit, welche uns in allen unsern Schicksalen zum Guten erzieht, dem Guten stets der Sieg aufgehoben bleibt, wenn es auch eine Zeit lang dem Laster unterliegen muß (sittliche od. moralische Weltordnung). Daher leitet der christliche Glaube auch die Übel u. Leiden des Lebens von Gott ab u. erkennt in ihnen Bildungsmittel des Menschen zur Übung u. Bildung seines Geistes u. zur Verherrlichung seiner Tugend, s. Übel. Dagegen wird die menschliche Freiheit durch die V. nicht aufgehoben, indem sie, immer mehr in den Willen Gottes eingehend u. sich ihm unterwerfend, in ihrer Selbstbestimmung mit der Vorherbestimmung Gottes zusammenfällt. Die oft aufgeworfene Frage, ob sich Gott auch um das Kleine bekümmere, läßt sich nur dahin beantworten, daß Groß u. Klein nur menschliche Relationen sind, welche vor Gott nicht bestehen; in Gottes Welt u. in seinem Weltplan ist Alles wichtig, weil es zum Ganzen gehört. Nach welchem Plane Gott die Welt regiere, vermag der Mensch eben so wenig zu begreifen, als immer einzusehen, warum Gott dieses od. jenes thue. Daher ziemt ihm demuthvolle Unterwerfung unter die höhere Hand u. gläubiges Vertrauen, daß Alles, was Gott thut, zum wahren Besten gereichen werde. Unter den Alten schrieb über die V. Seneca (s.d. 2). Vgl. Creutzer, Philosophorum veterum loci de providentia, Heidelb. 1806; Zwingli, De providentia; Bormann, Die christliche Lehre von der B., Berl. 1820; E. Phil. Paulus, V. od. über das Eingreifen Gottes in das menschliche Leben, Stuttg. 1840.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 698-699.
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