[195] Wiesbaden, 1) Amt im Herzogthum Nassau; 20,000 Ew.; 2) Hauptstadt hier u. des Herzogthums, am Taunusgebirge u. dem Salzbache,[195] an der Taunusbahn (Frankfurt a. M. bis W.) u. der Nassauischen Staatsbahn (Rechtsrheinische Eisenbahn), von zahlreichen Landhäusern umgeben, ist abwechselnd mit Biebrich Residenz des Herzogs; hat die obersten Landesbehörden, herzogliches Palais am Markt (1840 erbaut), Palais des Prinzen Nikolaus (1842 im Geschmack der Alhambra erbaut), Ministerialgebäude im Florentinischen Palaststyl (1842 vollendet), neue katholische Kirche (1844 bis 1849 erbaut), neue evangelische Kirche im Gothischen Styl mit marmornen Kolossalstatuen Christus u. der vier Evangelisten (1853 bis 1862 erbaut), Museum (das sogenannte Schlößchen) mit Alterthümersammlung, Bildergallerie, permanenter Gemäldeausstellung, naturhistorischen Sammlungen (darunter die berühmte Gerningsche Insectensammlung) u. Bibliothek, Realgymnasium, das Freseniussche chemische Laboratorium, Landwirthschaftliches Institut auf dem Geisberg, Pädagogium, Zucht- u. Waisenhaus, Nassauischer Verein für vaterländische Alterthumskunde, Nassauischer Verein für Naturkunde, Sammlung von Alterthümern u. Kunstgegenständen des Prinzen Emil von Wittgenstein, Handels- u. Wechselgericht, Industriehalle, Seidenbauereien, wenig Industrie; 20,800 Ew. W. ist einer der besuchtesten u. glänzendsten Badeorte Deutschlands (jährlich oft über 16,000 Kurgäste bei 30,000 Fremden). Das Wasser der 29 warmen Salzquellen mit einer Temperatur bis zu 56° R. ist durchsichtig, etwas trübe, ins Gelbliche spielend, schwachsalzig, fade, wie Kalbfleischbrühe schmeckend, fade-thierisch, wie abgelöschter Kalk riechend, specifisches Gewicht 1,0047. Der Kochbrunnen enthält in 16 Unzen: Chlornatrium 46,46 Gran, schwefelsaures Natron 0,69 Gran, Chlorcalcium 5,19 Gran, schwefelsauren Kalk 0,44 Gran, kohlensauren Kalk 1,20 Gran, Chlormagnesium 0,72 Gran, kohlensaure Magnesia 0,48 Gran, Thonerde 00,72 Grau, Extractivstoff 2,46 Gran, kohlensaures Eisenoxyd 0,10 Grau, kohlensaures Gas 533 Cubikzoll. Die Wirkung der Quellen ist durchdringend, reizend, belebend, auflösend, gelind eröffnend, harntreibend, auf Ausscheidungs- u. Absonderungsorgane, Drüsen, Schleimhäute, Geschlechtstheilewirkend etc. W. dient bes. bei Skrophelleiden, Gicht, Rheumatismen, Hautkrankheiten, Krankheiten der Harnorgane, der Gebärmutter, der Luftwege, der Nieren, ist dagegen mit Vorsicht bei reizbarer Haut, Vollblütigkeit, Congestionen, Anlagen zu Schlagflüssen, Entzündungen u. activen Blutflüssen zu brauchen; nachtheilig ist es bei wirklichem Fieber, bes. Zehrfieber, bei Scorbut, inneren Vereiterungen, Wassersucht, höchstem Skrophelleiden. Man gebraucht W. vorzüglich als Bad von 1/4 bis 1/2 stündigem Aufenthalt, als Getränk zu vier, sechs bis acht Bechern mehre Wochen hindurch, gewöhnlich mit Bittersalz vermischt, um gehörige Ausleerung zu bewirken; ferner als Douche, Dampfbad, Klystiere u. zum Trinken. Beim Gebrauche dieser auch im Winter zu benutzenden warmen Quellen entsteht zuweilen Jucken u. Brennen auf der Haut, auch wohl Anfangs eine Verschlimmerung der Zufälle, Ausschlag, welche von selbst verschwinden. W. gehört übrigens zu den kräftigsten Quellen u. wird auch versendet. Die bedeutendste der offenen Quellen ist der Kochbrunnen (55°) unter einem tempelartigen Gebäude, welches durch eine lange eiserne offene Trinkhalle, in Form einer Veranda 1854 errichtet, mit dem Curgarten in Verbindung steht. Dabei eine marmorne Hygieagruppe (seit 1850). Eine schon von den Römern in einem großen Gewölbe gefaßte Quelle von 40° Temperatur befindet sich in dem sogenannten Schützenhofe. Außerdem gibt es eine Menge Badehäuser. Der Cursaal liegt vor der Stadt an einem großen Platz mit zwei Springbrunnen, wurde 1809 u. 1810 auf Actien erbaut u. ist mit Gesellschafts-, Tanz-, Spielsälen, Lesezimmern u. Restaurationsräumlichkeiten auf das Eleganteste eingerichtet. An beiden Seiten des Platzes laufen lange geräumige Colonnaden im Dorischen Style hin mit Verkaufsläden. Dabei steht auf dem Theaterplatz das Theater, sowie mehre Bade- u. Gasthäuser. Hinter dem Cursaal erstrecken sich die sehr ausgedehnten Parkanlagen bis an die Dintenmühle (mit 1862 eröffneter Wasserheilanstalt), die Ruine Sonnenberg u. die Rampacher Kapelle (wo 1859 ein römisches Castrum ausgegraben wurde), sowie den Neroberg hinan, auf welchem die 1855 vollendete russisch-griechische Kapelle (Gruftkirche der 1847 verstorbenen Herzogin Elisabeth mit deren Denkmal aus weißem Marmor) u. ein offener Säulentempel mit weiter Umsicht steht. Dabei die Wasserheilanstalt Nerothal u. das herzogliche Jagdschloß die Platte (1824 erbaut) mit weiter Aussicht. Die Quellen in W. sind die Fontes Mattiaci (bei Plinius) od. Aquae Mattiacae (bei Ammianus Marcellinus). Außer den im Museum aufgestellten, hier gefundenen römischen Alterthümern an Urnen, Geräthen, Waffen, Grabsteinen etc. finden sich auf dem Heidenberg Überreste eines römischen Castells (1838 entdeckt), u. auf dem Neroberge Ruinen einer fälschlich dem Kaiser Nero zugetheilten Villa; die sogenannte Heidenmauer ist eine aus Tempeltrümmern, Votivsteinen etc. erbaute Stadtmauer. Unter den Karolingern war W. eine königliche Pfalz u. wurde unter Otto dem Großen zur Stadt erhoben. Seine meisten Verschönerungen erhielt es vom Herzog Friedrich August von Nassau-Usingen, welcher 1816 starb, u. in der neuesten Zeit. Hier 1775 Freimaurerconvent, s.u. Freimaurerei S. 685. Am 4. März 1848 hier tumultuarische Auftritte; Erneuerung der Unruhen am 16. Juli, worauf am 18. Juli preußische u. österreichische Truppen die Stadt besetzten. Die 1848 aufgehobene Spielbank wurde am 8 Juli 1849 wieder eröffnet. Am 27. Juli 1850 Brand der großen evangelischen Kirche. Hier am 10. bis 30. Aug. 1850 Zusammenkunft der französischen Legitimisten, an deren Spitze der Graf von Chambord selbst, u. Einsetzung eines legitimistischen Comités (s.u. Frankreich S. 589). Im Oct. 1854 hier ein Polencongreß unter dem Präsidium Potocki's. Vgl. Stolterfoth, Malerische Beschreibung von W. u. der Umgegend, Mainz 1840; Malten, W. u. seine Umgegend, Darmst. 1842; W., Bieberich u. Umgebungen, ebd. 1854; A. I. Müller, Medicinische Topographie der Stadt W., Wiesb. 1846; Roth, Die warmen Kochsalzquellen zu W., ebd. 1857.