Wasserrecht [2]

[418] Wasserrecht, der Inbegriff der Rechtsnormen über die Benutzung und den Schutz der fließenden und stehenden Gewässer. Das W. gehört dem öffentlichen Recht an, insofern es sich auf den Gemeingebrauch des Wassers, die denselben betreffenden Verwaltungstätigkeiten und auf die Beschränkungen und Pflichten bezieht, die dabei dem einzelnen im öffentlichen Interesse auferlegt werden. Diejenigen Rechtsnormen dagegen, die sich auf die besondern Berechtigungen einzelner Privatpersonen an Gewässern beziehen, sind privatrechtlicher Natur. Der römisch-rechtliche Grundsatz, daß das Wasser in seinem natürlichen Lauf in niemandes Eigentum stehe, ist allgemein anerkannt. Auch das Meer entzieht sich, abgesehen von den Küstengewässern (s. d.), dem Einzelbesitz wie der staatlichen Hoheit. Im übrigen können die Verhältnisse des Meeres wohl Gegenstand völkerrechtlicher Verträge, nicht aber staatlicher Verwaltungsmaßregeln sein (vgl. Seerecht). Die Staatshoheit, die das staatliche Oberaufsichtsrecht über die Gewässer in Anspruch nimmt, wird Wasserhoheit genannt. Stehende Gewässer, wie Teiche, Brunnen und Zisternen, befinden sich im Eigentum der umliegenden Grundeigentümer; sie werden nach den Grundsätzen des Privatrechts behandelt. Dasselbe gilt in der Regel auch von den künstlichen fließenden Gewässern, wie von Kanälen und Mühlgräben. Derartige Wasserstraßen sind Eigentum desjenigen, der sie angelegt oder nachmals in Besitz bekommen hat, sei dies nun eine Privatperson, eine Aktiengesellschaft, eine Gemeinde, sei es der Staat oder ein Gemeindeverband. Zu den natürlichen fließenden Gewässern gehören die Quellen, die gleichfalls im Privateigentum des Grundeigentümers stehen, auf dessen Areal sie sich befinden, mit Ausnahme der Solquellen, die häufig regal sind. Die Flüsse dagegen zerfallen in öffentliche und in Privatflüsse. Das W., insofern es sich auf Flüsse bezieht, wird auch wohl Flußrecht genannt.

Das deutsche Recht betrachtet als öffentliche Flüsse diejenigen, die schiff- und flößbar sind. Die mittelalterliche Rechtsanschauung nahm an den öffentlichen Flüssen ein Regal, d. h. ein ausschließliches Nutzungsrecht des Königs und nachmals des Landesherrn (Wasserregal, Flußregal), an. Die Nutzungsrechte (Fischerei-, Floß-, Fähr-, Mühlenregal) wurden entweder von dem Landesherrn selbst ausgeübt, oder als sogen. Gerechtigkeiten an Privatpersonen oder Körperschaften gegen Abgaben verliehen, woraus sich noch heutzutage vielfach das Bestehen von Fischereigerechtigkeiten erklärt. Nach der deutschen Reichsverfassung, Artikel 54, dürfen auf natürlichen Wasserstraßen nur noch für die Benutzung besonderer Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind, Abgaben erhoben werden. Diese Abgaben sollen die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten nicht übersteigen, denn die Rechte des Staates an öffentlichen Gewässern erscheinen nicht mehr als fiskalische, sondern als öffentlich-rechtliche Befugnisse. Über die Tragweite dieses Artikels besteht im Zusammenhang mit Bestrebungen, allgemeine Schiffahrtsabgaben zu erheben, heftiger Streit, der durch Reichsgesetz entschieden werden soll (vgl. die reiche Literatur im »Jahrbuch des Verwaltungsrechts«, 1907, S. 50ff.). In manchen Gesetzgebungen, z. B. im Preußischen Landrecht, im Code civil, im Bayrischen Gesetz vom 25. März 1907, werden die öffentlichen Flüsse als Eigentum des Staates behandelt. Andre neuere Gesetze behandeln auch die nicht schiff- und flößbaren Flüsse als öffentliche Gewässer. Allen neuern Gesetzen aber ist der Gedanke gemeinsam, die Gewässer in umfassender Weise den Zwecken der Landeskultur dienstbar zu machen. Für die altpreußischen Provinzen sind in dieser Hinsicht das Vorflutedikt vom 15. Nov. 1811 nebst Novelle vom 11. Mai 1853 und das Gesetz über die Benutzung der Privatflüsse vom 28. Febr. 1843 von Wichtigkeit. Das Gesetz vom 1. April 1879, betreffend die Bildung von Wassergenossenschaften, gilt für die ganze preußische Monarchie. Für Bayern ist das Gesetz vom 23. März 1907, für Sachsen sind die Gesetze vom 15. Aug. 1855 und 9. Febr. 1864[418] (ein neuer Entwurf wurde 1906 veröffentlicht, aber nicht zum Gesetz erhoben), für Baden das Gesetz vom 25. Aug. 1876 nebst Novelle vom 12. Mai 1882, 9. Dez. 1885, 26. Juni 1899 und 19. Okt. 1906, für Hessen das Gesetz vom 30. Juli 1887, für Elsaß-Lothringen das Gesetz vom 2. Juli 1891, für Württemberg das Gesetz vom 1. Dez. 1900, für Österreich das Gesetz vom 30. Mai 1869 maßgebend. Preußen bereitet ein neues Wassergesetz vor.

Auch das Wasserpolizeirecht ist in den Wassergesetzen geregelt. Als Wasserpolizei werden die amtlichen Maßregeln bezeichnet, die im Interesse der Benutzung der Gewässer und zum Zweck des Wasserschutzes getroffen werden, namentlich in Ansehung der Schiffahrt, der Flößerei, der Fischerei und der Instandhaltung der Gewässer und ihrer Ufer. Die polizeilichen Beschränkungen der Wasserbenutzung bezwecken zumeist die Erhaltung des Flußbettes, die Verhinderung von Verunreinigungen und Verschlechterungen des Wassers, indem sie sich z. B. gegen die Einleitung von schädlichen Stoffen, namentlich aus Färbereien, Gerbereien, Walkereien u. dgl., in die Gewässer richten. Für gewisse Benutzungsarten wird obrigkeitliche Erlaubnis gefordert. Dies gilt namentlich für Stauwerke in öffentlichen Flüssen, ja nach den meisten Gesetzen wird auch bei Privatflüssen zur Anlegung von Stauwerken eine obrigkeitliche Konzession verlangt. Die deutsche Gewerbeordnung (§ 16) erklärt alle Stauanlagen für Wassertriebwerke für konzessionspflichtig; für sonstige Stauanlagen ist die Landesgesetzgebung maßgebend. Der höchste zulässige Wasserstand wird bei Stauanlagen durch einen von der Verwaltungsbehörde gesetzten Merkpfahl (Eich-, Sicherheitspfahl, Pegel) bezeichnet.

Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen können häufig nur dann ausgeführt werden, wenn sie sich auf eine größere Fläche zusammenhängender Grundstücke, z. B. auf eine große Wiesenfläche, erstrecken. Darum ist für solche Anlagen die genossenschaftliche Vereinigung der beteiligten Grundeigentümer im Interesse der Landeskultur, vorzüglich der Bodenmelioration, von besonderer Wichtigkeit, und ebendeshalb begünstigt die heutige Gesetzgebung die Bildung von Wassergenossenschaften, d. h. Vereinigungen zu dem Zwecke, durch gemeinschaftliche Maßnahmen Schaden, der infolge von Überschwemmungen oder stauender Nässe droht, abzuwenden oder die Kräfte des Wassers nutzbar zumachen. Derartige Genossenschaften pflegen sich nicht nur auf Be- und Entwässerung, sondern auch auf Uferschutz, Wasserleitung, Kanalisation, Schiffahrtsanlagen u. dgl. zu beziehen. Man unterscheidet dabei zwischen freien und öffentlichen Wassergenossenschaften. Weiteres s. Meliorationsgenossenschaften. Bezüglich des Wasserschutzes kommt besonders das Deichwesen in Betracht (s. Deich). Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch hat das W. mit Einschluß des Mühlenrechts, des Flößereirechts, der Vorschriften zur Beförderung der Be- und Entwässerung der Grundstücke sowie über Anlandungen, entstehende Inseln und verlassene Flußbette, ferner das Deich- und Sielrecht der Landesgesetzgebung überlassen.

In Österreich ist zwischen dem Reichswasserrecht und den verschiedenen Landeswasserrechten, die neben jenem bestehen, zu unterscheiden. Das Gesetz vom 30. Mai 1869 enthält die der Reichsgesetzgebung vorbehaltenen Bestimmungen des Wasserrechtes. Die einzelnen Landeswasserrechte enthalten weitere gesetzliche Bestimmungen über die Benutzung, Leitung und Abwehr der Gewässer mit Ausschluß von Vorschriften, die den Betrieb der Schiffahrt regeln. Vgl. Neubauer, Zusammenstellung des in Deutschland geltenden Wasserrechts (Berl. 1881); v. Bülow und Fastenau, Gesetz vom 1. April 1879, betreffend die Bildung von Wassergenossenschaften (2. Aufl., das. 1886); Nieberding, W. und Wasserpolizei in Preußen (2. Aufl. von Frank, Bresl. 1889); Leuthold, Das W. im Königreich Sachsen (Leipz. 1893); Schenkel, Das badische W. (2. Aufl., Karlsr. 1902); Huber, Die Wassergesetze Elsaß-Lothringens (2. Aufl., Mannh. 1892); Haller, Württembergisches Wassergesetz (Stuttg. 1902); Nieder, Wassergesetz für Württemberg (Ellwang. 1902); Born, Das Wasserpolizeirecht (Berl. 1905); Riemann, Das W. der Provinz Schlesien (2. Aufl., Bresl. 1907); Eymann, Das Wassergesetz für das Königreich Bayern (1. Bd., Ausb. 1908); Brenner, Das Wassergesetz für das Königreich Bayern (Münch. 1908); Randa, Das österreichische W. (3. Aufl., Prag 1891; Nachtrag 1898); Peyrer, Das österreichische W. (3. Aufl, Wien 1898); Picard, Traité des eaux; droit et administration (Par. 1890–95, 5 Bde.); Farnham, The law of waters and water rights (New York 1904, 3 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 418-419.
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