[495] Weissagung, in der religiösen Auffassung die durch übernatürliche Eingebung bewirkte Vorherverkündigung einer künftigen Begebenheit, während Wahrsagung und Wahrsagerei auf Anwendung geheimer Künste zur Erlangung jener übernatürlichen Kunde des Verborgenen beruht (s. Mantik). Der den Menschen eigne Wunsch, in die Zukunft zu blicken, sowie das Streben einzelner, diesen Umstand zur Erlangung höhern Ansehens oder zur Bereicherung zu benutzen, hat unter allen Völkern und in allen Zeiten Veranlassung zum Glauben an Wahrsage- und Weissagekunst gegeben, und bei dem allgemeinen Bewußtsein, nicht selbst den Schleier der Zukunft lüften zu können, wurde dieses Vermögen gern andern und höhern Menschen zugeschrieben. Daß einzelnen begnadeten Personen solche göttliche Kraft innewohnen könne, ward um so weniger bezweifelt, je geringer die Naturkenntnisse und überhaupt die religiöse, sittliche und wissenschaftliche Kultur waren, und je mehr anderseits der Glaube an göttliche Offenbarungen ein wesentliches Stück aller Religion ausmacht. Obgleich bei den Hebräern die gröbern Formen der Wahrsagerei schon seit sehr alter Zeit verboten waren, befragte doch selbst König Saul, nachdem er die Wahrsager und Zeichendeuter aus seinem Reiche verbannt hatte, zuletzt die Wahrsagerin (Hexe) von Endor über sein künftiges Schicksal. Auch die Juden waren beeinflußt von der babylonischen Weltanschauung, nach der Natur- und Menschenleben als in Wechselwirkung stehend gedacht wurde (vgl. Mantik). Vorzüglich waren die Traumdeuter sehr gesucht; ebenso befragte man Totenbeschwörer und Sterndeuter und bediente sich der Eingeweide der Opfertiere, der Lose etc. zur W. Im Gegensatz hierzu gestaltete sich das Prophetentum (s. Prophet) zu einer Art öffentlichen Predigtamts, wobei die Mahnungen an das öffentliche Gewissen fast immer mit W. künftiger Unglücksfälle oder umgekehrt künftiger Erlösung aus dem Unglück verbunden wurden (s. Messias). Die W. erstreckte sich hier weniger auf einzelne Ereignisse als auf den allgemeinen Gang und das einheitliche Ziel der göttlichen Weltlenkung. Nach kirchlicher Vorstellung haben die messianischen Weissagungen des Alten Testaments ihre Erfüllung in Jesus Christus gefunden, der seinerseits wiederum Weissagungen über die siegreiche Entwickelung der Kirche hinzufügte. Die freier gerichtete Theologie lehnt wie die Wunder, so auch die W. als Beweismittel für die Wahrheit des Christentums ab und sucht die biblischen Prophezeiungen geschichtlich und psychologisch zu verstehen. über die Wahrsager der Perser s. Magier. Bei den Griechen bildete ein System der W. vollends einen integrierenden Bestandteil der Staatsreligion. Sie verehrten in Gäa und später in Apollon besondere Wahrsagegötter und richteten sich in ältern Zeiten selbst in Staatsangelegenheiten nach den Aussagen ihrer Priester (s. Orakel). Außerdem galten noch insbes. der unterirdische Zeus von Dodona, Herakles, Orpheus, Trophonios und Äskulap als Vorherverkündigungen gebende Gottheiten, Melampus, Mopsos u. a. als vergötterte Ahnen von Prophetenfamilien. Nicht selten waren Frauen (Pythien, Sibyllen), die man durch betäubende Erdgase in eine Art Delirium versetzte, die Verkünderinnen der Zukunft, wie denn bei Griechen und Römern die Prophetengabe als eine Art heiligen [495] Wahnsinnes dargestellt wurde, z. B. von Platon und Cicero. Die Römer erhoben ein von den Etruskern ererbtes und demjenigen der Chaldäer außerordentlich ähnliches Weissagungssystem zum Regierungsmittel des Volkes. Ihre meist aus Etrurien herbeigerufenen und auf Grund ausführlicher etrurischer Schriften ihr Amt versehenden Augurn und Haruspices waren lange Zeit Staatsbeamte; ihre W. aus dem Flug und dem Fressen der Vögel, aus den Eingeweiden der geschlachteten Opfertiere, aus den Blitzen und andern Naturerscheinungen waren öffentliche Kultushandlungen. In den spätern Zeiten wurde die Privatpraxis in Rom durch Chaldäer und Juden geübt. Die germanischen und keltischen Völker legten die Gabe der W. vornehmlich den Frauen (Alraunen) bei, von denen Tacitus zwei, die Velleda und Aurinia, wegen ihres großen Rufes nennt. In der nordischen Dichtung suchen selbst die Götter Seherinnen (Völen) auf. Die Skandinavier unternahmen kein wichtiges Geschäft, ohne eine W. erhalten zu haben, und die Sitte blieb auch, obgleich mit Strafen bedroht, nach Annahme des Christentums. Die germanischen Stämme legten außerdem besondern Wert auf Vorzeichen aus Tierbegegnungen (s. Angang), auf das Werfen des Loses und auf Ordalien. Auch die Zweikämpfe gehörten dahin, die man bei Ausbruch eines Krieges zwischen einem Stammesgenossen und einem Gefangenen der feindlichen Partei anstellte, und nach deren Ausgang man auf den des Hauptkampfes schloß. Ferner weissagte man (wie auch Slawen und Perser) aus dem Gang, dem Wiehern und Schnaufen der heiligen Pferde, aus dem Geschrei und Flug der Vögel, besonders bei Krankheiten, aus dem Blut und den Eingeweiden der Schlachtopfer, aus dem Wasser, und zwar besonders aus dem Wirbeln und Rauschen der Quellen und Flüsse. Auch die Traumdeutung war allen germanischen Stämmen eigen. Das Christentum versuchte umsonst, diese heidnischen Gebräuche zu ersticken; man wendete nunmehr höchstens die Bibel als Losbuch an (s. Bibliomantie) und berief sich für die Handlesekunst auf die Bibel. Die in Europa auftauchenden Zigeuner brachten die Wahrsagerei in neuen Schwung, und im Volk hat sich der Glaube daran vielfach bis heute erhalten. Hierher gehören auch die Vorzeichen von Todesfällen durch Ahnungen. das Zweite Gesicht, das Sichdoppeltsehen, das Kartenschlagen, das Wahrsagen aus dem Kaffeesatz, durch Punktieren etc. Nirgends aber gibt man mehr auf diese Kunst als bei den heidnischen Völkern aller Länder und Zonen; ihre Priester (s. Schamanismus) sind zugleich Zauberer und Wahrsager, und ihr Ansehen ist hier um so größer, da die geistig tiefstehenden Menschen alle für sie unerklärbaren Andeutungen für Weissagungen halten. Vgl. Bouché-Leclercq, Histoire de la divination dans l'antiquité (Par. 187981, 4 Bde.); Lenormant, La divination chez les Chaldéens (das. 1875), und die Literatur beim Artikel »Magie«; ferner Becker, Die Weissagungen als Kriterien der Offenbarung (Mainz 1890), und die Literatur bei den Artikeln »Messias« und »Prophet«.