Böse [3]

[113] Böse, das B. ist in der Moral ein Begriff, womit man Alles bezeichnet, was dem Sittengesetz zuwider ist, gleichviel, ob es blos als Gesinnung, od. als wirkliche That hervortritt. Die Ansicht, daß das B. allgemein unter den Menschen verbreitet ist u. in der verschiedensten Gestalt sich bemerkbar macht, war von jeher unter den aufmerksamen Beobachtern der Welt u. des Lebens herrschend, u. die bekannten Aussprüche bei Ovidius: Nitimur in veritum semper (d.h. wir streben immer nach dem Verbotenen), bei Horatius: Vitis nemo sine nascitur (d.h. Niemand wird ohne Fehler geboren) u. ähnliche bei Plato, Aristoteles u. And. zeigen, wie man sich jener Ansicht zuneigte. Selbst die ehre des Confuzius, wonach der Mensch von Natur gut ist u. dadurch zur Tugend getrieben wird, räumte dem Volksbewußtsein gegenüber die Möglichkeit des B-n ein u. setzte die Quelle desselben in den materiellen Bestandtheil des Menschennatur. Die Frage über den Ursprung des B-n ist schon frühzeitig aufgewogen u. verschieden beantwortet worden. Nach der Lehre Zoroasier's u. des Zend-Avesta war das B. der Ausfluß des hösen Princips, Ahriman genannt, u. nach der Glaubenslehre der Parsen brach Ahriman in Schlangengestalt in die Schöpfung u. suchte dieselbe mit Hülfe der von ihm geschaffenen feindlichen Mächte, Devas genannt, zu zerstören, u. obschon Ormuzd u. seine Lichtschaaren Sieger blieben, so konnte doch das B. seitdem nicht ganz vernichtet werden, sondern trat in der Menschenwelt als Laster u. Sünde, als Trägheit, Lüge u. verderbliche Sinnenlust allerthalben hervor. Diese Anschauung fand sich auch bei den Chaldäern u. später bei Gnostikern, namentlich[113] bei den Manichäern, wie überhaupt bei den Religionen, denen das dualistische Princip zu Grunde lag. Im christlichen Alterthum erklärte man den Ursprung des B-n durch die mosaische Erzählung vom Sündenfall, u. die vom Apostel Paulus aufgestellte Vergleichung zwischen dem ersten u. zweiten Adam, sowie die durch denselben entwickelte Lehre, daß durch Adam die Sünde in die Welt gekommen u. nach ihm durch die Geburt auf alle Menschen fortgepflanzt worden ist (Traducianismus), wurde allmählig unter den Kirchenvätern der Griechischen u. Lateinischen Kirche herrschend, bis endlich durch Augustinus in der Lateinischen Kirche die Lehre von der Erbsünde (s. d.) daraus hervorging, die, in der scholastischen Zeit etwas gemildert, durch die Reformatoren den Weg in die Bekenntnißschriften der Evangelischen Kirche fand. Von Anderen wurde der Ursprung des B-n von dem Teufel hergeleitet, indem derselbe nicht nur zuerst gesündigt, sondern auch die ersten Menschen zur Sünde verleitet habe (Joh. 8, 44, Matth. 13, 39). Kant's radicales B. ist die ursprüngliche Verderbnis; der menschlichen Natur als Äußerung der absoluten Freiheit des Menschen. Die Theologen der freieren Richtung, wie Ammon, Döderlein, Henke u. And., suchen den Ursprung des B-n auf psychologischem Wege, u. zwar als etwas Natürliches, nicht als etwas zufällig Entstandenes zu erklären; die der Schelling'schen u. Hegels'chen Schule, wie Marheinicke u. Daub, suchen die Natur des B-n darin, das; jedes freie Wesen nicht von Gott geschaffen sein wolle, sondern daß es begehre, absolut in sich selbst, d.h. außer Gott zu sein, u. haben sich dadurch immer weiter von dem biblischen u. kirchlichen Begriff des B-n entfernt. Vgl. Clerke, Inquiry into the cause and origin of evil, Lond. 1720 f., 2 Bde.; Bilfingen, De origine et permissione mali praecipue moralis, Frkf. 1724; Geßner, Über den Ursprung des B-n, Lpz. 1801; Daub, Das B. im Verhältniß zum Guten, Heidelb. 1816–18, 2 Bde.; Herbart, Gespräch über das B., Königsb. 1817; Schiestl, Gespräch über den Ursprung des Omen u. B-n, Sulzb. 1818; Blasche, Das B. im Einklänge mit der Weltordnung, Lpz. 1827.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 113-114.
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