[610] Knochenbruch (Fractura), jede durch äußere Gewalt od. ungewöhnliche Muskelwirkung hervorgerufene Trennung des Zusammenhangs der Knochensubstanz. Die äußere Gewalt wirkt am häufigsten als Fall, Stoß, Schlag. Bricht ein Knochen an der Stelle, wo die Gewalt einwirkt, so ist das ein directer K., im Gegensatz zu dem indirecten K. (Fractur durch Gegenstoß, Contrecoup), wo der K. entfernt von der Einwirkungsstelle der Gewalt eintritt, u. zwar sind letztere häufiger, zumal[610] an den langen Knochen. Knochenbrüche durch Muskelcontraction allein sind selten, s. Knochenbrüchigkeit. Man unterscheidet den vollständigen K. (Fr. completa), mit Trennung des Knochens seiner ganzen Dicke nach; den unvollständigen K. (Fr. incompleta), mit nicht vollständiger Trennung. Zu letzterem zählen die Verbiegungen, zumal am Vorderarmknochen häufig (Traumatische Curvaturen); ferner die Einknickungen (Infractiones), wenn der Knochen zur Verbiegung zu hart ist, bei Erwachsenen aber selten; ferner die Spaltbrüche, gewöhnlich bei Längenknochen (Kleckbrüche, Fissurae), Sprünge, welche sich nach der Längenachse des Knochens hinziehen; einfacher K., wenn der Knochen blos an einer Stelle zerbrochen; doppelter od. vielfacher K., Bruch eines Knochens an zwei od. mehreren Stellen; zusammengesetzter K., Bruch mehrerer Knochen; Splitterbruch (Fr. assularis), mit Zersplitterung der Knochensubstanz; Comminutivbruch, mit Zermalmung des Knochens; Querbruch (Fr. transversa), Schiefbruch (Fr. obliqua), Längenbruch (Fr. longitudinalis); complicirter K. (Fr. complicata), mit bedeutender Verletzung der Weichtheile od. unter sonst erschwerenden Umständen. Mit dem K. ist sehr häufig Verschiebung der Bruchenden verbunden. Die Erkenntniß eines K-es stützt sich auf die Beweglichkeit der Bruchenden, auf die Knochencrepitation (ein trockenes, hartes Reibungsgeräusch bei Bewegung des Gliedes in dem untersuchenden Finger, als stoßweises Erzittern u. dem Ohre als krachendes, metallisch klingendes Geräusch bemerkbar) u. auf die Formveränderung des gebrochenen Gliedes. Der Heilungsproceß eines K-es geschieht in ganz ähnlicher Weise, wie die Verheilung von Wunden, u. zwar durch Callusbildung (s.d.), welche die beiden Bruchenden verlöthet. Diese Callusbildung ist sehr verschieden. Wenn die Verknöcherung des Callus an der Bruchstelle mangelhaft bleibt, so entsteht ein widernatürliches Gelenk (Pseudarthrosis). Um nun bei der Heilung die durch Verschiebung der Bruchenden entstandene Deformität des Gliedes zu beseitigen, so macht sich zuvörderst die Reposition, Einrichtung des Knochens, nothwendig, welche in dem Auseinanderziehen der Bruchstücke bis zur normalen Länge von beiden Seiten (Extension u. Contraextension) u. in genauem An- u. Aufeinanderpassen (Coaptation) der Bruchenden besteht. Ferner gilt es, den eingerichteten Knochen in der gehörigen Lage zu erhalten (Retention), u. diesen Zweck sucht man durch entsprechende Lagerung (zwischen Kissen, auf der schiefen Ebene, in Kapseln, Tragbinden, Schweben, in Sandkästen) des ganzen Körpers u. des gebrochenen Gliedes, sowie durch verschiedene Verbände (Contentivverband, vorzüglich den Sentinschen Kleisterverband, Extensionsverband) u. Apparate (mit federndem Pelotendruck, mit Drahtumschlingung, Klammern, Schrauben, Stiften) zu erreichen.
Von den einzelnen K-en sind die Hirnschädelbrüche, wenn sie mit Zersplitterung od. Niederdrückung gebrochener Knochenstücke verbunden sind, Zerreißung der Gefäße der Hirnhaut u. überhaupt der Beeinträchtigung, welche das Gehirn u. seine Häute dabei erleiden, unter allen die gefährlichsten. Oft macht sich dabei Trepanation (s.d.) u. Aufhebung der eingedrückten Stelle durch ein Hebeeisen (Elevatorium) nöthig; vgl. auch Contrafissur. Nasenknochenbrüche kommen bes. durch einen heftigen Schlag auf die Nase, vorzüglich auf ihr Untertheil, vor; dabei ist meist ein gelöstes Knochenstück eingedrückt, welches dann durch eine eingebrachte umwickelte Sonde wieder nach außen gedrückt werden muß. Brüche der Gesichtsknochen sind gewöhnlich mit anderen erheblichen Verletzungen verbunden, wornach auch das Verfahren sich richtet; überhaupt kommt es auch hier darauf an, die verrückten Knochenstücke wieder in ihre Lage zu bringen. Brüche des Unterkiefers sind nicht sehr selten; man erkennt sie gewöhnlich leicht durch das Knarren bei der Berührung u. der Unfähigkeit des Kranken, die Kinnlade zu bewegen. Der Bruch des Schlüsselbeins kommt sehr oft vor u. ist sehr leicht zu erkennen; meist ist Verrückung dabei, u. der Arm wird vorwärts nach der Brust zu gezogen. Die Schulter muß hier hinterwärts gezogen u. erhalten werden. Das angemessenste Verfahren dabei hat Desault angegeben, wobei der Oberarmknochen hebelartig auf ein zwischen seinem oberen Theile u. der Brust gelegtes Kissen wirkt. Rippenbrüche kommen ebenfalls, bes. beim Fallen von einer Höhe, vor. Sie können leicht wegen Verletzungen, welche die Knochensplitter in den inneren Brusttheilen bewirken, gefährlich werden; dies abgerechnet, ist ihre Heilung leicht. Brüche des Brustbeins sind seltener, übrigens wie Rippenbrüche zu behandeln, ein eingedrücktes Stück kann eben so wie beim Hirnschalenbruch gehoben werden. Brüche der Wirbelsäule, des Kreuzbeins, der Steißbeine u. der Beckenknochen, kommen nur in Begleitung verbreiteter Verletzungen vor, welche der Körper in den Gegenden derselben erleidet; die Fälle sind meist tödtlich, u. die Kunst kann in Bezug auf die Knochenverletzung direct nichts Erhebliches mitwirken. Schulterbrüche sind selten, am gewöhnlichsten bricht das Akromion ab; der Arm hängt dann schlaff herunter. Die Brüche des Oberarms sind die gemeinsten u. am leichtesten zu heilen. Bei den Brüchen des Vorderarms kommt es darauf an, ob beide Röhren od. nur eine gebrochen ist; im letzteren Falle ist keine Verschiebung da. Die Unfähigkeit, die Hand auswärts u. einwärts zu drehen, deutet den Bruch der Speiche an, welcher überhaupt häufiger als der der Ellenbogenröhre vorkommt. Von dieser bricht jedoch leicht der Ellenbogenknochen ab, ein Fall, der leicht zu erkennen u. meist auch ohne Schwierigkeit zu heilen ist. Der Schenkelbeinbruch ist auch häufig. Der Oberschenkel splittert stark, was die Heilung sehr schwierig macht. Besondere Schwierigkeiten hat der Schenkelhalsbruch; auch bleibt meist Steifigkeit des Hüftgelenks u. Verkürzung des Fußes, also ein lahmer Gang, zurück. Der Kniescheibenbruch ist gewöhnlich ein Querbruch u. die Folge eines Falls od. Stoßes auf das Knie; das abgebrochene obere Stück wird durch die großen Streckmuskeln des Unterschenkels am Oberschenkel weit in die Höhe gezogen u. der Kranke vermag nicht aufzutreten. Man sucht, unter Erschlaffung der Muskeln bei ganz ausgestrecktem Schenkel, das gewichene Stück wieder in Vereinigung mit dem anderen zu bringen u. darin durch eine angemessene Bandage zu erhalten. Vom Unterschenkel zerbricht nicht leicht die Schienbeinröhre ohne gleichzeitigen Bruch des Wadenbeins, u.[611] es tritt dann meist Verrückung ein. Die Behandlung ist die des Oberschenkelbruches; vgl. Fußbett, Beinlade, Strohladen. Die Brüche der Knochen der Hand- u. Fußwurzel sind immer mit Zermalmung u. Verrückung derselben verbunden u. als complicirte Wunden zu betrachten. Brüche einzelner Knochen der Mittelhand, des Mittelfußes, der Finger u. Zehen sind an sich zwar die einfachsten, kommen aber, da sie meist nur in Begleitung anderer Verletzungen dieser Theile Statt finden, als Brüche wenig in Betracht. Vgl. Mebes, Knochenbrüche, 1845; Malgaigne, Traité des fractures, Par. 1847; Bötsch, Die Heilung der Knochenbrüche, 1847; Middeldorph, Beiträge zu der Lehre von dem K., Bresl. 1853. Da bei Thieren die Heilung eines Bruches der langen Röhrenknochen immer langwierig u. schwierig ist, so zieht man beim Schlachtvieh vor, es sogleich nach einem solchen Unfall zu schlachten; nur bei jungen u. kostbaren Pferden versucht man die Kur, welche dann gegen drei Monate dauert; der Fuß bleibt aber dann meist schwach.