Kratze

[774] Kratze, 1) (Krempel, Karde), ein Werkzeug, Baumwolle, Schafwolle u. Leinenwerg, zum Spinnen vorzubereiten, indem sie durch das Kratzen vom Unrath befreit u. die Fasern glatt gestrichen werden. Das Kratzen wird entweder mit der Hand od. auf Maschinen vollzogen. A) Beim Handkratzen, welches nur bei der Handspinnerei vorkommt, besteht die K. aus einem 8–12 Zoll langen u. 3–6 Zoll breiten Stück Kalbs- od. Rindsleder, in welchem mehrere Reihen Drahtstifte in gleicher Entfernung von einander befestigt sind; jeder Stift wird in der Hälfte od. 2/3 seiner Höhe nach einem Winkel zu einem Haken (Kratzhaken) gebogen. Diese Stücken Leder (Kratzblätter) werden auf einem convex gebogenen Brete (Kratzbrete) aufgenagelt. Beim Gebrauche hat man zwei K. nöthig, wovon die untere auf einem Tisch od. einer Bank (Kratzbank) befestigt ist, in diese wird die Wolle eingestrichen, mit der andern beweglichen K. darüber weggestrichen u. die Wolle ausgekämmt. Streicht man auf die entgegengesetzte Seite, also nach dem Laufe der Haken in der untern K., so kann man die eingekrempelte Wolle als zusammenhängendes Stück (Fliede od. Vließ) herausnehmen. Man hat grobe ( Brech-, Reiß-, Kratzkämme) u. seine K. (Schrobeln, Kniestreichen), je nachdem der zu den Zähnen genommene Draht grob od. sein ist u. weniger od. mehr Zähne in einer Reihe stehn, daher 40er, 50er –80er, d.h. Kratzen, die so viel Zähne in einer Reihe haben; offene K., wo die Reihen der Zähne weit aus einander, u. geschlossene K., wo sie dicht hinter einander stehen. In den Wollenmanufacturen wird gewöhnlich nur die kürzere Wolle gekrempelt, daher Krempelwolle, dagegen die längere gekämmt (s. Wollkämmer). Beim Vorbereiten des Wergs für die Handspinnerei bestehen die Kratzen (Hedekämme od. Wergkämme) aus einem ungefähr T förmigen Bretchen, woran der Stiel 6 Zoll lang, oben einen, unten 2 Zoll breit, das Querstück 6 Zoll lang u. etwa 2 Zoll breit ist; in dem Querstück stehen etwa 20–50 zugespitzte Eisendrahtzähne von 2 Zoll Länge u. 1/2–1 Linie Dicke. In die Zähne der einen K. schlägt man das Werg u. kämmt es mit der andern K. gut durch, wobei man Knoten, gröbere Unreinigkeiten u. die kürzesten Fasern mit den Fingern entfernt; sind alle langen Fasern in die zweite K. übergegangen, so hängt man sie zum Verspinnen der Fasern an den Rocken; auch hier beginnt man mit groben K-n u. geht dann zu feineren über. Auch Hutmacher krempeln zum Theil ihre Wolle, u. Sattler krempeln die zu Matratzen bestimmten Pferdehaare auf ganz groben Kratzen, um von den Pferdehaaren dünne Flieden zu bekommen, die in den Matratzen kreuzweis auf einander gelegt werden. Die Kratzen wurden sonst von Nadlern, Hechelmachern, od. an manchen Orten, z.B. in Nürnberg, zünftigen Kardetschenmachern, jetzt gewöhnlich in Fabriken verfertigt. B) Cartwright erfand 1775 die erste walzenförmige Kratzmaschine, die später in England, Frankreich u. den Niederlanden sehr vervollkommnet u. zu Anfange des 19. Jahrh. auch in den deutschen Spinnereien eingeführt wurde. a) In den Baumwollenspinnereien (vgl. Baumwolle III.) besteht die Kratzmaschine (Krempelmaschine, Streichmaschine, Karde) gewöhnlich aus einer großen Trommel od. hohlen Walze, die mit Kratzbeschläge (s.d.) bezogen ist; über dieser Walze befindet sich eine runde Decke (Kratzdeckel, Hanbe), deren concave Seite ebenfalls mit Kratzbeschläge überkleidet ist; zwischen beiden wird die Wolle gekrempelt. Statt der Haube hat man auch eine kleinere Walze, die ganz mit Kratzblättern belegt ist. Um von der großen Walze die gekrempelte Wolle als eine breite Fliede abzunehmen, ist hinten ein eiserner Kamm angebracht, welcher die Wolle stoßend heraushebt. Um die Wolle auf die K. zu bringen, ist vorn ein schräges Bret angebracht, auf welches die Wolle gestreut wird, von wo sie hölzerne Walzen od. cylindrische Bürsten der großen Walze zuführen; od. man thut die Wolle in einen Rumpf, aus dem eine kleinere Kratzwalze die Wolle herauszieht u. der größern Walze mittheilt. Die Baumwolle wird gewöhnlich zweimal, erst auf den groben Reißkrempeln (Vorkratzen, Grobkarden) u. dann auf den Feinkratzen (Feinkrempeln, Feinkarden, Auskarden) gekrempelt. In den Vorkratzen wird die Baumwolle in Form einer Watte durch 2 (11/4 –11/2 Zoll Dicke) Riffel- od. Speisewalzen der Trommel (Tambour) zugeführt, die, 11/2 –31/2 Fuß lang u. 3–4 Fuß im Durchmesser, in der Minute 100–200 Umdrehungen macht u. in dieser Zeit nur 2–7 Zoll Watte zugeführt bekommt; von der Trommel wird die Baumwolle[774] durch eine kleinere (13–20 Zoll Durchmesser) Walze mit Kratzbeschläge (Abnehmer, Fillet, Kammwalze) abgenommen, die in einer Minute nur 3–7 Umdrehungen macht; von dieser endlich lost der schnell (250 Mal in einer Minute) auf u. nieder gehende Kamm (Hacker), eine gezahnte Stahlschiene, die Baumwolle als Vließ ab, das sich auf der Vließtrommel (Aufroller) aufwickelt. Sind etwa 20 Lagen auf Vließtrommel aufgewickelt, so reißt man diesen Überzug der Länge nach auf u. übergibt ihn der Feinkrempel, die sich nur durch feineren u. engerstehenden Krempelbeschlag von der Reißkrempel unterscheidet u. die Baumwolle als 1–11/2 Zoll breites Band abliefert, indem ein Paar Abzugswalzen das abgekämmte Vließ durch einen platten Trichter hindurchziehen u. in einen Blech-cylinder (Kanne) fallen lassen. Hat die Vorkratze schon ein Band geliefert, so gibt man in der Feinkratze mehrere solche Bänder neben einander auf, od. vereinigt sie vorher auf der Doublirmaschine (Leppingmaschine) zu einer Watte. Werden die Bänder von den Vorkratzen in einem am Fußboden angebrachten Kanal der Doublirmaschine unmittelbar zugeführt, so heißt sie Kanalmaschine. Führt man der Trommel zwei Bänder zugleich unter einander zu u. bringt gegenüber zwei Abnehmer mit Kamm an, bearbeitet also zwei Watten auf einmal, oder verbindet zwei Krempeln so, daß der Abnehmer der einen die Baumwolle gleich der Trommel der andern zuführt, so hat man eine Doppelkrempel od. Doppelkarde. Mit den Feinkratzen ist gewöhnlich das Streckzeug verbunden. Dies besteht aus mehreren Paaren hölzerner Walzen, zwischen welchen der Fliederstreif hindurch geleitet wird. Die entfernten Walzen drehen sich schneller um, u. indem sie mehr Wolle einziehn, als die nächst vorhergehenden Walzen hergeben, dehnen sie die Fliede selbst bedeutend aus. Alle diese Vorrichtungen befinden sich bei größern Spinnereien in einem eignen Saale od. Gebäude, der Krempelei, u. werden von einem Wasserrade, einer Dampfmaschine od. Roßmühle in Bewegung gesetzt. Anfangs drehte man die Kratzmaschinen durch eine Kurbel. Über sämmtliche Maschinen u. Arbeiten hat der Krempelmeister die Aufsicht. b) In den Schafwollspinnereien bestehen die Kratzmaschinen aus einer großen u. mehrern um dieselbe herumstehenden kleinern Walzen, die mit Kratzblattern belegt sind, u. den Kratzdeckel der Baumwollenkratzmaschinen ersetzen, einige der kleineren Walzen nehmen die Wolle von der großen Walze ab u. theilen sie der nächsten kleinen Walze mit, die sie wieder auf die große Walze bringt; dadurch wirb verhindert, daß sich die langen Haare der Schafwolle verfilzen u. zerreißen; auch wird die Wolle durch das Einfetten Vorher geschmeidiger gemacht u. noch früher durch Auflockern für das Kratzen vorbereitet; dazu dient der Wolf, ein mit starken eisernen Stiften beschlagener Cylinder, der sich in einem hohlen, inwendig ebenfalls mit eisernen Stiften beschlagnen Cylinder dreht, so daß die Wolle dazwischen aufgelockert (maschinirt) wird. Auch die Wolle (Streichwolle) wirb wenigstens zweimal gekratzt; das erste Kratzen (Schrubbeln od. Schrobbeln) wird auf der Schrubbelmaschine (s.d., Reißkrempel, Pelzmaschine, Fellmaschine), das zweite auf der Lockenmaschine (s.d.) od. Lockenkrempel verrichtet. c) In der Flachspinnerei wird das Werg vor dem Verspinnen durch Wergkratzmaschinen bearbeitet; auch bei diesen sind die Kratzdeckel durch. 3–9 Paar Kratzcylinder (Arbeits- u. Wendewalzen) ersetzt, die ähnlich wirken, wie bei den Wollkratzen; der Beschlag ist zugleich gröber (von Stricknadeldicke) u. besteht meist aus ringförmigen Streifen mit Zwischenräumen für den Abfall, Auch hier ist eine Vorkratze, eine Feinkratze u. häufig eine Doublirmaschine in Anwendung. 2) so v.w. Kräuel; 3) ähnliches Werkzeug der Minirer; vgl. Krätzer.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 774-775.
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