[339] Swedenborg (Emanuel von), der tiefsinnigste und geistvollste unter den Mystikern und religiösen Schwärmern des 18. Jahrh., war der Sohn des Bischofs von Westgothland, Jesper Swedberg, geb. 1688 zu Stockholm. Im älterlichen Hause empfing er einen nach den Grundsätzen der Kirche streng lutherischen Unterricht, und frühzeitig war es das Übersinnliche der Religion, wozu sein lebendiger Geist sich hingezogen fühlte. Bei seinen ausgezeichneten Fähigkeiten studirte er neben der Theologie mit großem Eifer und gleich großem Erfolge Mathematik und Naturwissenschaften, versuchte sich als Dichter, besuchte von 1710–14 die Universitäten Englands, Hollands, Frankreichs und Deutschlands und erlangte nach seiner Rückkehr die Docentenwürde zu Upsala. Seine mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse erregten die Aufmerksamkeit des Königs Karl XII., der ihn 1716 zum Beisitzer im Bergwerkscollegium ernannte. Zahlreiche, gelehrte Schriften begründeten jetzt noch mehr seinen Ruf, und als er durch die Erfindung einer Rollmaschine eine Schaluppe, zwei Galeeren und vier große Böte, die Karl All. 1718 zum Transport des Belagerungsgeschützes nach Friedrichshall brauchte, von Strömstad bis Idefjal, fünf Stunden weit über Berg und Thal schaffte, wurde er zur Anerkennung seiner vielfachen Verdienste von der Königin Ulrike unter dem Namen van Swedenborg in den Adelstand erhoben und ihm dadurch das Recht zur Reichsstandschaft gegeben. Er unternahm von 1720–40 zur Untersuchung der Bergwerke Reisen in fast alle Länder Europas. Mit ungemeinem Scharfsinn und dem Aufwande der außerordentlichsten Geisteskraft hatte er während dieser Zeit ein vollständiges Natursystem aufgestellt, in welchem jede Erscheinung der leblosen und belebten Natur an bestimmte Gesetze gebunden ist und alle Dinge in einem nothwendigen, gegenseitigen Zusammenhange stehen. Diese Beschäftigung mit den Kräften der Natur führte seine lebendige Einbildungskraft zu dem Umgange mit der Geisterwelt. Im I. 1743 hatte er zu London ein Gesicht, in welchem ihm Gott der Herr als Schöpfer und Erlöser erschien [339] und ihn zu einem neuen Mittler berief, um den Menschen durch höhere Eingebungen den geistigen Sinn der heiligen Schrift zu erklären. Gleichsam als wäre der Schleier des Unsichtbaren von seinem innern Geistesauge hinweggenommen sprach nun S. über Gegenstände des Glaubens, über Himmel, Hölle und Geisterwelt, wie über Dinge des gewöhnlichen Lebens. Er sah nicht nur verstorbene Bekannte wieder, sondern auch die größten Männer der Vorwelt erschienen ihm und hielten Unterredungen mit ihm. Jetzt wollte S. nicht länger mit weltlichen Geschäften sich abgeben, er legte 1747 seine Stelle im Bergwerkscollegium nieder und lebte nun einzig seinem neuen Berufe. Sein Sitz war bald in England, bald im Vaterlande; seine Hauptbeschäftigung war, sich mit den Geistern zu unterhalten, ihre Offenbarungen aufzuschreiben und durch den Druck bekannt zu machen. Er selbst nannte sich »einen Secretair des Herrn«. So ehrlich es auch S. mit seinen Geistererscheinungen und himmlischen Offenbarungen meinte, so war er dennoch in einer großen Selbsttäuschung befangen, von welcher der Grund nicht weniger in seinem kühnen, von einer reizbaren Einbildungskraft unterstützten Forschungstriebe, als seinen anhaltenden Studien älterer mystischer Schriften, besonders der des Jakob Böhme, zu suchen ist; gleichwol erregte der in der Wissenschaft vollkommen gebildete, durch Genie, Gelehrsamkeit und Tugend gleich ausgezeichnete und bewunderungswürdige Mann so sehr das Aufsehen seiner Zeit, daß die Schriften, in welchen er seine Offenbarungen bekannt machte, nicht nur zahlreiche Leser, sondern auch Glauben fanden. Daß S. sich selbst täuschte, wie alle Geisterseher, und Einbildungen an die Stelle himmlischer Offenbarungen setzte, geht daraus hervor, daß die unsichtbare Welt, in der er lebte, das eigne Denken und Wissen und die Sitten und Verhältnisse seiner Zeit wiederspiegelte, sodaß seine Schilderungen des Unsichtbaren, des Himmels und der Hölle, der Engel und Teufel überall die Farben des Irdischen an sich tragen, wie solche die geschäftige und reiche Einbildungskraft aus Natur- und Menschenwelt, aus Vergangenheit und Gegenwart ihm darbot. Dennoch sind die hierher gehörigen Schriften S.'s, sämmtlich in lateinischer Sprache verfaßt, wegen ihres tiefen, religiösen Inhalts, dem Theologen und Philosophen von großer Wichtigkeit, und selbst als eine eigenthümliche Art der religiösen Dichtung (Apokalypse) haben sie von vielen Seiten gerechte Anerkennung und Bewunderung gefunden. Im Zustande der Verzückung glich S. einem Träumenden, dessen Gesichtszüge den tiefsten Schmerz und die höchste Freude zeigten, je nachdem sein Inneres im Anschauen der Hölle oder des Himmels mit ihren schrecklichen und bezaubernden Erscheinungen begriffen war. Im gewöhnlichen Leben zeigte er die Bildung seiner Weltleute, sein Umgang war lehrreich und anziehend, seine Person voll Anstand und Würde. Er war niemals verheirathet, schätzte aber die Gespräche geistreicher Frauen, und vermied auch den Schein eines Sonderlings. Einmal wegen seiner Offenbarungen von der Geistlichkeit in Schweden angeklagt, schützte ihn der König Adolf Friedrich. Im festen Glauben an dieselben und allgemein geachtet starb er im hohen Alter 1772 zu London.
Auf den Grund der Schriften S.'s als heiliger Büchersammelten sich seine Anhänger, die Swedenborgianer, nach seinem Tode zu den Gemeinden der Kirche des neuen Jerusalems. Die Schriften S.'s nennen sie die geistliche Mutter, oder Lehren aus dem Worte, während der geistliche Vater, oder das Wort die Bibel heißt. Von dieser nehmen sie nur aus dem A. T. die fünf Bücher Mosis, das Buch Josua, Richter, die Bücher Samuelis, die Könige, die Psalmen und die Propheten; aus dem N. T. die vier Evangelien und die Offenbarung Johannis als echt an. Dem Worte der h. Schrift legen sie einen dreifachen Sinn unter: einen buchstäblichen, den jeder gesunde Verstand erfassen kann; einen innern geistigen, den S. aufgeschlossen und aus jenem, in welchem er verborgen lag, entdeckt hat, und einen himmlischen, den nur die Engel wissen und der in dem innern geistigen versteckt liegt. In Ansehung der Glaubenslehre leugnen sie die Lehre von der Dreieinigkeit, von der sündenvergebenden Kraft des Versöhnungstodes Christi, der Gnadenwahl und die Auferstehung des Fleisches. Gott allein ist ihnen Christus, der Herr, in dessen Person Schöpfer, Erlöser und Tröster vereinigt ist und der, nachdem er zuerst in Christus erschienen, zum zweiten Mal im J. 1743 in S. sich offenbarte, um den Menschen das Heil zu bringen. Es geschieht dies durch die von ihm entdeckte Schriftauslegung, welche auf dem Glauben an eine Correspondenz zwischen dem Himmlischen und Irdischen, d.i. der Ansicht beruht, daß die unsichtbare Welt die sichtbare vollkommen durchdringe und umgekehrt, wodurch die Wahrheit von Geistererscheinungen außer allem Zweifel gesetzt sei. Das jüngste Gericht deuten sie, als schon vorhanden gewesen, von dem durch S. 1756 herbeigeführten Untergange der alten Kirche. Nach dem Tode glauben sie sogleich in verklärte Leiber, die den Neigungen eines Jeden angemessen sind, versetzt zu werden, und dann, nach Verdienst, entweder in den Himmel oder in die Hölle zu kommen. Engel und Teufel halten sie für die Seelen verstorbener Menschen. Bedingung der Seligkeit ist unter göttlicher Mitwirkung die selbsteigne Besserung und Umwandlung des Herzens. Die Taufe gilt als Aufnahmceremonie und wird sowol an Kindern als an Erwachsenen vorgenommen. Das Abendmahl ist Mittel der geistigen Vereinigung mit Christus. Die Regierung der Gemeinden des neuen Jerusalems ist durch eine Stufenfolge von drei besondern Mächten bestimmt. Die erste und höchste Macht wird durch das göttliche Wort dargestellt, welches in drei Formaten auf dem im allgemeinen Betsaal stehenden, unbesetzten Präsidentenstuhle liegt; die zweite, erklärende, ordnende Macht, äußert sich in den Berathungen der stimmfähigen Glieder jeder Gemeinde; die dritte, die entscheidende Macht, wird durch vier Vorsteher repräsentirt, von denen der erste für die Lehre von Christus in S., der zweite für die Wissenschaft der Correspondenzen, der dritte für die Bekehrung, der vierte für die Gebräuche sorgt. Der Vorsteher der Gebräuche ist der jedesmalige Bischof der Gemeinde, unter dessen Leitung die von ihm geweihten Geistlichen den Gottesdienst verwalten, wie er selbst unter Berathung mit der Gemeinde die Kirchenzucht übt. Der Gottesdienst der Swedenborgianer besteht in Gesang, Gebet, Vorlesungen aus den als echt anerkannten Schriften der Bibel und S.'s Werken und in der Predigt. Ihre Versammlungs- und Betsäle können an den außergottesdienstlichen Tagen zu bürgerlichen Verrichtungen gebraucht werden, ebenso die Tische, Stühle und Bänke, die sich allein darin befinden. In die Gemeinde kann Jeder aufgenommen werden, der seine Besserung, [340] die aus dem Innern erfolgen muß, zu Stande gebracht hat. Sieben Jahre kann man nun an der Feier des Abendmahls, sowie an dem Stimmrechte der Gemeinde Theil nehmen, ohne darum wirkliches Mitglied derselben zu sein, was erst durch die Taufe geschehen kann. Die Swedenborgianer leben in zahlreichen Gemeinden in Schweden, England, Ostindien, Nordamerika und Südamerika. In Schweden genossen sie noch keine gesetzliche und öffentliche Duldung, dagegen ist dies in England der Fall, wo alle Dissenters dieses Recht haben. Versuche zur Gründung von Gemeinden der Kirche des neuen Jerusalems sind in neuester Zeit auch in Würtemberg gemacht worden.
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro