Württemberg [1]

[749] Württemberg (so officiell seit 1802 geschrieben, früher Wirtenberg, Wirtemberg), Königreich in Deutschland, begränzt von Baden, den preuß.-hohenzollerschen Fürstenthümern, dem Bodensee u. Bayern, 354 QM. groß mit 1784000 E., unter denen 555000 Katholiken sind, deren Bischof in Rottenburg seinen Sitz hat. Der südl. Theil des Landes gehört dem oberschwäb. Plateau an, das ein Ausläufer der vorarlberg. Alpen erreicht (Adelegg), welcher im schwarzen Grath 3420' ansteigt. Zwischen Donau u. Neckar durchstreicht die Alp (s. d.) das Land seiner ganzen Breite nach, den westl. Theil nimmt der Schwarzwald (s. d.) ein. Der bedeutendste Fluß ist der Neckar, schiffbar von Kannstadt an, mit Enz, Fils, Rems, Kocher und Jaxt als den bedeutendsten Zuflüssen; aus Baden tritt südl. die Donau ein, wird aber erst bei Ulm durch die Aufnahme der Blau u. Iller schiffbar. Außer dem Bodensee an der Südgränze ist nur der Federsee in Oberschwaben, der durch die Kanzach in die Donau abfließt, von einiger Bedeutung; an Mineralquellen ist Ueberfluß; besuchteste Bäder sind: Wildbad, Kannstadt, Niedernau, Mergentheim, Teinach. Das Klima ist überall gesund, der Boden, fruchtbar u. wohl angebaut, trägt Wein, Obst, Getreide, Hanf, Flachs, Tabak, Cichorie; die Waldungen sind beträchtlich und wohl unterhalten. Aus dem Mineralreich gewinnt man: Eisen (nicht hinlänglich), Vitriol und Alaun, Gyps, Mühlsteine, bituminösen Schiefer, aus welchem Oel destillirt wird, Kochsalz. Die Industrie ist seit dem Anschluß an den Zollverein sehr im Aufschwung begriffen; der Verkehr wird durch gute Straßen u. die Staatseisenbahn von Friedrichshafen bis Heilbronn, welche durch einen Seitenstrang sich in Bruchsal an die bad., in Ulm an die bayer. an schließt, befördert. Die wichtigsten Gegenstände der Ausfuhr sind: Salz, Holz, Getreide, Obst, Vieh, Wolle, Oel, Tuch, Leder, einzelne chemische Fabrikate, Maschinen, Uhren, Papier, Bücher. In Beziehung auf Verwaltung ist W. in den Neckar-, Schwarzwald-, Jaxt- und Donaukreis, diese in 54 Oberämter eingetheilt. Das Budget für 1855–1858 ist veranschlagt auf 39918858 fl. Einnahmen, 39924528 fl. Ausgaben; das den Anschlag weit übersteigende Erträgniß der Eisenbahn u. der Staatsforsten ergibt indessen bereits einen bedeutenden Ueberschuß. Die Staats schuld betrug 1853 mit Einschluß von 3 Mill. unverzinslichem Papiergeld 52250992 fl. Für den öffentlichen Unterricht ist durch die Landesuniversität Tübingen, durch Gymnasien, Lyceen, Schullehrerseminare, Realschulen, Ackerbauschulen und Volksschulen vortrefflich gesorgt. Man rechnet nach Gulden im [749] 241/2 Gulden-Fuß, 1 Gulden = 60 Kreuzer. Der Centner = 100 Pfd. = 97,28 Zollpfd. Der Eimer = 16 Imi = 160 Maaß = 293,92 franz. Litr. Der Scheffel = 8 Simri = 177,2 franz. Litr. Der Fuß = 10 Zoll = 100 Linien = 0,1 Ruthe = 0,286 Metr.; der Morgen = 384 Quadrat Ruthen = 0,315 Hektar; das Klafter Holz hat 6' Höhe, 6' Breite, 4' Scheitlänge. – W. ist eine constitutionelle Monarchie, hat im Plenum der Bundesversammlung 4 Stimmen, im engern Ausschusse 1; zu der Bundesarmee stellt es 18607 Mann aller Waffengattungen, welche die 1. Division des 8. Armeecorps bilden; Ulm ist Bundesfestung. König ist Wilhelm I., geb. 27. Sept. 1781. – W. war zuerst von Galliern, dann von Sueven besetzt, welche sich vor den Römern zurückzogen, unter deren Herrschaft es zu den agri decumates (s. d.) gehörte. In der Völkerwanderung ließen sich die Alemannen (s. d.) in W. nieder, es wurde fränkisch, bildete unter den deutschen Kaisern einen Hauptbestandtheil des Herzogthums Schwaben. Das Haus W. stammt von schwäb. Grafen im Remsgau; einer derselben, Konrad, baute gegen das Ende des 11. Jahrh. bei Türkheim die Burg W., von der sich seine Nachkommen schrieben. Ulrich I. (gest. 1265) förderte und benutzte den Sturz der Hohenstaufen zur Vergrößerung seines Gebiets; seine Nachfolger schritten in seinen Fußstapfen weiter und erwarben durch Waffengewalt, Kauf, Erbe und Belehnung, indem sie günstige Zeiten zu benutzen verstanden und weder durch geistliche Stiftungen, noch durch Belehnungen ihr Eigenthum minderten, sich auch nur vorübergehend durch Theilungen schwächten. Eberhard III. war bereits mächtig genug, Kaiser Rudolf I. zu trotzen; und obwohl er zuletzt sich beugen mußte, so vereitelte er doch dessen Plan, das Herzogthum Schwaben wieder aufzurichten. In einer Reihe von Kriegen mit den schwäb. Reichsstädten u. Rittern mehrte sich die Macht des Hauses, besonders unter Eberhard IV. (1344–92), dem von Uhland besungenen Rauschebart. Schon damals entwickelte sich das landständische Wesen in der Weise, daß die Landschaft (Aemter und Städte) und Ritterschaft bei Verkäufen, Verpfändungen etc. ein entscheidendes Wort mitsprach und während der Minderjährigkeit Eberhards VII. (gest. 1496) bildete sich bereits ein ständischer Ausschuß von 7 Mitgliedern, welchen der Vormund bei allen wichtigen Angelegenheiten zur Berathung zu ziehen versprach; 1482 erhielten die Stände eine bestimmtere Form durch die Vereinigung der Prälaten und Ritter, und 1492 bildete sich der bleibende Ausschuß; Eberhard VII. (im Barte) erhielt 1495 zu Worms von dem Kaiser den Herzogshut als Herzog Eberhard I.; er stiftete auch die Universität Tübingen. Herzog Ulrich I. (1504–1550) brachte die Dynastie dem Untergange nahe; durch Verschwendung stürzte er sich in ungeheure Schulden, bedrückte das Land, so daß ein Bauernaufstand losbrach (der arme Konrad), welchen er nur durch den Tübinger Vertrag 1514 beschwören konnte; er gelobte in demselben: ohne Bewilligung der Stände keinen Krieg anzufangen, keine neue Steuer auszuschreiben, kein Stück Landes zu verpfänden, den Unterthanen das freie Abzugsrecht zu gestatten, und niemand ohne richterliches Verhör zu verurtheilen. Bald darauf erstach er im Walde Hans von Hutten, einen Hofedelmann, weil er mit dessen Weib ungehindert Buhlschaft treiben wollte, kam dafür in die Acht, und kaum von derselben freigesprochen, überfiel er 1519 die Reichsstadt Reutlingen und machte sie zur württemberg. Landstadt. Dafür jagte ihn der schwäb. Bund (der Herzog pochte auf 12000 geworbene Schweizer, diese verließen ihn aber) mit Waffengewalt aus dem Lande und verkaufte es, um sich für die Kriegskosten bezahlt zu machen, an Oesterreich. Ulrich versuchte vergebens durch die aufständischen Bauern od. durch die Schweizer wieder in Besitz seines Herzogthums zu gelangen; endlich begab er sich zu dem Landgrafen Philipp von Hessen, der mit franz. Gelde ein Heer anwarb und 1534 den protestantisch gewordenen Herzog wieder einsetzte, was Oesterreich in dem Vertrage zu Kadan zugab, sich aber [750] die Nachfolge beim Erlöschen des württemberg. Mannsstammes und die Afterlehensherrlichkeit ausbedung. Ulrich I. machte nun auch sein Land protestantisch, wodurch es zum Stützpunkte des Protestantismus im südl. Deutschland wurde u. eine Bedeutung erhielt, die es früher nicht hatte. Er mußte später noch einmal büßen, nämlich für seinen Antheil an dem schmalkald. Bunde, sein Sohn Christoph dagegen (1550–1568) konnte friedlich regieren und die Reformation im Lande durch Einrichtungen in Kirche und Schule befestigen. Von ihm wurden in Verbindung mit den Landständen durch ein Gesetzbuch die Rechtsverhältnisse (Landesordnung und Landrecht) und die Form der Verfassung bestimmt, die bis zu deren Untergange blieb. Die Ritterschaft erschien nicht mehr auf der Ständeversammlung (eine kaiserl. Verordnung hatte sie als Reichsritterschaft bestätigt); diese bestand aus den Prälaten und der Landschaft d.h. den Abgeordneten der Städte u. Aemter, wurde von dem Herzog zusammenberufen, und ohne ihre Bewilligung durfte kein Gesetz u. keine Steuer eingeführt werden; außerdem wurden 2 bleibende Ausschüsse niedergesetzt, mit dem besondern Auftrage, die prot. Religion als ausschließliche Landesreligion zu wahren, über die Unzertrennlichkeit des Landes zu wachen, die Contrahirung von Schulden, die Erhebung ungesetzlicher Steuern zu verhindern, für die Erhaltung der Verfassung und Gemeinderechte zu sorgen (1565). Der Einfluß der Ausschüsse war um so größer, als sie einen Theil des Landeseinkommens (der Herzog hatte für sich und die Bedürfnisse der Regierung seine bestimmten Steuern und Güter) verwalteten (die geheime Truhe); sie arteten später in eine förmliche Oligarchie aus, welche nicht nur die Herzoge beschränkte, sondern auch die Einberufung der Landstände möglichst verhinderte. Seitdem vergeht keine Regierung, die nicht offen oder geheim die Macht der Landstände zu schwächen versucht hätte, jedoch gelang es nur vorübergehend. Der dreißigjährige Krieg verheerte W. fast mehr als irgend ein anderes deutsches Land, aber schon nach 30 Jahren hatte es sich wieder erholt, um unter Herzog Eberhard Ludwig (1677–1733) die Räubereien und Verwüstungen der Franzosen und die Mätressenwirthschaft der Grävenitz zu erdulden. Herzog Karl Alexander (1733–37), der unter den kaiserl. Fahnen Kriegsruhm erworben hatte, wurde als Katholik beargwohnt und führte eine üble Finanzwirthschaft (vergl. Süß-Oppenheimer), keine bessere Karl Eugen (1744–93), der durch Bauten, Theater, Oper, Soldatenliebhaberei, Mätressen etc. ungeheure Summen verbrauchte u. Soldaten an die Engländer u. Holländer verkaufte, bis er 1778 in sich ging und besser regierte; er stiftete die berühmte Karlsschule zu Stuttgart. Ihm folgten seine (wie er kathol.) Brüder Ludwig Eugen (1793–95), Friedrich Eugen (1795–97), diesem sein protest. erzogener Sohn Friedrich II. Zuerst litt das Land unter dem Kriege gegen Frankreich, erhielt aber 1803 für die an Frankreich abgetretene Grafschaft Mümpelgard in der Franchecomté bei 30 QM. mit 125000 E. zur Entschädigung. Als Bundesgenosse Napoleons I. warf der 1803 zum Kurfürsten emporgestiegene Herzog 1805 die Verfassung über den Haufen, erhielt als Rheinbundsfürst den Königstitel Friedrich I., im Preßburger Frieden eine neue beträchtliche Gebietserweiterung, hauptsächlich in Oberschwaben bis an den Bodensee, zu der 1809 eine neue kam, so daß das Königreich seinen gegenwärtigen Umfang erreichte (das Herzogthum W. zählte 1800 auf 134 QM. 660000 Einw.). Die württemb. Soldaten schlugen sich mit ausgezeichneter Bravour von 1805–1813 in allen Kriegen Napoleons I.; daß nicht auch ein württemberg. Corps in Spanien wie 1812 in Rußland zu Grunde ging, verhinderte die Weigerung des Königs, Truppen nach Spanien zu schicken. Nach der Schlacht von Leipzig trat er durch den Vertrag von Fulda sehr ungern auf die Seite der Verbündeten, und während seine Soldaten unter dem Kronprinzen gegen Napoleon I. fochten, blieb er mit dem selben in steter Verbindung. Dem deutschen Bunde schloß er sich nach langer Weigerung an, konnte dagegen in [751] W. keine landständische Verfassung zu Stande bringen, denn die nach einer neuen Wahlreform und mit Ertheilung einer neuen Verfassung zusammenberufenen Stände verwarfen dieselbe in der ersten Sitzung und beriefen sich auf den rechtlichen Bestand der alten (»das alte Recht« im Volksmunde), deren theilweise Abänderung von ihnen jedoch als nothwendig anerkannt wurde. Während der durch die Vertagung der Versammlung entstandenen Aufregung starb der König plötzlich den 30. Oct. 1816. Sein Sohn und Nachfolger Wilhelm I., bereits populär durch seine Waffenthaten in Frankreich, gewann das Vertrauen des Volkes durch die augenblicklich befohlene Verminderung des Wildstandes, die Abschaffung der großen königl. Treibjagden, zu welchen sein Vater Tausende von Bauern frohnweise aufgeboten hatte, durch die Verminderung der Pracht einer Hofhaltung, welche mit den Kräften des Landes im Mißverhältnisse stand, durch verschiedene Handlungen der Gerechtigkeit, konnte jedoch erst 1819 die gegenwärtige Verfassung vereinbaren. Diese ist nach der Schablone des deutschen Zweikammersystems entworfen und hatte bis 1848 das Schicksal aller deutschen Verfassungen. In der Revolutionszeit von 1848 bis 1849 wurde auch W. bewegt und in Folge davon die Ablösung des Zehntens und anderer Gefälle nach einem gegen die Berechtigten unbillig niedrigen Maßstabe festgesetzt, das Geschwornengericht eingeführt, das Gemeindegesetz abgeändert etc. Gegenwärtig sind die Reclamationen der Standesherren noch nicht erledigt; ebenso schweben die Unterhandlungen mit dem hl. Stuhle noch, durch welche die kath. Kirche in W. ihre unveräußerlichen Rechte wieder erhalten soll. Daß übrigens unter König Wilhelm J. W. musterhaft verwaltet wird, so daß sich die gesammte Landwirthschaft und Industrie wesentlich gehoben hat, während die geistige Cultur nicht zurückgeblieben ist, bezeugt die Achtung des Auslandes gegen W.s Fürsten und Volk. (Neueste und beste Bearbeitung der Geschichte W.s von Stälin, bis jetzt. bei Cotta in Stuttgart 3 Bände).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 749-752.
Lizenz:
Faksimiles:
749 | 750 | 751 | 752
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.

226 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon