Javanische Sprache und Literatur

[213] Javanische Sprache und Literatur. Die javanische Sprache, die von der Bevölkerung Mittel- und Ostjavas (im Westen der Insel spricht man fundanesisch, im Osten viel maduresisch), d. h. von etwa 18 Mill. Menschen gesprochen wird, ist ein Zweig des malaiisch-polynesischen Sprachstammes. Sie ist die Tochter der altjavanischen oder sogen. Kawisprache, deren Denkmäler sich von ungefähr 800–1400 n. Chr. verfolgen lassen. Wie das Kawi, das Malaiische und alle gebildeten Sprachen der indischen Inselwelt enthält auch das Javanische bei intakt gebliebenem grammatischen Bau eine große Menge Lehnwörter aus dem Sanskrit. In der Umgangssprache ist der Unterschied zwischen der vertraulichen und der höflichen Rede ungemein scharf ausgeprägt. Die höfliche Rede, welche auch die der schlichten, erzählenden Prosa ist, nennt man Krama (»höflich«), die vertrauliche aber Ngoko (»duzende Rede«). Krama und Ngoko, zwischen denen noch eine gemischte oder mittlere Rede (Madya) steht, unterscheiden sich durch besondere Fürwörter und durch eine Menge besonderer Wörter und Endungen. Dem poetischen Stil ist eine freiere Wahl gestattet, wenigstens in den beschreibenden und erzählenden Partien. Die javanische Schrift hat sich regelmäßig entwickelt aus der alten Kawischrift, die einer altertümlichen indischen Schrift entstammt. Die beste Grammatik des Javanischen ist T. Roordas »Javaansche grammatika« (Amsterd. 1855), in kürzerer Fassung desselben »Beknopte javaansche grammatika« (das. 1875, 4. Aufl. 1893). Eine »Grammaire javanaise« schrieb Favre (Par. 1866) und eine »Praktische Grammatik der javanischen Sprache« Bohatta (Wien 1892). Favre veröffentlichte auch ein »Dictionnaire javanais-français« (Wien 1870). Als eine vermehrte und verbesserte Ausgabe des »Javanisch-niederländischen Wörterbuches« von Gericke (Amsterd. 1847) ist zu betrachten das »Javanisch-niederländische Handwörterbuch« von T. Roorda (nach dessen Tode zu Ende geführt von Vreede, das. 1875; 2. Aufl. 1883 bis 1886, mit wertvollem Nachtrag von Janß, Samarang 1883).

Die javanische Literatur ist reich an Werken verschiedenen Inhalts. Ein Teil der geschätztesten Gedichte besteht aus Übersetzungen aus der ältern Sprache, dem Kawi. Dazu gehören das »Brata-yuda« (im Kawi: Bharata yuddha; in Text und niederländischer Übersetzung herausgegeben von Cohen Stuart, Batav. 1860); der »Ardjuna-Sasrabahu« (hrsg. von Palmer van den Broek, das. 1872); der »Wiwaha« (hrsg. von Gericke, das. 1849, und von P. van den Broek, das. 1868; eine Ausgabe und Übersetzung der Quelle dazu, das altjavanische »Arjuna-Wiwâha« gab Kern, Haag 1871, heraus); der »Rama« (Samarang 1884). Eine Prosa-Umarbeitung des letztgenannten sowie auch des »Ardjuna-Sasra« und des »Bratayuda« lieferte Winter (Amsterd. 1845). Teilweise aus dem Kawi entlehnt ist »Manik-Maya«, ein Gedicht kosmogonischen und mythologischen Inhalts (hrsg. von de Hollander, Batav. 1852). Unter den ursprünglich javanischen Werken sind hervorzuheben die »Ba-b ad«, umfangreiche Chroniken, die meist in gebundener Rede abgefaßt sind. Von ihnen sind bis jetzt acht im Druck erschienen, so »Babad Petjina« (Samarang 1874), »Babad Gianti« (Djocja 1886) u. a. Werke, die zu der Gattung historischer Romane gerechnet werden können, sind: »Damar Wulan« (Samarang 1873; in einem Prosaauszug von Winter, Batav. 1857); ferner der legendenartige »Adji-Saka« (in prosaischer, kürzerer Fassung hrsg. von Gaal und T. Roorda, Amsterd. 1844); »Geschichte des Angling-Darma« (hrsg. von Winter, Batav. 1853); die Gedichte »Baron Sakender« (hrsg. von Cohen Stuart, das. 1851) und »Djaja lengkara« (Samarang 1889). Eine Art historischen Romans auf der Grundlage muslimischer Überlieferung ist die in Prosa abgefaßte Geschichte von Moses und König Pharao, der »Radja Pirangon« (hrsg. von T. Roorda, Haag 1844) und das umfangreiche Gedicht »Menak« (Samarang 1883 ff.). Mit der dramatischen Literatur hat es eine eigne Bewandtnis. Der Stoff der theatralischen Aufführungen (wayang), die verschiedener Art sind, bald den sogen. chinesischen Schattenspielen gleichen, bald Maskenspiele, seltener wirkliche Schauspiele sind, ist alten epischen Dichtungen, indischen und einheimischen, entlehnt. Die äußerst zahlreichen Texte zu diesem Wayang leben größtenteils nur im Gedächtnis derer, die sie vortragen und darstellen (dalang), fort. Von den schriftlich ausgezeichneten sind herausgegeben: der Wayang »Pregiwa« (von Wilkens, Batav. 1846); »Palasara« u. »Pandu« (beide von Roorda, Haag 1869); die Texte der sechs Schauspiele aus dem Wayang »Purwa« (hrsg. von te Mechelen und Vreede in den »Verhandelingen van het Batav. Genootschap«, Teil 43 u. 44); »Abiasa« (hrsg. von Humme, Haag 1878). Fast ebenso beliebt wie der Wayang ist bei den Javanern die Tierfabel; zu dieser letzten Gattung gehört das witzige Gedicht von dem »Kantjil« (hrsg. von P. van den Broek, Haag 1878; 2. Ausg. 1889). Noch größer ist die Zahl von aufgeschriebenen verkürzten Darstellungen der Stoffe jener Wayang in erzählender Form, von denen auch mehrere gedruckt sind, unter andern die Geschichte des »Raden Pandji« (hrsg. von Roorda, Haag 1869); »Drie-en-twintig schetsen van Wayangstukken (Lakons)« (hrsg. von te Mechelen, Batav. 1879) und »24 Schetsen van Wajangverhalen« (hrsg. von Mayer, Samarang 1883). Unter den javanischen Geistesprodukten der neuesten Zeit ist hervorzuheben die Reisebeschreibung von Purwa Lelana (»Lampahlampahannipun Raden Mas Arya Purwa Lelana«, Batav. 1865). Von den einheimischen Gesetzbüchern (Angger) sind mehrere von Roorda (Amsterd. 1844) und Keyser (Haag 1853) herausgegeben worden. Als Hauptforscher auf dem javanischen Sprachgebiet sind zu nennen die Holländer T. Roorda, de Hollander, Meinsma, P. van den Broek, Vreede, außerdem der Deutsche Rost, der Franzose Favre.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 213.
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