Katalanische Sprache und Literatur

[736] Katalanische Sprache und Literatur. Die katalanische Sprache, die heute als Volksmundart in Katalonien und (in Abarten) in Valencia, auf den Balearischen Inseln, in einigen Gemeinden des französischen Departements Ostpyrenäen, in Alghero auf Sardinien, von den Juden in Saloniki, auch in einigen überseeischen Kolonien Spaniens, im ganzen von etwa 4 Mill. Bewohnern gesprochen wird, ein Glied der gallo-romanischen Familie, anfangs nicht viel mehr als eine Spielart des Occitanischen, ist trotzdem von großer Wichtigkeit als Bindeglied zwischen dem Provenzalischen und eigentlich Spanischen (Kastilischen). Seit Ende des 15. Jahrh. wurde durch die politischen Verhältnisse das Katalanische auf die Stufe einer Mundart herabgedrückt, und trotz des noch immer starken Provinzial- und Munizipalgeistes in Katalonien erstarb die selbständige katalanische Literatur, die im Mittelalter entstanden war. Erst im 19. Jahrh. erfolgte eine der Auferstehung des Provenzalischen in Frankreich verwandte Wiederbelebung, eine Bewegung, die, ob auch etwas künstlich, stark angewachsen ist, und deren Ausgang sich nicht vorher bestimmen läßt.

Ausgezeichnet ist die katalanische Literatur durch einen großen Reichtum an Volksliedern, von denen ein Teil durch Milá y Fontanals im »Romancerillo catalan« (2. Aufl., Barcel. 1882), minder korrekt durch F. Pelay y Briz in »Cansons de la Terra« (1866) gesammelt wurde. Im 13. Jahrh. besaßen die Katalanen eine Kunstdichtung in der Weise und nach dem Muster der provenzalischen Lyrik, doch mit stärkerm Übergewichte der didaktischen Elemente als bei den leichtlebigern Provenzalen. Auch sprachlich war sie so stark von der Provence beeinflußt, daß zwischen dem gewöhnlichen Katalanischen (plá catalá) und der Sprache der Troubadours (lemosí) eine Kluft entstand (vgl. Milá y Fontanals, De los Trovadoresen España, Barcel. 1861 u. 1889; s. auch Balaguer, Vict.). Eigenartigeres ward in der volkstümlich gefärbten Prosa geleistet. Die Chroniken Jakob des Eroberers (»Libre dels feyts«), des Ramon Muntaner (1323) und Bernard Desclot sind Perlen; Weltruf erlangten die scholastischen Werke des Ramon Lull (s. Lullus 1). Die Wiedereinsetzung der Blumenspiele (s. Jeux floraux) durch den Marques de Villena (1412) rief eine Nachblüte hervor, während der zahlreiche Schriftsteller in gesuchter Sprache konventionelle Gedanken und triviale Gefühle in Reime brachten. Bedeutende Dichter erstanden im 15. Jahrh. unter dem Einfluß der italienischen Literatur; so besonders der melancholische Petrarchist Auzias March (gest. 1458) und der satirische Verfasser des »Libre de les dones«, Jaume Roig (gest. 1478). Vgl. »Cancionero catalan de Zaragoza« (gedr. 1896, von M. Baselga). In [736] Prosa gewann der Ritterroman »Tirant lo Blanch« von Martorell gerechten Ruf (1460). Die Novelle »Curial y Guelfa« ist unlängst aus Licht gezogen worden (durch A. Rubió y Lluch, Barcel. 1901). Mit dem wachsenden Übergewicht Kastiliens büßte Katalonien im 16. Jahrh. wie seine politische, so seine literarische Unabhängigkeit ein. – Der Lokalpatriotismus katalanischer Romantiker, unter denen Dichter, Sprachforscher, Historiker, Politiker waren, führte um 1833 zur Restauration der erwähnten BlumenspieleJochs Florals«), von deren beengenden Formeln sich später die talentvollern Dichter befreiten. Als Führer der Bewegung sind nennenswert: C. Bonaventura Aribau und J. Rubió y Ors 1818–99, nach seinem Hauptwerk als »Gayter de Llobregat« bezeichnet (1839–89, 3 Bde.); ferner Victor Balaguer (s. d.), der »Trovador de Montserrat«; Jacinto Verdaguer, der hübsche »Idilis y cants mistichs« und zwei Epen schuf (»La Atlantida«, 1876, franz. von Savine 1882, und »Canigó«, 1886); Cayetano Pidal, Narcis Oller, C. Llombart (»Niu d'abelles«). Die Volksliteratur wurde gesammelt, die Literatur und Sprache studiert, die alten Schriftdenkmäler herausgegeben, besonders in der »Biblioteca catalana« von Aguiló y Fuster (seit 1873), im »Cançoner de obretes« von demselben (1901); die moderne Volksmundart wurde zur Schriftsprache durchgebildet und das Interesse auch nicht katalanischer Kreise auf die katalanischen Geisteserzeugnisse gelenkt, wobei die Ausbreitung und Vertiefung der romanischen Sprachstudien der vergessenen und unbeachteten Sprache und Literatur zu Hilfe kamen. Vgl. zur Sprache: J. Pau Ballot y Torres, Gramatica y Apologia de la lengua catalana (1814), durch welche die moderne Renaissance eingeleitet ward; Milá y Fontanals, Estudios de lengua catalana (Barcel. 1875); A. Morel-Fatio, Das Katalanische (in Groebers »Grundriß der romanischen Philologie«, Straßb. 1888); Esteve y Belvitges, Diccionario catalancastellano-latin (Barcel. 1803 u. 1893); zur Literatur außer der genannten Darstellung von Morel-Fatio: Denk, Einführung in die Geschichte der altkatalanischen Literatur (Münch. 1893); Cambouliu, Essai sur l'histoire de la littérature catalane (2. Aufl., Par. 1858). Zum Neukatalanischen: J. Rubió y Ors, Breve reseña del actual renacimiento de la lengua y literatura catalana (1880); Tubino, Historia del renacimiento literarioen Cataluña (Madr. 1880); E. Vogel, Neukatalanische Studien (Paderb. 1886); Fastenrath, Katalanische Troubadoure der Gegenwart, verdeutscht (mit literargeschichtlicher Einleitung, Leipz. 1890). Zur Volksliteratur: Miláy Fontanals, Observaciones sobre la poesia popular (Barcel. 1853), und F. Wolf, Proben portugiesischer und katalanischer Volksromanzen (Wien 1856). Unter den jetzt erscheinenden Zeitschriften sind »L'Avenç« und »La Renaixensa« die beachtenswertesten. Älter ist »Lo Gay Saber«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 736-737.
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