Görtz

[482] Görtz (von Schlitz genannt von G.), eine der ältesten deutschen Ritterfamilien, welche schon seit dem 9. Jahrh. die im alten Buchenlande (Buchonia) an der Fulda gelegene Herrschaft Schlitz, die ehemals reichsunmittelbar war, besitzt; sie folgt der Lutherischen Confession u. wurde 1677 in den Freiherren- u. 1726 in den Reichsgrafenstand erhoben. Die Familie hatte auch seit Jahrhunderten das Erbmarschallamt bei dem Stifte Fulda; ihr Stammvater ist Otto von Schildsen genannt Göritz, der um 1100 lebte. 1) Georg Heinrich, früher holsteinischer Geheimerath u. Hofmarschall; Karl XII., König von Schweden, lernte ihn, als er aus der Türkei zurückkehrte, kennen u. ernannte ihn zum Finanz- u. später zum Premierminister, in welchen Posten er nach Holland, Frankreich etc., um zu unterhandeln, ging. Da Schweden Geld brauchte, so suchte G. durch unverhältnißmäßige Prägung von Kupfermünzen, sowie auch durch Creirung von Papiergeld, Rath zu schaffen, setzte Flotte u. Armee in einen respectabeln Stand, brachte aber zugleich Schweden in Münzverwirrung. Eben war er 1718 im Begriff, die Präliminarien des von ihm sehr gewünschten allgemeinen Friedens zu schließen u. zu Karl XII. zu reisen, als er die Nachricht von dessen Tode erfuhr. Dessen Nachfolgerin Ulrike Eleonore war seine Feindin, man verhaftete ihn u. machte ihm den Proceß, ließ ihm nicht mehr als 6 Stunden Zeit, sich über seine dreijährige verwickelte Verwaltung zu erklären, verdammte ihn zum Tode u. ließ ihn 1719 enthaupten. Nach seinem Tode wurde die Richtigkeit seiner Verwaltungsführung u. somit seine Unschuld anerkannt. 2) Graf Friedrich Wilhelm, geb. 4. Juni 1647, war kurbraunschweigischer Geheimerath, Premierminister u. Botschafter zur Wahl u. Krönung Kaiser Karls VI.; er wurde von diesem 1726 in den Grafenstand erhoben u. st. 26. Sept. 1728. Er war seit 1680 mit Anna Dorothea geborene von Haxthausen vermählt. Seine beiden Söhne Johann u. Ernst August stifteten die beiden noch jetzt blühenden Linien:

I. Ältere Linie zu Schlitz; Stifter: 3) Graf Johann, ältester Sohn des Vorigen, geb. 30. April 1683, war kurbraunschweigischer Schloßhauptmann zu Hannover u. vermählt seit 1718 mit Marie Friederike Dorothea Sophie geborene Freiin von Schlitz genannt von Görtz; er st. 28. Juni 1747. Jetziger Chef ist: 4) Graf Karl Heinrich, Sohn des 1839 verstorbenen Grafen Friedrich Wilhelm, geb. 15. Febr. 1822, ist großherzoglich hessischer Oberst à la suite, machte 1844–47 eine Reise um die Welt, deren Beschreibung er Stuttg. 1852, 3 Bde., herausgab, u. wurde 1850 außerordentlicher Gesandter u. bevollmächtigter Minister des Großherzogs von Hessen am preußischen, 1852 auch am königlich sächsischen u. hannoverschen Hofe; er ist vermählt seit 1848 mit Anna geborene Prinzessin von Sayn-Witgenstein-Berleburg (geb. 5. Jan. 1827); sein Sohn, Erbgraf Emil, ist geb. 15. Febr. 1851.

II. Jüngere Linie Schlitz von Görtz, genannt Wrisberg; Stifter: 5) Graf Ernst August, jüngerer Bruder von G. 3), geb. 1687, war landgräflich hessen-kasselscher Oberkammerherr u. st. 1720. 6) Graf Karl Friedrich, Sohn des Vorigen, war vermählt seit 1735 mit Katharina Eva Sophie geborene Freiin von Wrisberg, u. vereinigte 1737 mit Bewilligung Kaiser Karls VI. Namen u. Wappen seiner Gemahlin mit den seinigen. 7) Graf Johann Eustach, geb. 1737 zu Schlitz im Großherzogthum Hessen, studirte auf dem Carolinum zu Braunschweig, in Strasburg u. Leyden; war Anfangs Regierungsassessor u. Legationsrath in Weimar, 1756 Hofrath in Gotha, trat 1759 wieder in weimarische Dienste, leitete hier die Erziehung der Prinzen Constantin u. (des nachmaligen Großherzogs) Karl August u. wurde nach deren Vollendung Oberhofmeister. Er hatte Friedrichs d. Gr. Zutrauen gewonnen, daher sendete dieser ihn 1778, als Österreich sich nach des Kurfürsten Maximilian von Baiern Tode, mit Bewilligung des Kurfürsten Karl Theodor eines Theiles von Baiern bemächtigte, als geheimen Bevollmächtigten Preußens nach München, um dies zu hintertreiben. Wirklich verfuhr er hier so staatsklug, daß mit Hülfe der Herzogin Clemens von Baiern u. einiger bairisch gesinnten Staatsmänner der Herzog Karl von Zweibrücken zur Protestation gegen die Abtretung seines Vetters Karl Theodor gebracht wurde, wovon die Folge der Bairische Erbfolgekrieg war. 1779 trat er als geheimer Staatsminister in preußische Dienste, ging noch in demselben Jahre[482] als Gesandter an mehrere deutsche Höfe, war zuletzt Reichstagsgesandter in Regensburg u. starb daselbst 1821 als Privatmann. Er schr.: Mém. ou precis hist. sur la neutralité armée et son origine, Bas. 1801; Mém. hist. de la négociation en 1778 pour la succession de la Bavière, Frkf. 1813; Historische u. politische Denkwürdigkeiten, Stuttg. 1827 f., 2 Bde. (bes. wegen der Verhältnisse am russischen Hofe interessant). 8) Graf Werner, geb. 9. Dec. 1779, ist Senior beider Linien; er erhielt 1817 mit seinen Brüdern Plato u. Moritz die königlich hannoversche Anerkennung ihrer reichsgräflichen Würde; er ist seit 1847 in zweiter Ehe vermählt mit Annette geborene von Graevemeyer aus dem Hause Bemerode; sein Sohn erster Ehe mit Friederike geborene von Pawel-Rammingen (st. 1835), Plato, ist geb. 24. Mai 1816.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 482-483.
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