Orlow [3]

[375] Orlow, russische Familie; ihr Stammvater ist: 1) Iwan Orell, ein Strelitze, welcher bei einem Aufruhr 1689 zum Tode verurtheilt, zum Blocke schreitend u. an den Kopf eines eben enthaupteten Kameraden anstoßend, diesen mit den Worten: Platz hier! mit dem Fuße wegstieß. Peter der Große, welcher dies mit anhörte, begnadigte ihn wegen seiner Standhaftigkeit, ernannte ihn zum Offizier u. adelte ihn. 2) Gregor, des Vorigen Sohn, war General u. Gouverneur von Nowgorod u. hatte fünf Söhne, deren zweiter 3) Gregor, geb. 1734, wurde bei seinem Austritt aus dem Cadettencorps Lieutenant eines Garderegiments zu Fuß u. später Adjutant Schuwalows; als er im Siebenjährigen Kriege als Escorte-Offizier mit dem gefangenen Grafen von Schwerin nach Petersburg geschickt wurde, sah ihn die Kaiserin Katharina, welche so eben in Poniatowsky ihren Liebling verloren hatte, u. erhob ihn schnell zu ihrem Günstling. Er gewann die kaiserlichen Garden zu einer Thronrevolution, u. nachdem dieselbe 9. Juli 1762 gelungen u. der Czar Peter III. beseitigt worden war, wurde O. mit seinen Brüdern zu Grafen erhoben u. er selbst zum Zahlmeister der Artillerie ernannt Als erklärter Liebling der Kaiserin erhielt er einen Sitz neben dem Throne, eine Wohnung im Winterpalast neben der Kaiserin u. den Kammerherrnschlüssel. Auf diesem Gipfel der Macht wurde er jedoch der Kaiserin bald durch Anmaßungen lästig, so daß sie ihn 1771 erst nach Moskau sandte, um persönlich zweckmäßige Vorkehrungen gegen die dortige Pest anzuordnen, darauf nach Fokschani in der Walachei, wo ein Congreß zur Beendigung des Krieges mit den Türken eröffnet werden sollte, welcher sich jedoch, bes. wegen des anmaßenden Benehmens O-s, bald zerschlug. Unterdessen hatte die Kaiserin sich einen neuen Günstling gewählt; davon noch in Fokschani benachrichtigt, reiste O. eiligst ab, u. obschon ihn unterwegs noch der Befehl traf, sich einstweilen auf sein Schloß Gatschina zurückzuziehen, reiste er doch nach Petersburg weiter, u. die Kaiserin überließ ihm nach dreimonatlichen Unterhandlungen eins ihrer Luftschlösser zum Aufenthalte. Er wählte Zarskoe-Selo. Zugleich wurde er 4. Oct. 1772 vom Kaiser Joseph in den Reichsfürstenstand erhoben. Bereits im December desselben Jahres trat er in seine früheren Verhältnisse zur Kaiserin zurück u. empfing von derselben unter anderen Geschenken den Marmorpalast, wogegen er ihr den großen Brillant, welcher seitdem in der russischen Krone prangt, verehrte u. das neue Arsenal in Petersburg auf seine Kosten bauen ließ. Während einer Reise O-s durch Deutschland u. Frankreich verdrängte aber Potemkin O. aus der Gunst der Kaiserin. O. verheirathete sich darauf in Petersburg, reiste mit seiner Gattin, welche er aber in Lausanne verlor, abermals nach Frankreich, kam 1782 nach Rußland zurück u. st. 1783 in Petersburg. Aus seinem Verhältniß mit Katharina stammen die Grafen Bobrinský. 4) Alexis Tschesmenskoy, Bruder des Vorigen, geb. 1735, kam aus dem Landcadettencorps als Unteroffizier in die Garde; bei der Revolution 1762 holte er die Kaiserin von Peterhof ab u. rief sie an der Kasanschen [375] Kirche zuerst als Kaiserin aus, ging aber, als die Verschwornen den Tod Peters III. beschlossen hatten, mit einigen derselben nach Ropscha, einem Gute des Grafen Rasumowsky, wo man den Kaiser gefangen hielt, u. soll denselben eigenhändig erdrosselt haben. Er wurde nun Generallieutenant, Generaladjutant, Lieutenant der Chevaliergarde u. 1768 Generaladmiral der gesammten russischen Flotte, welche eben im Archipelagns gegen die Türken in See war. Hier besiegte er 1770 die türkische Flotte bei Tschesme, erhielt zwar kurz darauf, da sein Bruder am Hofe in Ungnade fiel u. die Kaiserin seinen Unternehmungsgeist kannte, von dieser den Befehl, ohne ausdrückliche Erlaubniß das russische Geschwader im Mittelmeere nicht zu verlassen, reiste aber dennoch nach Italien, wo er von Livorno aus die natürliche Tochter der Kaiserin Elisabeth nach Rußland sandte, wurde mit Reichthum u. Ehrenbezeugungen überhäuft, zum General en Chef ernannt u. erhielt nach seines Bruders Tode das Bildniß der Kaiserin, welches außer ihm u. Potemkin Niemand tragen durfte. Nachher zog er sich nach Moskau zurück, von wo Czar Paul I. nach seiner Thronbesteigung ihn u. Baratinsky nach Petersburg bescheiden u. bei der Leiche Peters III. das Bahrtuch tragen ließ u. darauf aus Petersburg u. Moskau verwies. Nach Pauls Tode 1801 kehrte er nach Moskau zurück, wo er 1808 starb. 5) Iwan O., ältester Sohn von O. 1), geb. 1733, russischer Senator, lebte den Wissenschaften u. st. 1791. 6) Wladimir O., Bruder des Vorigen, liebte ebenfalls die Wissenschaften, studirte in Leipzig, wurde dann Oberstlieutenant, Generallieutenant u. 1766 Präsident der Akademie der Wissenschaften u. st. 1832. 7) Gregor, Graf O., Sohn des Vorigen, geb. 1777 in Petersburg, Geheimerrath u. Kammerherr u. 1812 Senator des Reiches; ging seiner Gesundheit wegen nach Frankreich u. Italien, lebte größtentheils in Paris u. st. 1826 in Peeersburg ohne Nachkommen; er schr.: Mémoires hist. et lit. sur le royaume de Naples, mit Anmerkungen von Duval, 2. Aufl., Par. 1825, 5 Bde., auch deutsch, englisch u. italienisch; Hist. des arts en Italie, Par. 1822, 4 Bde. 8) Michael O., natürlicher Sohn Feodors O., Neffe von O. 3) u. 4), geb. 1785, Freund u. Begleiter des Kaisers Alexander auf seinen Feldzügen; unterzeichnete 1814 als Generallieutenant die Capitulation von Paris im Namen des Kaisers Alexander u. wollte diesen bewegen, eine Constitution zu geben; 1825 wurde er, als angeblicher Theilnehmer am Aufstande vom 26. Dec., auf seine Güter verwiesen, wo er 1841 starb. 9) Alexis, Fürst O., Bruder des Vor., geb. 1787, trat jung in die russische Armee ein u. machte die Kriege gegen Frankreich mit. Nach dem Frieden war er eine Zeit lang Adjutant des Großfürsten Constantin, dann erhielt er ein Garderegiment. Als am 26. Dec. 1825 bei der Thronbesteigung des Kaisers Nikolaus der Aufstand ausbrach, trug er mit seinem Regiment wesentlich zur Vereitlung desselben bei u. erwarb sich dadurch die Gunst des Kaisers. Zum Grafen u. Generaladjutanten erhoben, führte er 1828 eine Division gegen die Türken, schloß 1829 den Frieden von Adrianopel mit der Pforte ab, führte 1830 eine außerordentliche Mission nach Constantinopel, 1831 aber zur Enthebung des Feldmarschalls Diebitsch vom Commando nach Polen. 1832 war er auf den Londoner Conferenzen für die Niederlande thätig, begab sich 1833 wieder nach Constantinopel u. schloß am 5. Mai den Vertrag von Hunkiar Skelessi ab. In der Folge der stete Begleiter des Kaisers Nikolaus auf dessen Reisen, 1853 auch nach Berlin u. Olmütz, erhielt O. 1854 die wichtige Sendung nach Wien, um Österreich für die russische Politik zu gewinnen, welche jedoch erfolglos war. Er blieb der vertraute Freund des Kaisers Nikolaus bis zu dessen Tode u., bei dem neuen Kaiser Alexander in gleicher Gunst, wurde er 1856 nach Paris gesendet, um den Frieden mit den alliirten Mächten abzuschließen, welcher den Orientalischen Krieg beilegen sollte, u. 1656 bei der Kaiserkrönung in den Fürstenstand erhoben. Außer seinen diplomatischen Geschäften verwaltet er seit 1844 das Generalcommando der Gendarmerie u. wurde im April 1856 Präsident des Reichs- u. des Ministerrathes, welche Stelle er noch jetzt (1861) bekleidet. Diese Familie ist nicht zu verwechseln mit der Kosackenfamilie O., welche geh in Folge einer Heirath seit 1799 O.-Denissow nennt; von dieser ist merkwürdig: 10) Feodor O., schwang sich durch Tapferkeit 1790 zum Hetmann der Kosacken empor, wurde 1799 Graf, zeichnete sich 1813 namentlich bei Leipzig aus u. st. 1843 als General der Cavallerie.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 375-376.
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