Silurische Formation

[472] Silurische Formation (hierzu Tafel »Silurische Formation I u. II«), ein 1835 von Murchison nach seinem örtlichen Auftreten (im Gebiete der alten Silurer, d. h. das westliche England) benanntes, vorwaltend aus Sandsteinen, Grauwacken, Tonschiefern, und Kalksteinen zusammengesetztes paläozoisches Schichtensystem, das auf die kambrische Formation folgt und von der devonischen Formation überlagert wird. Als untergeordnete Gebirgsschichten kommen noch Konglomerate, Quarzite, Kieselschiefer, Alaunschiefer, Dolomite und Mergel vor, und eng verknüpft mit diesen in einigen Gegenden (Norwegen, Schottland) auch Gesteine (und zwar zum Teil selbst versteinerungsführend), die sich petrographisch von den Gneisen, Glimmer- und Hornblendeschiefern der azoischen Formationen in nichts unterscheiden. Von Eruptivgesteinen kennt man in der silurischen Formation besonders Diabase, oft lagerförmig angeordnet und in Verbindung mit Tuffen (Schalsteinen), so in [472] Böhmen, England und im fränkisch-thüringischen Silurgebiete, ferner Quarzporphyre und deren Tuffe (Argentinien) sowie Syenitporphyre und Rhombenporphyre, Granit, Syenit, Eläolithsyenit, Minetten etc. (Umgegend von Christiania in Norwegen).

Flora und Fauna der silurischen Formation sind fast ausschließlich marin: einige Landpflanzen (Lepidodendron, Sigillaria) kennt man aus der Cincinnatigruppe Nordamerikas. Dabei ist das tierische Leben überraschend formenreich: zählt ooch Barrande über 10,000 silurische Arten. Von niedern Tieren sind außer Schwämmen (z. B. Astylospongia. Tafel I, Fig. 13) besonders die Radiolarien, die in den Hornsteinen und Kieselschiefern häufig vorkommen, von Wichtigkeit. Ein im ganzen vorzügliches Leitfossil bilden die Graptolithen, da sie auf silurische und kambrische Schichten beschränkt sind und in gewissen Kalken und Tonschiefern der Silurformation (Graptolithenschiefern) in größter Menge gefunden werden (Monograptus, Didymograptus, Diplograptus, Coenograptus, Phyllograptus etc., Tafel I, Fig. 1–7). Die Korallenabteilungen der Tabulata und Rugosa sind ebenfalls durch zahlreiche Gattungen und Arten vertreten; den erstern gehören die ausschließlich auf die Silurformation beschränkten Halysites catenularia und Calamopora gotlandica (Tafel I, Fig. 11 u. 8), den letztern die Gattungen Omphyma und Streptelasma (Tafel I, Fig. 15 u. 16) an. Manche silurische Schichten Norwegens, Schwedens und Rußlands sind fast nur aus Korallenresten zusammengesetzte Kalksteine. Von Stachelhäutern (Echinodermata) findet man Seesterne und Seeigel nur in einigen wenigen Formen; dagegen liefern unter den drei Ordnungen der Liliensterne die der Cystideen und die echten Krinoideen zahlreiche Arten. Unter den Cystideen nennen wir Echinosphaerites aurantium (Tafel I, Fig. 12), von den echten Krinoideen (Unterabteilung der Tafellilien, Tesselata) den Cyathocrinus ramosus (Tafel I, Fig. 9). Bei den Weichtieren liegt der Schwerpunkt der Entwickelung während der Silurperiode in den Kephalopoden und den Brachiopoden, während unsre heutigen Meere fast nur von Muscheltieren und Schnecken bevölkert sind. Von Kopffüßern ist im Silur zwar nur die Familie der Nantileen vertreten, diese aber in sehr zahlreichen Spezies und Individuen. Barrande beschreibt über 1600 Arten, die alle denkbaren Aufwickelungsformen darstellen (s. den ganz gestreckten Orthoceras, den durch enge Mündung ausgezeichneten Gomphoceras, den gebogenen Cyrtoceras und den spiralig aufgerollten Ophidioceras [Lituites] der Tafel II, Fig. 1, 10, 16 u. 17). Vertreter der Gattungen Strophomena, Atrypa, Chonetes, Orthis und Orthisina sowie eine Art des auf paläozoische Schichten beschränkten Geschlechts Pentamerus repräsentieren auf Tafel I, Fig. 10, 18, 14, 19, 21 u. 17, sowie auf Tafel II, Fig. 3 u. 12, die Armfüßer, Cardiola (Tafel II, Fig. 2) die Muscheltiere, Maclurea und Euomphalopterus (Tafel II, Fig. 13 u. 14) die Schnecken. Eine Gattung der Flossenfüßer, Tentaculites (Tafel I, Fig. 20), erfüllt gewisse Tonschiefer in ebensolcher Häufigkeit wie die Graptolithen (Tentakulitenschiefer). Die Krebstiere liefern in der Abteilung der Trilobiten für die ältern Formationen und zumal für die s. F. äußerst charakteristische Formen. Von Wichtigkeit sind für die s. F. namentlich die Gattungen Illaenus, Trinucleus, Bronteus, Dalmania, Calymene und Harpes (Tafel II, Fig. 9, 11, 8, 15, 18, 19 u. 4). Sehr auffallende Formen sind die im Obersilur auftretenden, bis 2 m großen Arten von Eurypterus (Tafel II, Fig. 7). Von den kleinen Muschelkrebsen erscheinen sehr verbreitet die Gattungen Beyrichia und die glatte Leperditia (Tafel II, Fig. 5 u. 6). Wirbeltierreste kommen nur in der obern Abteilung der Silurformation vor und gehören Knorpelfischen an, deren Flossenstacheln und Schuppen mitunter zu einer förmlichen Knochenlage (Bonebed) aufgehäuft sind.

Die Verbreitung der Silurformation ist zunächst in Großbritannien sehr groß. Sie tritt in Wales, Cornwall, Irland und Schottland auf. Auf dem europäischen Kontinent ist sie in Portugal, Spanien, Frankreich (Bretagne), auch in Deutschland (Thüringer Wald, Frankenwald, Fichtelgebirge und Schlesien) entwickelt; ferner in den Alpen in einem schmalen Zug von Schwaz in Tirol bis in die Gegend von Wiener-Neustadt sowie in Kärnten und Krain, sodann in Böhmen zwischen Pilsen und Prag (vgl. Profil 2 auf Tafel »Geologische Formationen II«) und besonders weit verbreitet in Rußland, wo sich die s. F. südlich vom Finnischen Meerbusen, im W. bis auf die Inseln Dagö und Ösel, hier anschließend an die schwedischen Vorkommnisse auf Gotland und Öland, im O. bis zu den Ufern des Ladogasees erstreckt. Die Gesteine dieser russischen Ablagerung zeigen einen bei so alten Materialien auffallenden Zustand der Unreife: anstatt der Sandsteine sind Sande, an der Stelle der Tonschiefer plastische Tone entwickelt, die man nach ihrer petrographischen Beschaffenheit für viel jünger halten würde, wenn nicht die organischen Reste ganz zweifellos auf ein silurisches Alter hinwiesen. Außerdem tritt in Rußland die Silurformation als ein schmaler Streifen auf, der die azoischen Gesteine des Urals nach O. und W. garniert. Skandinavien besitzt silurische Territorien bei Christiania und am Mjösensee in Norwegen sowie im südlichen Schweden. Ganz besonders mächtig aber und weitverbreitet sind die Silurschichten jenseit des Ozeans, in Nordamerika. Auch sind silurische Schichten in Südamerika (Bolivia), in Australien (Victoria, Neusüdwales), in Asien (Ostsibirien, China, Himalaja) und in Afrika (Marokko) nachgewiesen. Vgl. auch Tafel »Geologische Formationen III«.

Die s. F. wird ganz allgemein in eine obere und eine untere Abteilung gegliedert. Während der letztern die Trilobitengattungen Asaphus, Chasmops, Ogygia etc. ausschließlich angehören und das massenhafte Auftreten der Graptolithen besonders eigentümlich ist, sind die obersilurischen Schichten durch die Trilobitengattungen Phacops, Bronteus, Cyphaspis etc., ferner durch die gleichfalls zu den Krustazeen gerechneten Eurypteriden, durch den Brachiopoden Pentamerus Knightii, durch den Zweischaler Cardiola interrupta etc. charakterisiert. Zum Untersilur werden unter andern gezählt die Griffelschiefer, Dachschiefer und Lederschiefer (lederbrauner Schiefer) im Thüringer Wald und Fichtelgebirge sowie die Orthoceras- (Vaginaten-) Kalke Nordeuropas, in England die früher zum Kambrium gestellten Tremadocschichten, trilobitenreiche, blaugraue Grauwackenschiefer und Sandsteine, die Llandilo-Flags und die Caradocgruppe, in Nordamerika die Quebec-, Trenton- (mit den Utikaschiefern), Hudson- und Cincinnatigruppe. Im böhmischen Silur entspricht der größte Teil von Barrandes Etage D (s. Kambrische Formation) mit der sogen. zweiten Fauna dem Untersilur; nur stellen sich hier in mehreren Niveaus der Etage D Schichten ein, die, obgleich anscheinend konform eingelagert, eine entschieden obersilurische Fauna enthalten. Für Barrande sind diese Schichten Kolonien, ihre Fauna enthält eingewanderte Tiere benachbarter Silurbecken,[473] die in der Entwickelung weiter vorgeschritten waren und durch Niveauänderungen vorübergehend mit dem großen Silurbecken Böhmens in Verbindung traten. Jetzt werden diese Kolonien als grabenartige Einsenkungen jüngerer Schichten zwischen ältere angesehen. Zum Obersilur rechnet man in Böhmen Barrandes Etage E, unten dunkle Graptolithenschiefer mit vielen Einlagerungen von Diabas, oben Kalke reich an Kephalopoden und Orthoceratiten, im Thüringer Wald die Graptolithenschiefer, in Schweden den Gotländer Kalk, in England die Llandovery-, die Wenlock- und die Ludlowstufe, in Nordamerika die Clintonschichten, die Niagarastufe und die Onondaga-Salzgruppe. Im Rheinischen Schiefergebirge (vom Kellerwald bis zum Westerwald hin) und im Harz ist gleichfalls Silur nachgewiesen; im erstern besteht es aus Graptolithen führenden Schiefern und Kalken mit Phacops, Dalmanites etc. sowie aus Grauwacken und Quarziten, im Harz besonders aus Graptolithenschiefern (von Lauterberg bis ins Selketal). Andre früher zum Obersilur gerechnete Schichten (ein Teil der Tanner Grauwacke und die Wieder Schiefer mit Einlagerungen von versteinerungsführenden Kalksteinen) sind später unter dem Namen Hercyn (s. d.) als eine besondere Fazies des Unterdevons erkannt worden, der auch die Tentakulitenschichten Thüringens und die böhmische Etage F nebst einem Teile der Etage G (mit der sogen. dritten Fauna Barrandes) beigezählt werden.

An technisch wichtigen Substanzen ist das Silur reich. In Lager- und Stockform kommen Eisenerze (Roteisenstein in Böhmen und New York, Magneteisen und Thuringit in Thüringen, Spateisenstein bei Eisenerz etc. in den Nordostalpen), Zink-, Blei- und Silbererze, zugleich auch in Form von Gängen (Nordamerika, zumal am obern Mississippi, und Sardinien) vor. Häufig sind Dachschiefer, Griffelschiefer und Alaunschiefer (so im Thüringer Wald); Anthrazitflöze werden in Portugal, Schottland und Irland abgebaut. Steinsalzlager sind in Kanada (Provinz Ontario) bekannt, und bei St. Petersburg sowie im Staate New York (Onondagadistrikt) entspringen starke Solen silurischen Schichten. Vgl. Murchison, Silurian system (Lond. 1839, 2 Bde.) und Siluria (5. Aufl., das. 1872, 2 Bde., populäre Bearbeitung des vorgenannten Werks); Barrande, Système silurien du centre de la Bohême (Prag 1852–1902, 8 Bde.); Frech, Lethaea palaeozoica, Bd. 2 (Stuttg. 1897), auch Kayser, Lehrbuch der Geologie, Bd. 2 (2. Aufl., das. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 472-474.
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