Stockholm [2]

[50] Stockholm (hierzu der Stadtplan, mit Karte der Umgebung von S.), Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Schweden, liegt am Ausfluß des Mälar in die Ostsee (Salzsee genannt), die einen insel- und schärenreichen Busen bildet, ist durch Eisenbahnen mit Malmö, Gotenburg, Christiania, Drontheim und dem nördlichen Schweden sowie den Küsten von Upland und Södermanland verbunden Die einzelnen Teile der Stadt sind: Staden, die alte Stadt, in der Mitte des Ganzen auf einer Insel gelegen, mit den dazu gehörigen kleinern Inseln Riddarholm und Helgeandsholm; Södermalm (»Südvorstadt«) im Süden, groß und regelmäßig gebaut, aber sehr uneben, durch zwei Zugbrücken mit der eigentlichen Stadt verbunden; Norrmalm (»Nordvorstadt«) im N., durch die aus Granitquadern erbaute neunbogige Nordbrücke und seit 1878 durch die westlich davon belegene Wasabrücke mit der Stadt und durch eine 1861 vollendete eiserne Brücke mit dem Skeppsholm (»Schiffsinsel«) verbunden, von wo eine hölzerne Brücke nach dem Kastellholm führt, welche beide Inseln die Marineetablissements enthalten; Kungsholm (»Königsinsel«) im W. von Norrmalm; Östermalm im NO. (früher Ladugårdslandet [Meiereilanb] genannt), jetzt der eleganteste Stadtteil, mit den Kasernen.

Wappen von Stockholm.
Wappen von Stockholm.

Hierzu kommt noch die mit dem vorigen Stadtteil zusammenhängende Tiergartenstadt mit Beckholm. Außerdem liegen bei Södermalm im Mälar die beiden Inseln Långholmen, mit Straf- und Besserungsanstalt, und Reimersholmen. Die Stadt enthält 40 öffentliche Plätze und ca. 300 Straßen und Gassen. Die Eisenbahn, die über den Mälar mittels einer großen Brücke geführt ist, durchschneidet einen großen Teil der Stadt. Die eigentliche Stadt ist an der Salzsee und am Mälar mit einem Kai von Granit umgeben, der sich auch jenseit der Nordbrücke am Norrmalm noch eine Strecke fortsetzt und den Hafen begrenzt. An der Salzsee zieht sich eine breite Straße, die Schiffbrücke, hin, an der Westseite mit ansehnlichen Häusern besetzt (darunter die alte Reichsbank und das Pack- oder Zollhaus). Am Fuße des mit einem hohen Obelisken von Granit gezierten Schloßberges steht die Statue Gustavs III. (von Sergel) sowie zwischen dem Mälarsee und der Salzsee die Reiterstatue von Karl XIV. Johann (von Fogelberg). Plätze am Mälar sind: der Ritterhausplatz (mit der Statue Gustav Wasas), von wo man über eine Brücke auf den Riddarholm gelangt, der außer der als Königsgruft benutzten Riddarholmskirche (mit 90 m hohem Turme, zum Teil Gußeisen, seit 1839) mit fast lauter öffentlichen Gebäuden (das vormalige Haus des Reichstags, Hofgericht etc.) besetzt und mit der Statue des Birger Jarl, des Gründers der Stadt, geziert ist. Für den täglichen Verkehr bestimmt sind die Plätze: Mönchsbrücke, Fleischmarkt und Kornhafen. Unter den Plätzen der innern Stadt ist nur der Große Markt bemerkenswert wegen des Stockholmer Blutbades vom 8. Nov. 1520, mit dem schönen Börsengebäude. Auf Norrmalm sind der Gustav-Adolfsplatz, mit der Reiterstatue des Helden und dem königlichen Theater, sodann der Brunkebergsplatz, der Heumarkt und der Königsgarten an der Salzsee (mit den Statuen Karls XII. und Karls XIII.), endlich der Berzeliusplatz, mit der Statue des berühmten Chemikers (von Quarnström), zu bemerken. Die belebtesten Geschäftsstraßen hat Norrmalm, darunter die Regierungs- (Regeringsgata) und Königinstraße (Drottninggata). Der jüngste Stadtteil, Östermalm, enthält die schönsten Straßen der Stadt (Strandvägen und Birgerjarlsstraße) sowie die schönsten Privatgebäude. – Unter den Kirchen ist keine von besonderer architektonischer Bedeutung. Die Hauptkirche St. Nikolai (aus dem 13. Jahrh., 1736–43 umgebaut)[50] wird als Krönungskirche benutzt. Unter den weltlichen Gebäuden nimmt das königliche Schloß, am nördlichen Ende der eigentlichen Stadt, den ersten Rang ein. Es wurde 1697–1753 nach Nik. Tessins Plänen im edelsten neuitalienischen Stil ausgeführt und bildet ein großes Viereck mit vier niedrigen Flügeln an den Ecken und zwei halbrunden, freistehenden Flügelgebäuden an der Westseite. Sonst sind von Gebäuden noch zu nennen: das neue Reichstagsgebäude, der Palast des Oberstatthalters; in Norrmalm der ehemalige Palast des Erbprinzen (von Torstensson erbaut), die Akademie der Wissenschaften, das Observatorium, das Nationalmuseum (1850–65 nach Stülers Zeichnungen ausgeführt), der große Zentralbahnhof, das Gebäude der Reichsbibliothek (ca. 250,000 Bände), mehrere prachtvolle Bankgebäude u. a.; auf Kungsholm die Krankenhäuser und außerhalb der Stadt die Kriegshochschule Marieberg u. a. Die Stadt besitzt seit 1861 eine treffliche Wasserleitung. Promenaden sind: das Stromparterre, der Humlegarten, der Königsgarten, mehrere Parke, besonders aber der Tiergarten im O. der Stadt, mit Villen, Wirtshäusern, Theater, dem königlichen Lustschloß Rosendal und dem »Freiluftmuseum« Skansen (s. unten).

Die Bevölkerung der Stadt betrug Ende 1905: 323,866 Seelen, meist Lutheraner. Die Industrie ist lebhaft. Die meisten Gewerbe werden fabrikmäßig betrieben; außerdem gibt es mehrere Zuckerraffinerien, Tabak-, Seiden- und Bandfabriken, mechanische Werkstätten, Stearin- und Talgfabriken, Lein- und Baumwollzeugwebereien, Lederfabriken, Eisengießereien etc. 1904 besaß die Stadt 753 Fabriken mit 27,975 Arbeitern, deren Fabrikate einen Wert von 138,3 Mill. Kronen hatten. Der Handel, durch die Lage der Stadt und gute Häfen begünstigt, ist sehr lebhaft. Drei Wasserwege führen durch die Schären zur Stadt: im N. bei Furusund, im O. bei Sandhamn und im Süden bei Landsort an Dalarö vorbei. Da aber diese Wege lang und schwierig sind und der Hafen jährlich 3–5 Monate lang durch Eis gesperrt ist, so ist ein äußerer Hafen bei dem Gut Nynäs, etwa 50 km von der Stadt, angelegt, der durch Eisenbahn mit S. in Verbindung steht. Auch bei Värtan im O. der Stadt hat S. einen Hafen. Die Stockholmer Schiffsdocks sind neuerdings sehr erweitert worden. Die Stadt besaß 1903 eine Handelsflotte von 227 Schiffen, davon 184 Dampfschiffe von 89,474 Ton. Die Verbindung innerhalb der Stadt wird durch viele kleine Dampfschiffe sowie elektrische Straßenbahnen besorgt. Als Beförderungsmittel des Handels sind zu nennen: die Reichsbank, einige Privatbanken, die Börse, mehrere Versicherungsgesellschaften etc. Die Einfuhr hatte 1904 einen Wert von 163,6 Mill. Kr. und bestand vornehmlich in Geweben (18,5 Mill. Kr.), Getreide und Mehl (18,1 Mill.), Mineralien, besonders Steinkohlen (17,7 Mill.), verarbeiteten Metallen (14,7 Mill.), unverarbeiteten Metallen (12 Mill.), Maschinen und Fahrzeugen (11,2 Mill.), Kolonialwaren (10 Mill.), tierischen Nahrungsmitteln (9 Mill.), Talg, Ölen, Wein, Baumwolle, Häuten etc. Die Ausfuhr erreichte einen Wert von 39,4 Mill. Kr. und bestand hauptsächlich in Metallen (16 Mill. Kr.), Maschinen (12 Mill.), Holz (3,7 Mill.) und Mineralien (2,2 Mill. Kr.). 1903 liefen vom Auslande 2228 handelstätige Schiffe (darunter 1923 beladen) von 910,971 Ton. ein, 1723 (darunter 654 beladen) von 559,020 T. aus. Von Wohltätigkeitsanstalten sind das große und das Freimaurerwaisenhaus, die Mürbeksche Erziehungsanstalt, ein großes Entbindungshaus (auf Kungsholm), ein Taubstummeninstitut, das Irrenhaus auf Konradsberg zu bemerken. Von wissenschaftlichen Anstalten hat die Stadt eine Akademie der Wissenschaften mit Sternwarte und das naturhistorische Reichsmuseum sowie Akademien der Geschichte und Altertumskunde, der freien Künste, der Musik, der Kriegswissenschaften, des Landbaues (mit Versuchsstation) und das Nobelinstitut. S. besitzt zahlreiche öffentliche Lehranstalten, darunter zwei für Ausbildung von Lehrerinnen, und gelehrte Schulen. Fachschulen sind außer der genannten Kriegshochschule: eine Artillerie- und eine Seekriegsschule, das Karolinische medizinisch-chirurgische Institut (1905: 251 Studierende), das gymnastische Zentralinstitut, eine Technische Hochschule, eine Gewerbeschule, Navigationsschule, Veterinärschule, ein pharmazeutisches und ein Forstinstitut. Eine Universität ist in der Bildung begriffen. Von Kunstinstituten verdienen Erwähnung das Nationalmuseum, das Sammlungen ägyptischer und vorhistorischer Altertümer, von Skulpturen, Gemälden und Kupferstichen enthält, und das für die Völkerkunde des skandinavischen Nordens wichtige Nordische Museum mit dem durch seine anschauliche Nachbildung von Szenen aus dem Volksleben interessanten Freiluftmuseum (Skansen) im Tiergarten, gegründet von Hazelius (s. d.). Von den fünf Theatern sind am bedeutendsten das Opernhaus, das Neue Theater und das Dramatische Theater. S. ist Sitz der sämtlichen höchsten Reichskollegien und Regierungsdepartements sowie zahlreicher auswärtiger Gesandtschaften und Konsuln (darunter auch ein deutscher Berufskonsul). Die Ausgaben der Stadt beliefen sich 1903 auf 34,9 Mill. Kronen, das Vermögen auf 139,9 Mill. Kr., die Schulden auf 107,2 Mill. Kr. In der Umgebung Stockholms (s. die Karte) liegen das Lustschloß Haga mit Park, Ulriksdal und auf der Mälarinsel Lofö Drottningholm, das schönste der königlichen Lustschlösser, mit herrlichen Parkanlagen, und die Villenstädte Santjöboden, Djursholm u. a. – Wahrscheinlich aus einem Fischerdorf entstanden, erhielt S., als die Esthen 1187 in Schweden einfielen, ein festes Schloß, um das sich allmählich ein Flecken bildete. Von Birger Jarl um 1250 zur Stadt erhoben und mit Mauern umgeben, stand S. im spätern Mittelalter unter hanseatischem Einfluß und besaß eine sehr starke deutsche Bevölkerung (Hans Bismarck, gleichen Stammes mit dem deutschen Reichskanzler und vielleicht sein Vorfahr, war 1430–38 Bürgermeister daselbst). Während der Unionszeit wurde S. mehrmals, so 1389 und 1520, von den Dänen nach längerer Belagerung eingenommen. Im November 1520 fand hier das berüchtigte Stockholmer Blutbad statt, bei dem der Dänenkönig Christian II., um seinen Thron zu befestigen, über 100 schwedische Edelleute und Bürger hinrichten ließ. Am Brunkeberg bei S. erfochten die Schweden unter Sten Sture dem Ältern 10. Okt. 1471 über den Dänenkönig Christian I. einen glänzenden Sieg. Vgl. Ferlin, Stockholms stad (Stockh. 1854–58, 2 Bde.); Lundin und Strindberg. Gamla S. (1882); Lundin, Nya S. (1890); G. Nordensvan, Mälardrottningen (1896, illustriert); E. W. Dahlgren und K. Hildebrand, S., Sveriges hufvudstad (1897, 3 Bde.); »Urkunder till Stockholms historia« (hrsg. von K. Hildebrand, 1900 ff.; bisher 2 Hefte, enthaltend die städtischen Privilegienbriefe 1423–1660); F. U. Wrangel, Stockholmiana (1902–05, 4 Bde.); Wattenbach, S., ein Blick auf Schwedens Hauptstadt (Berl. 1875); »S.[51] und Umgebungen« (hrsg. vom schwedischen Touristenverein, deutsche Ausg., Leipz. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 50-52.
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