[139] Nothwehr (Moderamen inculpatae tutelae, Tutela inculpata, Defensio violenta s. necessaria), die Vertheidigung, welche angewandt wird, um einen entweder bereits begonnenen od. doch in nächster Aussicht stehenden widerrechtlichen, unverschuldeten, gewaltsamen Angriff von sich od. Andern abzuwenden. In dem geordneten Staatswesen ist zwar regelmäßig alle Selbsthülfe verboten; ausnahmsweise muß aber das Selbstvertheidigungsrecht da stattfinden, wo von Seiten der vom Staat eingesetzten Obrigkeit zeitige Hilfe nicht zu erlangen ist, u. es müssen deshalb auch die zu solchem Zwecke vorgenommenen Vertheidigungshandlungen, selbst wenn sie unter gewöhnlichen Umständen den Thatbestand eines Verbrechens enthalten würden, straflos bleiben. Diese Ausnahme begreift man unter dem Recht der N. Dasselbe erscheint hiernach immer als eine subsidiäre Ausnahme von der Regel. Da die N. nur Vertheidigung sein soll, so ist jeder Angriff, welcher zur Geltendmachung eines Rechtes gemacht wird, ausgeschlossen; nicht versagt kann es dagegen dem Angegriffenen sein, seinerseits zur Überwindung der gegen ihn angewendeten Gewalt einen Gegenangriff zu machen od. auch dem unmittelbar drohenden Anfalle durch einen Angriff zuvorzukommen. Ferner darf Niemand zur N. schreiten, wenn ihm die Mittel geboten sind, durch Anrufung obrigkeitlicher Hülfe od. etwa in der Nähe befindlicher geeigneter Privatpersonen die Gefahr zu beseitigen; wogegen aber Niemand zugemuthet wird, durch die Flucht auf das Recht der N. zu verzichten. Der Angegriffene darf ferner im Stande der N. nur so viel Gewalt anwenden, als gerade zur Abwendung der Gefahr nothwendig ist, od. wie es mehre neuere Strafgesetze ausdrücken, daß das angewendete Vertheidigungsmittel mit dem Werthe des Rechtes od. der Sache, welche geschützt werden soll, in einem angemessenen Verhältniß steht. Das Urtheil darüber bleibt dem Richter. Unbestritten kann aber der Angegriffene selbst bis zur Tödtung seines Gegners schreiten, wenn dieselbe als einziges Mittel seiner Rettung erscheint, nur soll davon alsdann der Obrigkeit alsbald Anzeige gemacht werden. N. läßt sich dagegen nicht annehmen, wenn Jemand Angriffen Widerstand leistet, welche vollkommen berechtigt sind, z.B. einer angeordneten Execution, od. wenn der Angegriffene den Angreifer erst durch Mißhandlungen zu dem Anfall aufgereizt hat. Immer muß es sich endlich um die Abwehr eines Angriffs auf ein solches Gut handeln, welches entweder schon an u. für sich, od. doch unter den vorhandenen Umständen unersetzlich sein würde, also auf Leib u. Leben, auf Freiheit u. Gesundheit, auf Sachen, wenn dieselben dem Angegriffenen durch Gewalt u. unter Bedrohung der Person od. unter Umständen entzogen werden sollten, unter denen der Staat wegen Erstattung derselben Sicherheit nicht gewähren kann. Streitig ist, ob zur Vertheidigung der angegriffenen Ehre N. ausgeübt werden dürfe. Überschreitet ein Angegriffener in Ausübung der N. die Grenzen derselben, so unterfällt derselbe für solche Überschreitungen (Exceß der N.) dem entsprechenden Strafgesetz. In wie weit dabei die strafbare Handlung zum Vorsatz od. nur zur Fahrlässigkeit zuzurechnen, Vorbedacht od. Affect anzunehmen sei, ist stets nach den besonderen Verhältnissen des Falls, bes. auch nach der Persönlichkeit des Excedenten zu beurtheilen. Vgl. Grattennauer, Über die N., Bresl. 1806; Lerita, Das Recht der N., Gieß. 1856.