Schluß [2]

[301] Schluß (Ratiocinium, Log.), die Ableitung eines Urtheils aus einem od. mehren anderen, dergestalt daß, wenn jene gültig sind, auch die Gültigkeit dieser mit Nothwendigkeit anerkannt werden muß. Die Urtheile verhalten sich also in einem S. wie Grund u. Folge; das od. die begründenden Urtheile heißen die Prämissen, das durch sie Begründete der Schlußsatz (Conclusio), der Zusammenhang zwischen beiden die Abfolge (Consequenz). Die Schlüsse zerfallen in zwei Hauptklassen: die unmittelbaren Folgerungen od. Schlüsse, bei denen zur Begründung des Schlußsatzes nur eine Prämisse nöthig ist, u. die mittelbaren Schlüsse (Syllogismen), welche den Schlußsatz aus zwei Prämissen ableiten. Wenn man früher die ersteren häufig Verstandes-, die letzteren Vernunftschlüsse genannt hat, so beruhte dies auf der unhaltbaren Ansicht, daß bei jenen der Verstand, bei diesen die Vernunft thätig sei. Die vollständige Ausführung aller logisch zulässigen Formen des Schließens ist als die Theorie der Schlüsse der eigentliche Mittelpunkt der Logik. A) Die unmittelbaren Schlüsse bezeichnen den Fortschritt des Denkens von einem gegebenen, nach Qualität u. Quantität bestimmten Urtheile zu einem anderen der Form nach von demselben verschiedenen Urtheile; ihre Theorie dat die Frage zu beantworten: gesetzt, es sei ein Urtheil von bestimmter Form gegeben, welche andere Urtheile von gleicher Materie, aber verschiedener Form sind dadurch nothwendig mitgefolgt? Abgesehen von der Gültigkeit gleichbedeutender (äquipollenter) Urtheile gehören hierher die Unterordnungs-, Entgegensetzungs- u. Umkehrungsschlüsse (Ratiocinia per subalternationem, oppositionem, conversionem). Wenn es z.B. richtig ist, daß alle Menschen sterblich sind, so liegt darin unmittelbar das Urtheil: einige Menschen sind sterblich; aber daraus, daß einige Juristen gelehrt sind, folgt nicht, daß alle Gelehrte Juristen sind; eben so, wenn alle Rechtecke Parallelogramme sind, so liegt darin unmittelbar, daß eine Figur, welche kein Rechteck ist, auch nicht ein Parallelogramm sein kann, aber es folgt nicht, daß alle Parallelogramme Rechtecke seien. B) Der mittelbare S. (Syllogismus) beruht darauf, daß der Schlußsatz, d.h. die Entscheidung über das in ihm ausgesprochene Verhältniß zweier Begriffe (S u. P) sich aus der in den Prämissen gegebenen gemeinschaftlichen Beziehung derselben zu einem dritten Begriffe (dem Mittelbegriff, Terminus medius, M) ergibt, d.h. daß durch die in den Prämissen gegebene Beziehung von S u. P zu M auch eine Bestimmung ihres Verhältnisses zu einander begründet ist. Das Subject des Schlußsatzes (S) heißt der Unterbegriff (Terminus minor), das Prädicat des Schlußsatzes (P) der Oberbegriff (Terminus major); u. demgemäß die Prämisse, in welcher das Prädicat des Schlußsatzes vorkommt, der Obersatz (Propositio major, [301] Sumtio), u. die, in welcher das Subject des Schlußsatzes vorkommt, der Untersatz (Propositio minor, Assumtio). Die Grundform des Syllogismus ist die, in welcher die Prämissen u. demgemäß auch der Schlußsatz kategorische Urtheile sind od. wenigstens die Folge durch kategorische Fortschreitungen gewonnen wird; solche Schlüsse heißen kategorische. In einem solchen Syllogismus dürfen a) nicht mehr u. nicht weniger als drei Hauptbegriffe vorkommen; enthielten die Prämissen nur zwei, so wäre im Schlußsatz kein Fortschritt möglich; kämen in den Prämissen vier Begriffe vor, so fehlte die Verknüpfung (dieser Fehler findet auch da statt, wo das den Mittelbegriff bezeichnende Wort in verschiedener Bedeutung gebraucht wird, er heißt Fallacia quaesiti medii, d.h. Erschleichung des Mittelbegriffs); träte der vierte Begriff im Schlußsatze auf, so fehlte die eigentliche Abfolge; dieser Fehler heißt der Sprung im Schließen (Saltus in concludendo) b) Aus zwei particulären Prämissen kann eben so wenig etwas geschlossen werden, als aus zwei negativen (ex meris particularibus, ex meris negativis nihil sequitur); der Grund liegt darin, daß mittelbare Schlüsse nur entweder durch Unterordnung (Subsumtion), Entgegensetzung (Opposition) od. Vertauschung der Begriffe (Substitution) möglich werden u. daß particuläre Urtheile die Zulässigkeit der ersteren, negativ die der zweiten u. dritten nicht mit Sicherheit erkennen lassen. c) Im Schlußsatze kann nicht mehr gefolgert werden, als die Prämissen gestatten; wenn also eine der Prämissen nur particulär od. nur negativ ist, so fällt auch der Schlußsatz particulär od. negativ aus (Conclusio sequitur partem debiliorem). Die besonderen Bestimmungen der logisch zulässigen Syllogismen sind zunächst von der Stellung der Begriffe in den Prämissen abhängig, d.h. von den Schlußfiguren (Schemata, Figurae), sodann von der Qualität u. Quantität der in den Prämissen vorkommenden Urtheile, u. die mit Rücksicht hierauf in jeder Figur zulässigen Formen des Syllogismus sind die Modi (Tropoi) des Schlusses. Schon Aristoteles hat drei Schlußfiguren unterschieden, in welchen eine directe Ableitung des Schlußsatzes möglich ist, je nachdem M Subject des Obersatzes u. Prädicat des Untersatzes, od. in beiden Prämissen entweder Prädicat od. Subject ist, während eine vierte Figur, wo M Prädicat des Obersatzes u. Subject des Untersatzes ist, einen S nur durch vermittelnde Operationen möglich macht. Die Stellung der Begriffe in den vier Figuren ist also folgende:

Schluß [2]

wobei sogleich erhellt, daß nur in der ersten Figur S u. P die Stellung in den Prämissen haben, welche sie im Schlußsatz einnehmen sollen, in der vierten Figur dagegen gerade die umgekehrte. Keine der vier Figuren gestattet bei jeder beliebigen Qualität u. Quantität der Prämissen einen Schluß; die in dieser Beziehung zulässige Form der Prämissen bezeichnen eben die Modi der einzelnen Figuren. Während z.B. in der ersten Figur die beiden Prämissen: alle Rechtecke sind Parallelogramme, alle Quadrate sind Rechtecke, den Schlußsatz ergeben: alle Quadrate sind Parallelogramme, gestatten die beiden Prämissen: einige Menschen sind krank, kein Vogel ist ein Mensch, durchaus nicht die Ableitung eines Schlußsatzes. Die in den einzelnen Figuren zulässigen Modi hat der Grieche Michael Psellus durch griechische Worte bezeichnet, denen Petrus Hispanus (s.d.) der Kürze wegen bequeme lateinische Wörter nachgebildet hat (Barbara, Darii, Celarent, Ferio für die Modi der ersten, Camestres, Barocco, Cesare, Festino für die der zweiten, Darapti, Felapton, Disamis, Bocardo, Datisi, Ferison für die der dritten Figur). Die in denselben vorkommenden Vocale bezeichnen die Qualität u. Quantität der Urtheile, a das allgemein bejahende, e das allgemein verneinende, i das besonders bejahende, o das besonders verneinende; der Anfangsconsonant bezeichnet den Modus der ersten Figur, auf welchen die der zweiten u. dritten zurückgeführt werden können, u. die zwischen den Vocalen stehenden Buchstaben m, p, c, s die logischen Operationen, durch welche dies geschieht, nach dem Verse:

S vult simpliciter verti, P verti per accid (ens),

M vult transponi, C per impossibile duci.

So bezeichnet z.B. das Wort Barbara den Modus der ersten Figur, in welchem beide Prämissen u. folglich auch der Schlußsatz allgemein bejahende Urtheile sind. Dieser Modus ist der einzige, welcher einen allgemein bejahenden Schlußsatz ergibt; alle Schlußfolgerungen, welche zu solchen Schlußsätzen führen sollen, müssen daher in diesem Modus verlaufen; die zweite Figur gibt nur negative, die dritte nur particuläre Schlußsätze. Die Theorie der Syllogismen ist im Mittelalter u. auch bei späteren Logikern, z.B. bei Lambret, zwar oft mit unnützen Weitläuftigkeiten u. selbst Spielereien überladen, dafür aber in neuerer Zeit häufig über die Gebühr vernachlässigt worden; jedenfalls enthält sie ein logisches Problem, welches die Logik vollständig zu lösen verpflichtet ist. Vgl. außer den Lehrbüchern der Logik, Kant, Die falsche Spitzfindigkeit der syllogistischen Figuren (1762); Krug, De syllogisticis figuris, Lpz. 1808. Bei den sogen. hypothetischen u. disjunctiven Schlüssen tritt im Untersatze nicht ein neuer Begriff ein, sondern es wird bei ihnen im Untersatze ein Theil des entweder hypothetischen od. disjunctiven Obersatzes assertorisch ausgesprochen, woraus sich dann im Schlußsatze die Folge für den andern Theil ergibt. Der hypothetische S. mit dem Obersatze von der Form: Wenn A ist, so ist B, schließt a) aus der Setzung (Bejahung) des Vordergliedes auf die des Hintergliedes; b) aus der Aufhebung (Verneinung) des Hintergliedes auf die des Vordergliedes. Seine zwei möglichen Formen sind:

Schluß [2]

Die erstere heißt Modus ponens, die zweite Modus tollens. Der disjunctive S. mit einem disjunctiven Urtheile als Obersatz schließt aus der Setzung od. Aufhebung eines od. mehrer der Trennungsstücke auf die Aufhebung od. Setzung der od. der andern (Modus ponendo tollens u. Modus tollendo ponens), also im einfachsten Falle in der Form:

Entweder ist A od. B,

Schluß [2]

[302] Werden die zu einem vollständigen Syllogismus gehörigen drei Sätze nicht ausdrücklich angegeben, sondern der Zusammenhang mit Übergehung des Ober- od. Untersatzes nur angedeutet, so entsteht ein abgekürzter S., ein Enthymema (s.d.). Werden die durch mehre einfache Syllogismen gewonnenen Schlußsätze zu Prämissen für neue Schlüsse benutzt, so entsteht dadurch eine Schlußkette (s.d.) od. ein Polysyllogismus; wird eine Reihe von Enthymemen zu einer Schlußkette verbunden, so entsteht ein Kettenschluß od. Sorites (s.d.). Die materielle Richtigkeit der durch einen S. od. eine Reihe von Schlüssen gewonnenen Schlußsätze hängt neben der formellen Consequenz (der Folgerichtigkeit) auch mit von der materiellen Richtigkeit der Prämissen ab Der S.: alle Menschen sind tugendhaft, alle Europäer sind Menschen, folglich sind alle Europäer tugendhaft, ist formell richtig, materiell falsch. Die Verletzung od. Vernachlässigung der formellen Gesetze des Schließens führt zu Fehlschlüssen (Paralogismen) u. Trugschlüssen (Sophismen), s.d.a.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 301-303.
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