[286] Wischnu (Vischnu, d.i. Durchdringer), 1) die eine der drei Hauptgottheiten der Indischen Mythologie in den Puranas u. den indischen Epen, welche als das belebende Princip des Weltalls gedacht wird u. mit Brahma u. Schiwen die Trimurti (Dreigestaltige) bildet. Als Dschagannatha wird er an der Küste Koromandel u.a. O. als Weltbeherrscher verehrt. Hauptsächlich drehen sich die Mythen von W. um seine Verkörperungen od. körperliche Erscheinung (Avataras, d.i. Hinabsteigung), welche er annahm, um das Böse auf der Erde zu überwinden, u. deren zehn gezählt werden: im ersten Avatara (Matsya-Avatara) erschien W. als Fisch, um die einzigen Frommen der Erde aus der Alles verderbenden Fluth zu retten (s. Hajagriva). Der zweite (Katsch- od. Kurm-Avatar) ereignete sich bei der Bereitung des Trankes der Unsterblichkeit (Amrita). Die Guten u. Bösen lebten noch in friedlichem Verein u. verbanden sich zur Bereitung des Amrita; als nach 1000jährigem Umrühren des Milchmeers der Berg Mandar zu sinken drohte, so stützte W. denselben in Gestalt einer Schildkröte u. die Arbeit ward vollendet. Aber nun begann auch der Zwiespalt u. die Dämonen wurden Feinde der Götter. Der Riese Eruniakschen (Hiranyakscha) hatte nach Vertreibung der Götter u. Menschen die Erde zu sich in den Abgrund gezogen; W. mußte sich in den dritten. Avatara (Wara-Avatara) versenken u. nahm die Gestalt eines Ebers an, stieg in das Meer u. trübte dasselbe durch seinen Athem. Eruniakschen stieg aus der Tiefe u. schlug mit einer Keule nach dem Eber, W. wich diesem aber aus, hob die Erde mit seinen Zähnen herauf u. tödtete den Riesen. Im vierten Avatara (Narasinha-Avatara) tödtete W. als Mannlöwe (Narasinha) den Riesen Hiranyakasipu. In dem fünften Avatara (Waman-Avatar) stürzte er als Zwerg Braman Wimana den durch seine Macht selbst den Göttern gefährlichen Riesen Bali (s.d.). Nun gehen die Avataras immer mehr in die menschliche Geschichte über. Als Parasurama (Balarama) demüthigte er in dem sechsten Avatara die übermüthig gewordene Kriegercaste u. verschaffte den Bramanen wieder die Herrschaft. In dem siebenten Avatara besiegte er als Ramatschandra (Rama) den tyrannischen Herrscher Rawana von Ceylon. Soweit das zweite Zeitalter. Im dritten liebte er, in dem achten Avatara als Krischna, die Nymphe Radha u. tödtete den Drachen Kaliya, welcher die Menschen quälte, u. suchte den Bramaismus auf bessere Principien zurückzuführen. In dem neunten Avatara u. zu Anfang des vierten Weltalters erschien er als Buddha, um die begonnene Reformation zu vollenden. Der zehnte Avatara (Kalighi, Kalki) ist noch zukünftig. Am Ende des jetzigen Weltalters, wenn das Böse auf den höchsten Gipfel seiner Herrschaft gestiegen ist, wird W. als Kalighi auf einem weißen Rosse u. mit[286] feurigem Schwerte erscheinen, die Welt zerstören u. die Seelen von der Sünde befreien. Darauf folgt die Wiederherstellung der Welt u. es beginnt das erste glückliche Zeitalter (Sadirdschug) von Neuem. In der indischen Zeitrechnung wird die ganze Lebensdauer des W. auf 8640 ✕ 30 ✕ 12 ✕ 100 angegeben. Die Beinamen des W. sind fast unzählig, in Indien hat man sogar ein eigenes Werk: Sahasranama (über die tausend Namen des W.). Der älteste Name ist Narajana, der das Wasser bewegende; einer der gewöhnlichsten ist Haris, der Grüne; als Krischna heißt er unter andern Keshava, der Schöngelockte, Madhava, als Gemahl der Lakschmi, Punnarikaksha, der Lotusäugige, Govinda, der Hirt, Gauri, der vom Ganges her stammende. Dargestellt wird W. als schöner Jüngling, dunkelblau od. grün von Farbe, auf dem Haupte trägt er eine dreifache Krone als der Herrscher über Erde, Meer u. Himmel; am Halse hängt der Diamant Kaustubhamani (Kostrobhamani), in den Ohren Rubinen, der Leib ist mit einem goldfarbenen Gewande bedeckt. Sein Reitthier ist der Vogel Garudha; sein gewöhnlichstes Symbol als Wasser ein mit der Spitze nach unten gewandtes Dreieck (▽). Zu seinen Attributen gehören die Lotusblume, die Meermuschel (Sankha), der Bogen Saran, die Keule Gheda (Gada) u. das Schakra (Ciakra, Sudarsun), Letzteres ist eine Scheibe od. ein Ring aus Suryas Strahlenhaar, lebendig, verständig. Seine Gattin ist Sri (Glückseligkeit) od. Lakschmi (Schönheit). Sein Paradies auf dem Berge Meru ist Waikuntha, der Eingang von zwei Thürhütern bewacht. Dies Paradies hatte vier Grade, der niedrigste Salok, wo die Seligen einen reinen ätherischen Körper haben, der reinsten Genüsse fähig; der folgende, Sagui, besteht darin, daß die Seele den irdischen, aber verklärten Körper in ihren neuen Wohnort mit hinüber nimmt u. alle die Seligkeiten genießt, deren sie dadurch fähig wird. Der höchste Grad ist Nirban, hier werden die ganz reinen Seelen mit Gott vereinigt u. sind keiner Wiedergeburt im Körper unterworfen. Die Verehrer W-s, Wischnuiten (Wischnubhakter), waren meist unter den vornehmen u. gebildeten Ständen. Das Hauptfest, welches ihm als Dschagannatha in Orissa gefeiert wird, dauert vom 19. Juni bis 6. Juli. Dazu strömen viele Tausende Hindus allen Alters u. Geschlechts meilenweit herbei. Es beginnt mit dem Vortragen des Krischna in Procession; dann folgt das Bad des Dschagannatha, indem die Priester Gangeswasser über das Bild des Gottes ausgießen; dabei werden die Geldopfer dem Götzenbilde in die Hand gelegt, welche dann die Priester wegnehmen. In den folgenden Tagen ergötzen sich die Wallfahrer an Kuchenessen, Lärmen, allerhand Schauspielen, Musik u. Tanz. Die Hauptsache ist das Ausfahren der beiden Wagen des Dschagannatha; diese sind zwei hölzerne, vier Stockwerkehohe Karren, beladen mit dem rothgekleideten Bilde des Gottes u. denen anderer Götzen, sowie zahlreichen Priestern; vorgespannt sind hölzerne weiße u. blaue Pferde, geschoben werden sie von den Festbegehern; sich vor denselben auf den Boden zu werfen u. sich erquetschen zu lassen, um so alsbald u. gewiß selig zu werden, kam als heilige Sitte sonst häufig, von einzelnen Schwärmern, namentlich Weibspersonen, noch jetzt vor. 2)So v. w. Beschu.