Unsterblichkeit

[249] Unsterblichkeit (Immortalitas, gr. Athanasia), die mit dem Bewußtsein der eigenen individuellen Persönlichkeit verbundene ewige Fortdauer des Geistes nach dem Tode des Leibes. Der Glaube an U. in diesem Sinne ist so allgemein verbreitet, daß er, wenn auch in verschiedener Form, ein wesentliches Bestandstück fast aller Religionen ausmacht, u. das theils theoretische, theils eudämonistische, theils sittliche Interesse, welches sich an die Fortdauer des geistigen Lebens nach dem Tode knüpft, ist so stark, daß die wissenschaftliche Forschung u. die philosophische Speculation den Grund u. die Haltbarkeit dieses Glaubens immer von Neuem zum Gegenstande ihrer Untersuchung gemacht hat. Dabei haben häufig die volksthümlichen religiösen Ansichten u. die verschiedenen Richtungen des philosophischen Denkens gegenseitig Einfluß auf einander gehabt u. die besondere Form des Glaubens an U. ist bei geistig entwickelten Völkern meistentheils ein Product aus der religiösen Überlieferung u. den Erzeugnissen der philosophischen Reflexion. Je geringer der Antheil der letzteren ist, desto mehr wird die Form, unter welcher die Art der Fortdauer des geistigen Lebens nach dem Tode gedacht wird, auf Analogien mit den Zuständen des irdischen Lebens beschränkt sein. Dabei liegt ein Unterschied der volksthümlichen Vorstellungen darin, ob das Leben nach dem Tode als eine Abschwächung des irdischen od. als eine gesteigerte Fortsetzung des letzteren angesehen wird. Die erstere Vorstellungsart findet sich s.d. bei Homer, wo die Helden in der Unterwelt ein schattenhaftes Dasein führen, so. wie bei den Hebräern der Zeit vor dem Exil (vgl. Scheol). Die zweite ist die bei Weitem häufigere; nach hellenischer Vorstellungsweise sind die Freuden des Elysiums u. die Strafen u. Qualen des Tartarus Steigerungen dessen, was der Mensch auf Erden genießen kann u. zu dulden hat; nach der Vorstellung der Germanen werden die in der Schlacht gefallenen Helden in der Walhalla zu Freudengelagen versammelt; die nordamerikanischen Stämme lasten ihre Todten in den Gefilden des großen Geistes ihre Jagdgründe wiederfinden. Fast durchaus verknüpft sich mit diesen Vorstellungen die Annahme, daß der Zustand nach dem Tode eine Vergeltung, Belohnung u. Bestrafung, für das einschließt, was der Mensch während des irdischen Daseins gethan hat. Sehr bestimmt liegt dieses ethische Moment in der Lehre der alten Ägyptier von dem Gerichte des Osiris u. seiner Beisitzer, welche in der Unterwelt (Amenthes) die Seelen der Verstorbenen richten (s. Ägyptische Mythologie S. 220); nach der Lehre des Zoroaster gehen die Tugendhaften nach dem Tode über die Brücke Tschinewad in den Himmel des Ormuzd, die Seelen der Schlechten aber werden von den Dews (bösen Geistern) zur Erduldung ewiger Qualen in die Hölle gestoßen (s.u. Zoroaster). Die Griechen lassen die Verstorbenen in der Unterwelt von Minos, Äakos u. Rhadamanthos gerichtet u. je nach Schuld od. Verdienst in den Tartarus od, das Elysium verwiesen werden (s.u. Griechische Mythologie S. 641 f.); auch der indischen Lehre von der Seelenwanderung (s.d.), d.h. der Einkörperung der Seele in eine Reihenfolge verschiedener Leiber (s. Metemphychose), einer Lehre, welche auch mehre griechische Philosophen, wie s.d. Pythagoras u. die Neuplatoniker angenommen haben u. welcher selbst Leibnitz nicht abgeneigt war, liegt der Gedanke der Angemessenheit dieser verschiedenen Körper an die Würdigkeit od. Unwürdigkeit der Lebensführung zu Grunde, indem die Seelen der Guten mit edleren u. vollkommeneren, die der Schlechten mit niedrigen u. gemeinen Leibern (der Thiere) verbunden werden. In den Urkunden der Christlichen Religion tritt die U. als die unentbehrliche Voraussetzung des ganzen Erlösungswerks auf; das irdische Leben erscheint in ihnen als eine Vorbereitung auf das ewige, u. die Art des letzteren, die Seligkeit od. Verdammniß, hängt ab von dem Grade der religiös-sittlichen Vollkommenheit od. Unvollkommenheit des Menschen während seines Erdenlebens. Christi eigene Auferstehung von den Todten ist Symbol u. Bürgschaft der U.; der Ort, an welchem die Frommen zum seligen Anschauen Gottes dereinst versammelt werden, wird im N. T. Paradies, der Aufenthaltsort der Verdammten die Hölle (Geenna) genannt. In die Ausbildung dieser Lehre, deren einfacher Kern darin liegt, daß der Mensch als Glied einer die Grenzen des irdischen Daseins überschreitenden moralischen Ordnung seinem geistigen Dasein nach nicht auf die Bedingungen u. Schranken des Erdenlebens eingeschränkt sei, griffen bildliche, oft phantastische Vorstellungen einerseits, u. Versuche auf specielle daran sich knüpfende Fragen eine Antwort zu finden andererseits ein. Schon unter den Juden hatten die Pharisäer die Ansicht aufgestellt, daß die Seelen der Verstorbenen, bevor sie in den Himmel od. die Hölle eintreten, erst in einem Mittelzustande verharren (Psychopannychia, Mesopsychodochismus, Thnetopsychismus). Die Kirchenväter der vier ersten Jahrhunderte theilen diese Ansicht; die Gnostiker dagegen lehrten, daß die Seelen der Frommen sogleich in den Himmel kommen. Auch Tertullian läugnete den Seelenschlaf u. ließ die Seelen der Märtyrer sogleich nach dem Tode ins Paradies kommen; Cyprian spricht schon die Meinung aus, daß die Gebete der Lebenden den abgeschiedenen Seelen eine frühere Aufnahme in den Himmel erwirken können; Hieronymus legt diese Kraft den Fürbitten der Heiligen bei; Vigilantius läugnete diese Ansicht. Auch nach Origenes litten die Seelen, welche nach dem Tode mit einem feineren Körper vereinigt werden, bei Gott für die Lebenden. Der Volksglaube an die U. stand mit dem Glauben an Erscheinungen der Geister in Verbindung u. Eustratius suchte im 6. Jahrh. in einer besonderen Schrift zu erweisen, daß die abgeschiedenen Seelen wirklich erscheinen können. Überhaupt war die kirchliche Vorstellung von den dem [249] Menschen nach dem Tode bevorstehenden Belohnungen u. Strafen auf das Engste verknüpft mit der Erwartung des Jüngsten Gerichts (s.d.), für welches die Todten wieder auferweckt werden würden. Die Lehre vom Fegefeuer (s.d.), welche damit ebenso, wie die von der Auferstehung des Fleisches (s.d.) zusammenhängt, wurde schon im 6. Jahrh. durch den Papst Gregor den Großen fixirt; die Auferstehung des Fleisches wurde, gegen die Versuche des Origenes, des Scotus Erigena u. einiger mittelalterlicher Secten sie zu vergeistigen od. zu läugnen, im wörtlichen Sinne, daß der irdische Leib auferstehen werde, von der Katholischen Kirche fest gehalten. Die Griechische Kirche fixirte das Dogma dahin, daß es keinen Mittelzustand zwischen Seligkeit u. Verdammniß gibt, daß nur die Gebete u. Opfer der Kirche Gott bewegen die Sünder zu erlösen od. doch ihre Strafe zu mildern u. daß die Seligen nicht vor dem Gerichte Gott schauen u. der Seligkeit theilhaftig werden können. Die Phantasie des Mittelalters war ebenso fruchtbar in sinnlichen Beschreibungen der Seligkeiten des Himmels u. der Qualen des Fegefeuers u. der Hölle, als der grübelnde Scharfsinn der Scholastik in der Erörterung solcher Fragen, deren Beantwortung zur näheren Bestimmung des kirchlichen Dogma nöchig schien. Die Thomisten u. Skotisten stritten s.d. darüber, ob die Seligkeit sich auf den Verstand od. den Willen beziehe, ob sie eine Visio od. eine Fruitio sei, ob man Gott mit körperlichen Augen sehen, ob die Seligen das göttliche Wesen selbst sehen würden. Zu Ende des 15. Jahrh. entstand ein Streit darüber, ob nach der Lehre des Averroes nur der allgemeine Geist, welcher das Princip aller individuellen menschlichen Seelen sei, od. nach der Lehre des Alexander Aphrodisiensis die individuelle Seele jedes einzelnen Menschen unsterblich sei; statt einer kirchlichen Entscheidung darüber wurde er auf der Synode zu Benevent 1513 verboten. Die Reformatoren u. nach ihnen die Protestantische Kirche bekannten sich auf Grund der biblischen Verheißungen u. der Auferstehung Jesu zu einer persönlichen Fortdauer des Menschen nach dem Tode u., mit Verwerfung des Fegefeuers, des Seelenschlafes u. der Seelenwanderung, zu der Lehre, daß die Seele unmittelbar nach dem Tode in den künftigen Zustand eintrete; die verschiedene Auffassung der Abhängigkeit dieses Zustandes der Seligkeit od. Verdammniß von dem Rathschlusse Gottes war einer der Differenzpunkte zwischen den Lutheranern u. Reformirten (s. Prädestination).

Unabhängig von dem kirchlichen Dogma ist die Frage nach der U. auch Gegenstand einer philosophischen Untersuchung, ja Kant erklärte sie neben der nach dem Dasein Gottes u. der Freiheit des Willens für den dritten wesentlichen Gegenstand aller speculativen Nachforschung. Ihre Beantwortung hängt aber nothwendig mit den höchsten Problemen u. den allgemeinen Principien einer speculativen Weltansicht zusammen. Der reine u. strenge Materialismus, welcher alles geistige Leben nur als eine Function des leiblichen betrachtet, muß die persönliche U. läugnen u. hat sie überall, wo er der aus seinen Principien hervorgehenden Folgen sich bewußt war, geläugnet. Eben so wenig findet die Annahme der Fortdauer der individuellen Persönlichkeit in streng pantheistischen Systemen Platz; in ihnen ist der individuelle Geist nur eine vorübergehende Erscheinung, welche in dem allgemeinen Geist wieder zurückgenommen wird; eine Religionsform, wie der Buddhaismus, welcher auf einer pantheistischen Weltansicht beruht, bezeichnet ganz consequent das Endziel alles individuellen geistigen Lebens als Nirwana, d.h. als ein Aufgelöstwerden des individuellen Bewußtseins in das höchste Wesen. Die Frage nach der Vereinbarkeit od. Nichtvereinbarkeit der persönlichen U. mit der Alleinslehre ist in neuer Zeit mit specieller Beziehung auf die Hegelsche Philosophie mehrfach verhandelt worden, vgl. Richter, Lehre von den letzten Dingen, Berl. 1833, Bd. 1; Göschel, Von den Beweisen für die U. der menschlichen Seele, ebd. 1833; Derselbe, Die siebenfältige Osterfrage, ebd. 1836; H. Beckers, Über Göschels Versuch eines Beweises für die persönliche U., Hamb. 1836; C. H. Weisse, Die philosophische Geheimlehre von der U. des menschlichen Individuums, Dresden 1834; I. H. Fichte, Die Idee der Persönlichkeit u. der individuellen Fortdauer, Elberf. 1834. Die Gedankenreihen, welche man die Beweise für die U. der Seele nennt, stützen sich sämmtlich auf eine theistische Weltansicht u. die Voraussetzung der Einheit u. relative Selbständigkeit der Seele als des Realprincips des geistigen Lebens. Der erste ausgeführte Versuch eines solchen Beweises findet sich in Platons Phädon; er gründet sich hauptsächlich darauf, daß die Seele als das Princip des Lebens u. der Bewegung nicht vergänglich sein könne. Aristoteles unterschied zwischen der Seele (ψυχή) als der Lebenskraft u. der Vernunft (νοῦς) als dem Princip des speculativen Denkens, u. spricht nur der letzteren die U. zu. Die Kirchenväter, wie Origenes, Gregor von Nyssa, Lactantius, Augustinus entlehnten die Gründe des Glaubens an U. aus der Einfachheit der Seele, aus der Gottähnlichkeit des Menschen, aus der Entwickelungssähigkeit seiner Anlagen, aus der Nothwendigkeit der Belohnung u. Bestrafung für Tugend u. Sünde. Die spätere Zeit hat diese Gründe meistentheils wiederholt u. weiter ausgeführt. Man unterscheidet daher unter den Beweisen für die U.: a) den ontologischen od. metaphysischen, aus der Einfachheit u. Unzerstörbarkeit der Seele; b) den teleologischen, gegründet theils auf die Analogie mit dem allgemeinen Entwickelungsgang der Natur, in welchem nichts verloren geht, theils auf die Anlagen u. Bestimmung des Menschen, welche während des irdischen Lebens nur sehr unvollkommen erreicht u. oft ganz verfehlt werde; c) den theologischen, aus der Wahrhaftigkeit, Weisheit, Güte u. Gerechtigkeit Gottes. In der Ausführung des letzteren ist bald der positive Glaube an die göttlichen Verheißungen, bald das eudämonistische Verlangen nach einer Ausgleichung zwischen Tugend u. Glückseligkeit, bald das sittliche Bedürfniß der Realisirung einer über die Grenzen des irdischen Daseins hinaus reichenden sittlichen Weltordnung vorzugsweise betont worden. Kant, welcher namentlich den ontologischen Beweis für die U. einer scharfen Kritik unterwarf, erklärte die Frage nach ihr für eine aus streng theoretischen Gründen unbeantwortliche, die Annahme der U. selbst aber für ein Postulat der praktischen Vernunft, d.h. für einen durch die Forderung einer immer fortschreitenden Annäherung an das sittliche Ideal für jedes einzelne Individuum gerechtfertigten u. sittlich nothwendigen Glaubenssatz (sogenannter moralischer Beweis). Bei der Unmöglichkeit,[250] gegenüber der Einsicht, daß unser irdisches Selbstbewußtsein eine durch irdische Verhältnisse bedingte Erscheinung ist, sich eine bestimmte Vorstellung von der Art der Fortdauer dieses Selbstbewußtseins unter gänzlich veränderten Bedingungen u. Verhältnissen zu machen, ist in neuerer Zeit mehrfach der Gedanke hervorgetreten, daß auch unter der Voraussetzung der Selbständigkeit der Seele die Fortdauer des individuellen Bewußtseins nach dem Tode nicht einfach als eine selbstverständliche Naturnothwendigkeit, sondern als ein Geschenk göttlicher Gnade anzusehen sei, nur für das bestimmt, was als Glied einer höheren geistigen Ordnung fortzudauern werth ist. Vgl. Mos, Mendelssohn, Phädon od. über die U. der Seele, Berl 1767; Sulzer, Über die U. der Seele als Gegenstand der Physik, Lpz, 1773; L. H. Jacob, Beweis für die U. der Seele aus dem Begriff der Pflicht (Preisschr.), Züll 1790;2. A. Jena 1794 Jean Paul, Campanerthal, Erf, 1797; Derselbe, Selina, Stuttg. 1827; Sintenis, Elpizon, Lpz, 1795, 3 Thle., 3. Aufl. 1804; Hüffel, Briefe über die U. der Seele, Karlsr. 1832; Derselbe, Die U., ebd. 1838; Fechner, Büchlein von dem Leben nach dem Tode, Lpz, 1836; Derselbe, Zendavesta od. über die Dinge des Himmels u. des Jenseits, ebd. 1851, 3 Thle. In historischer Beziehung vgl. Flügge, Geschichte des Glaubens an U., Auferstehung etc., Lpz. 1794–99, 3 Bde.; Franke, Versuch einer kurzen historischen Übersicht der Lehre von der U., Altona 1796; Wyttenbach, Quae fuerit, vet. philosophorum sententia de vita et statu animarum post mortem, Amst. 1796; Tennemann, Lehren u. Meinungen der Sokratiker über die U., Jena 1791; Meiners, Stoicorum sententiae de animarum post mortem statu (in dessen verm Schr. II.).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 249-251.
Lizenz:
Faksimiles:
249 | 250 | 251
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon