[312] Haīti, eine der vier großen Antillen, liegt unterm 18° bis 20° nördl. Breite zwischen dem atlant. Oceane und dem Antillenmeere, und ward am 5. Dec. 1492 von Christoph Colombo entdeckt, der diese Insel, die erste größere, welche ihm zu Gesichte kam, Española oder Hispaniola nannte. Einige Jahre später grundeten die Spanier im südl. Theile die Stadt San-Domingo, ein Name, welcher seitdem zur Bezeichnung der ganzen Insel gebraucht wurde, bis nach der Unabhängigkeitserklärung die ursprüngliche Benennung H. wieder zu Ehren kam. Die Spanier, welche, von Golddurst und Glaubensfanatismus getrieben, sich überall in den neuentdeckten Ländern die größten Grausamkeiten zu Schulden kommen ließen, verübten auch auf Hispaniola Greuel aller Art gegen die Urbewohner der Insel, die Karaiben, und wütheten dermaßen, daß dieselbe binnen Kurzem in eine menschenleere Wuste umgewandelt war. Es fehlte an den nöthigen Händen zur Betreibung des Berg- und Ackerbaus, und es wurden daher afrik. Sklaven eingeführt, die sich rasch vermehrten. Als aber die Bergwerke von Mexico und Peru eine reichere Ausbeute zu geben anfingen, ward St.-Domingo dergestalt vernachlässigt, daß es jenen Freibeutern – den Boucanieren (s. Flibustier) – gelang, sich auf der Westküste festzusetzen. Frankreich begünstigte dieselben und brachte es endlich dahin, daß ihm 1697 der westl. Theil der Insel, etwa ein Drittel des Flächeninhalts, abgetreten wurde. Die franz. Colonie, welche anfangs unter dem Einflusse einer bevorrechteten Gesellschaft stand, blühte bald, nachdem der Handel frei geworden war, so herrlich auf, daß sie allein mehr Producte in den Handel brachte, als das ganze übrige span. Westindien, und 1795 trat Spanien im baseler Frieden auch den östl. Theil der Insel an Frankreich ab.
Bald nach dem Ausbruche der franz. Revolution gewannen die Dinge auf H. eine ganz neue Gestalt. Schon 1791 zeigten sich Spuren von Widerstand gegen die übermüthigen Pflanzer und die Unzufriedenheit ward noch vermehrt, als der Nationalconvent, der im Mai 1792 den Mulatten größere Rechte eingeräumt hatte, diese auf Vorstellung der Weißen noch in demselben Jahre wieder zurücknahm. Und doch standen die Mulatten zum großen Theile jenen weder an Thätigkeit noch an geistiger Ausbildung nach. Daher steigerte sich die Erbitterung bald so, daß Neger und Mulatten sich vereinigten und den Kampf gegen Frankreich und die Weißen begannen, der mit der völligen Unabhängigkeit der Insel endigte. Schon 1793 nahmen die Insurgenten die Stadt Cap Français und führten den Krieg mit günstigem Erfolge fort. Der Nationalconvent sah sich gezwungen, 1794 sämmtliche Neger in den franz. Colonien für frei zu erklären. Damit aber waren wieder die weißen Pflanzer nicht zufrieden, von denen viele der franz. Republik den Gehorsam aufkündigten und für die royalistische Sache das Schwert zogen. Neue Unruhen und neues Blutvergießen war die [312] Folge. Während dieser Verwirrung gelang es dem Neger Toussaint l'Ouverture, große Gewalt zu erlangen; er bestätigte die Abschaffung der Sklaverei, machte eine Verfassung bekannt, ernannte sich auf Lebenszeit zum Statthalter der Insel und vermehrte die Streitkräfte seiner Partei. Damals sandte der erste Consul Bonaparte den General Leclerc mit 25,000 M. nach S.-Domingo, um dasselbe wieder zu unterwerfen. Toussaint l'Ouverture, wirksam unterstützt von Pétion, Dessalins und Henri Christoph, leistete längere Zeit glücklichen Widerstand, bis er, durch Verrath gestürzt, nach Frankreich abgeführt ward, wo er 1803 starb. Vielleicht wäre es den Franzosen, wären sie mild und verständig zu Werke gegangen, immer noch möglich gewesen, S.-Domingo wieder zu unterwerfen; allein die Pflanzerpartei drang auf Wiederherstellung der Sklaverei, die nicht mehr möglich war. Die franz. Truppen mußten sich 1803 in Cap Français an die Engländer ergeben. Am Neujahrstage 1804 erklärten dann die versammelten Volksvertreter der Neger und Mulatten ihre Unabhängigkeit vom Mutterlande. Während des Krieges hatte sich Jakob Dessalines, ein Neger, durch stürmische Tapferkeit und glühenden Haß gegen die Weißen hervorgethan; ihn riefen im Oct. 1804 die Haitier als Jakob I. zum Kaiser aus. Doch misbrauchte er seine Gewalt so tyrannisch, daß man seiner bald überdrüssig wurde; durch eine von Pétion angezettelte Verschwörung verlor er im Oct. 1806 sein Leben. Nun ward die Leitung einem andern Neger, Henri Christoph, übertragen, der 1767 als Sklave auf Grenada, einer der kleinen Antillen, geboren war, schon früh Kriegsdienste genommen, sich im nordamerik. Unabhängigkeitskriege ausgezeichnet und den Grad eines Obersten erworben hatte. Dieser kräftige Mann befand sich seit 1790 auf S.-Domingo und war, wie auch früher in Nordamerika, einer der eifrigsten Vertheidiger der Freiheit gewesen. Zwar lenkte er muthig und gewandt das Ruder des jungen Staats, vermochte aber nicht die Entstehung eines neuen Bürgerkriegs zu verhindern. Schon 1806 hatte sich im Süden die Republik H. gebildet, an deren Spitze Pétion stand. Im nördl. Theile wurde Christoph im März 1811 als Heinrich I. zum erblichen Könige ausgerufen. Er fuhr fort, mit Kraft und Klugheit zu herrschen, beleidigte aber die nicht schwache republikanisch gesinnte Partei, besonders dadurch, daß er große Schätze sammelte, sich mit monarchischem Pompe umgab, einen Hofstaat einrichtete, der dem des Kaisers Napoleon nachgeahmt war und einen Orden, des heiligen Heinrich, stiftete. Das von ihm bekannt gemachte Gesetzbuch enthielt sehr gute und zweckmäßige Bestimmungen. Die misvergnügten Mulatten verschworen sich gegen ihn und lieferten seine Flotte an Pétion aus. Es entstand zwischen beiden Staaten ein Krieg, der länger gedauert haben würde, hätte nicht von Frankreich her wieder Gefahr gedroht. Als 1813 Pétion starb, machte Christoph den Versuch, die Republik mit seinem Königreiche zu vereinigen, allein die Bürger derselben betrachteten ihn als einen blutdürstigen Tyrannen, wählten Pierre Boyer zu ihrem Präsidenten und blieben selbständig. Christoph, durch das Mislingen seiner Plane erbittert, überall Ränke und Verrath ahnend, wurde immer härter und erregte endlich durch Grausamkeiten so allgemeinen Unwillen, daß seine vielen vortrefflichen Eigenschaften ganz in den Hintergrund traten. Als er sich 1820 gegen einen geachteten Obersten Ungerechtigkeiten zu Schulden kommen ließ, empörten sich die Truppen am 7. Oct.; der König schickte seine Leibwache gegen sie aus; auch diese ward ihm, dem krank zu Sanssouci Daniederliegenden, abtrünnig. Es war Alles für ihn verloren und in Verzweiflung erschoß er sich am 8. Oct. 1820. Zehn Tage später wurden der Kronprinz und mehre Minister ermordet und die Unruhen dauerten fort, bis der Präsident Boyer mit einem starken Heere einrückte, nachdem die meisten Soldaten Christoph's sich ihm angeschlossen hatten, die Ruhe herstellte und schon im Nov. das bisherige Königreich mit der Republik vereinigte. Bald nachher gelang es ihm, auch den seit 1808 wieder von den Spaniern innegehaltenen östl. Antheil der Insel seinem Staate einzuverleiben. In demselben hatte nämlich eine Partei den Plan gefaßt, sich der Republik Colombia anzuschließen, was Boyer den Interessen seines Landes zuwider hielt. Er rückte also auch gegen diese Partei mit bewaffneter Macht aus und hielt als Sieger im Febr. 1822 seinen Einzug in die Stadt S.-Domingo. Solchergestalt war nun ganz H. zu Einem Staate vereinigt, den späterhin Frankreich im Apr. 1825 gegen eine Entschädigung von 150 Mill. Francs für die vertriebenen Pflanzer und einige Handelsvortheile, als unabhängig und selbständig anerkannte.
Die Verfassung der Republik H. ist vom 2. Juni 1816. Ihr zufolge steht an der Spitze des Staats ein Präsident auf Lebenszeit, jetzt Pierre Boyer, ein Mulatte, geb. 1785, ein kräftiger. einsichtsvoller Mann; er erhält jährlich 75,000 Gldn. Besoldung. Sitz der Regierung ist Port au Prince; hier versammeln sich Senat und Repräsentanten, welche das Volk vertreten und jährlich vom 1. April an auf drei Monate lang Sitzungen halten. Der Präsident darf seinen Nachfolger dem Senate vorschlagen, doch kann dieser denselben verwerfen; jeder Cultus ist erlaubt, die katholische Kirche aber die des Staats; es herrscht Preßfreiheit; über Vergehen richten Geschworene; dem Gesetzbuche liegt der Code Napoleon zum Grunde. Die Einkünfte der Republik betragen etwa 15, die Schulden 150 Mill. Francs, die Armee, ohne Nationalgarden, 45,000 M. So sehen wir denn auf H. einen wohlgeordneten Staat von Negern und Mulatten, einer Menschenrace, welcher man eine Zeit lang jede Fähigkeit, eine Civilisation höhern Grades erringen zu können, beharrlich abgesprochen hat.
Die Insel H. hat mit einigen zu ihr gehörenden kleinen Inseln 1385 ! M. Flächeninhalt und gewiß 900,000 Einw., sämmtlich, mit Ausnahme von etwa 30,000 Weißen, Neger und Mulatten. Im östl. Theile der Insel, die von mehren zum Theil schiffbaren Strömen bewässert wird, erhebt sich das 6 –8000 F. hohe goldreiche Cibaogebirge; sonst ist überall anmuthiges Hügelland mit fruchtbaren Thalebenen. Das Klima ist im Innern mild und gesund, dagegen an den Küsten Europäern sehr gefährlich. Orkane sind selten heftig; Erdbeben kommen häufiger vor. Ein Hauptreichthum der Insel besteht in den dichten Wäldern von Cedern, Eichen, Färbeholz, Mahagoni u.s.w. Besonders Mahagoni bildet einen wichtigen Ausfuhrartikel. Es gedeihen hier alle tropischen Producte; stark gebaut werden Baumwolle, Zucker, Kaffee und Cacao. Von Metallen sind besonders [313] Gold, Silber, Kupfer und Eisen vorhanden, doch ist der Bergbau unbedeutend, während der Ackerbau von Jahr zu Jahr sich hebt. H. zerfällt in administrativer Hinsicht in sechs Departements: West, Süd, Artibonite, Nord, Südost, Nordost; Hauptstadt ist Port au Prince, im Westen, mit einem guten Hafen, ungesundem Klima, 30,000 Einw., mehren gelehrten Anstalten und Zeitungen. Les Cayes im S. ist als Handelsstadt, im N. Cap Haitien (früher Cap Français) mit 10,000 Einw. als die schönste Stadt der Insel zu bemerken. In der Nähe liegen Sanssouci, ein von Christoph erbautes Schloß und die Citadelle Henri auf einem Berge, wo dieser König einen Schatz von 10 Mill. Francs aufbewahrte. S.-Domingo, die älteste Stadt der Insel, war Sitz des span. Statthalters, ist gut gebaut und hat 10,000 Einw. In der Kathedrale ruhten bis 1796 die Gebeine des Colombo (s.d.).
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