[357] Heilig ist das Merkmal eines unendlich guten Wesens, wie es Gott vermöge seiner Natur, die das Böse nicht kennt, zukommt, das aber auch im beschränktern Sinne dem Menschen beigelegt wird, wenn er sein ganzes Streben auf Heiligung, d.h. Gottähnlichkeit richtet und seinem Thun und Handeln die reine Liebe zum Guten zu Grunde legt. Da der gute Mensch bei seinen Handlungen sich nach den Aussprüchen seines Gewissens, als eines göttlichen Gebots, richtet, so ist ihm nicht nur dieses, sondern es sind ihm auch alle daraus hervorgehenden Verbindlichkeiten gegen Gott und seine Nebenmenschen heilig, weshalb man von heiligen Pflichten gegen Gott, gegen Ältern, Geschwister, Verwandte und Freunde u.s.w. spricht. Wessen Leben keine Spuren der Pflicht und Religion verräth, dessen Vernunft [357] hat sich entweder noch nicht bis zu dem Gedanken Gottes erhoben oder er verstattet demselben bei seinen Handlungen absichtlich keinen Einfluß, sodaß er entweder in dem Zustande thierischer Roheit oder in dem Zustande gänzlicher Entartung und sündlicher Verwilderung lebt. Leblose Gegenstände, wie Gebäude, Geräthe, Kleider u.s.w. werden darum heilig genannt, weil sie dem Dienste der Religion gewidmet sind und den Menschen an Gott, das vollkommenste Wesen, erinnern.
Da nur die Religion das Heilige in dem Menschenleben vermittelt, das Christenthum aber den Grund aller Religion, den Gedanken Gottes, in den Herzen der Menschen befestigte und derselbe namentlich bei den ersten Christen auch den lebendigen Glauben und Eifer, nach dem Willen Gottes zu leben, hervorbrachte, so werden dieselben auch gewöhnlich von den Aposteln, im Gegensatz gegen Juden und Heiden, Heilige genannt. Als jedoch später dieser Eifer erkaltete und ein großer Theil der Christen die Quelle des christlichen Lebens, Gottes heiligen Geist, verloren hatte, so erhielten nur fromme Bischöfe und diejenigen Christen diesen Ehrennamen, die in den Verfolgungen standhafte Bekenner und Märtyrer des christlichen Glaubens geworden waren. Wie aber die freiwillige Aufopferung für höhere Rücksichten des Lebens zu jeder Zeit Beifall und Bewunderung gefunden hat, so wurden diese den christlichen Märtyrern noch in einem ungleich höhern Grade zu Theil, da sie Gut und Blut für die Religion zu einer Zeit hingaben, wo man den Trost der Religion am meisten entbehrte, aber auch am meisten bedurfte. Man erneuerte und verehrte deshalb nicht nur ihr Andenken, indem man auf ihren Gräbern gottesdienstliche Versammlungen hielt und den Tag ihres Märtyrerthums als ihren wahren Geburtstag zum ewigen Leben mit froher Erinnerung, und um sich zur Nachahmung ihrer Standhaftigkeit im Bekenntnisse des christlichen Glaubens zu ermuntern, feierte, sondern man glaubte auch, daß sie, die ihr Leben für den Glauben dahingegeben, für die noch im Kampfe Begriffenen beteten; aber man glaubte nicht, daß man sie anrufen müsse, um durch ihr Gebet Hülse und Gnade bei Gott zu erlangen. Erst im 4. Jahrh. fing man an, sie als Heilige förmlich anzureden und sich an sie persönlich im Gebete zu wenden. Zwar billigten dies besonnene Männer, wie Chrysostomus, Ambrosius und Augustin, keineswegs und verwarfen die Anrufung der Heiligen als einen heidnischen Aberglauben; nachdem aber im 6. Jahrh. Papst Gregor der Große die Anrufung der Maria und einiger Heiligen in die Litaneien aufgenommen und da es allerdings dem kindliche Vorstellungen vom Wesen Gottes hegenden Volke genehm war, in den Heiligen sich mit menschlicher Schwäche bekannte und nachsichtige Fürsprecher vor Gottes heiligem Antlitz vorzustellen, so wurde die Verehrung der Heiligen bald allgemein. Zu den frühern Heiligen, welche aus den Märtyrern hervorgegangen, gesellten sich neue, indem der religiöse Sinn des Mittelalters in den Entsagungen und Qualen, welche sich Einsiedler und Mönche auferlegten, besonders verdienstliche Werke erblickte, und hierzu kamen noch solche Menschen, die durch echt christliche Gesinnung und gute Werke bei ihren Umgebungen in eine religiöse Verehrung sich gesetzt hatten, welche bis über ihr Grab fortdauerte. Der Glaube an die Wunderkräftigkeit solcher wahrhaft gläubigen Personen erhöhete ihr Ansehen. Der Glaube an die Heiligen und die Anbetung derselben wurde allmälig zu einem Unwesen, dem die Kirche unter Karl dem Großen auf mehren Synoden, wiewol vergeblich, abzuhelfen suchte. Damit aber wenigstens kein Unwürdiger zur Ehre eines Heiligen gelange, was bisher kaum zu vermeiden war, da das Recht, heilig zu sprechen, von jedem Bischof in seinem Sprengel ausgeübt werden konnte, so wurde dieses Recht von Alexander III. 1170 dem päpstl. Stuhle ausschließlich vorbehalten, nachdem schon Johann XV. 993 das erste Beispiel einer päpstl. Heiligsprechung gegeben hatte. Für Haupterfodernisse bei dieser Handlung, die die Kirche Kanonisation genannt hat, weil die neuen Heiligen in dem Kanon oder die Litanei der Heiligen in der Messe mitgenannt werden, galten eine ausgezeichnete, besonders mönchische Frömmigkeit, an der man noch das besondere und in außerordentlichen Thaten sich zeigende Wohlgefallen Gottes wahrnehmen konnte. Sind jedoch diese Eigenschaften bei dem als Heiliger empfohlenen Frommen nur in einem niedern Grade vorhanden, so kann nur die Beatification (Seligsprechung) mit ihm vorgenommen werden, durch welche ihm ein seliges Leben beigelegt wird. Die Beatification geht der Kanonisation stets, oft Jahre lang voraus. Das Leben und die Thaten Jedes, der heilig gesprochen werden soll, werden einer strengen Prüfung unterworfen, sogar ein eigner sogenannter Advocatus diaboli (d.h. Vertreter des Teufels) beauftragt, alles Mögliche gegen die Kanonisation vorzubringen. Die von der Kirche für heilig erklärten Personen gehörten zwar größtentheils den Mönchsorden und der Classe der Kirchendiener an, doch gelangten auch niedere und höhere Weltleute zu dieser Ehre. So wurden die Könige Wladimir der Große (der heil. Basilius) von Rußland, Knut von Dänemark, Olaf von Norwegen, Stephan von Ungarn wegen Einführung und Beförderung des Christenthums in ihren Reichen, Karl der Große und Kaiser Heinrich II. wegen ihrer Verdienste um die Vergrößerung der Kirchengewalt unter die Heiligen versetzt. Dagegen wurden von den Päpsten, außer den aus den ersten Jahrhunderten als Märtyrer bekannten, nur Leo und Gregor der Große und fast 1000 Jahre später erst wieder Pius V. 1712 heilig gesprochen, obgleich alle den Titel Heiligkeit führen. Die letzte Heiligsprechung geschah 1830 über Clara Gambacorti, welche 1419 gestorben ist und ein Kloster der Schwestern des h. Dominicus zu Pisa gestiftet hat. – Einzelne pflegen besonders denjenigen Heiligen als ihren Schutzpatron zu verehren, dessen Namen sie bei der Taufe oder bei der Firmung erhalten. Einen größern Kreis von Verehrern haben dagegen die Schutzheiligen der Länder und Städte, denen, wie der Rosalia in Palermo, dem Januar in Neapel, dem Nepomuk in Prag, dem Dionys in Frankreich, dem Stephan in Ungarn, dem Nikolaus und Andreas in Rußland an ihrem Jahrestage glänzende Feste verordnet sind.
Nach den von der katholischen Kirche seit dem 6. Jahrh. festgehaltenen und von dem tridentiner Concil aufs Neue bestätigten Grundsätzen haben die Heiligen sich in diesem irdischen Leben ein Verdienst erworben, durch welches sie nicht allein völlig gerecht, vollkommen und wirklich heilig vor Gott geschätzt werden, sondern auch Gott so angenehm sind, daß er um ihretwillen, wenn sie sich für die Christen verwenden, diesen nicht nur allerlei leiblichen Segen gibt (wie denn sogar [358] die Banditen in Italien noch jetzt zu ihrem Schutzheiligen um Segen zu ihren Unternehmungen beten), sondern auch den Gläubigen die überfließenden Verdienste der Heiligen zurechnet und um dieserwillen Strafen erläßt. Es ist daher, lehrt die katholische Kirche, gut und nützlich, sie demüthig anzurufen und zu ihrer Fürbitte, ihrem Beistande und ihrer Hülfe seine Zuflucht zu nehmen. Hiermit stimmt auch die griech. Kirche überein, nur daß sie seit ihrer Trennung von der röm. noch ihre besondern Schutzheiligen hat. Die Reformatoren lehrten, daß man zwar die Heiligen im Andenken behalten und sich ihrer Tugenden dankbar erinnern, dadurch seinen Glauben stärken und ein Jeder in seinem Berufe an ihren guten Werken sich ein Beispiel nehmen solle, verwarfen aber ihre Anrufung als Fürbitter als schriftwidrig, da diese nur Christus, dem alleinigen wahren Mittler, gebühre.
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