[593] Venedig, ital. Venezia, Hauptstadt des Gouvernements u. der Provinz V., Sitz eines kath. Patriarchen, eines armen. Erzbischofs, liegt auf 80 Inseln in den Lagunen des Golfs von V., hat 450 Brücken, unter denen Ponte Rialto, ein 90' weiter u. 30' hoher Marmorbogen über den Canale grande, u. die 4 Miglien lange Eisenbahnbrücke, welche V. mit dem Festlande verbindet, die merkwürdigsten sind. 149 Kanäle durchschneiden die Stadt, daher der Verkehr größtentheils durch Gondeln vermittelt wird u. die Fronte der Häuser in der Regel gegen die Kanäle gekehrt ist. Hauptplatz ist der St. Markusplatz, der Sammelplatz der Kaufleute u. Fremden, umgeben von Prachtgebäuden: der 335' hohe Markusthurm mit vergoldeter Kuppel; die St. Markuskirche mit 5 Kuppeln, 500 Marmorsäulen, herrlichem Mosaikboden, reichem, zum Theil aus Konstantinopel stammendem Kirchenschatze, den 4 antiken Bronzepferden über dem Hauptthore; der ehemalige Dogenpalast, jetzt k. k. Palast, mit den alten fürchterlichen Staatsgefängnissen, dem reichen Archive, Bibliothek, Museum; die Paläste Trevisani, Grimani, Tiepolo, Balbo, Cornaro, Pisani, Barbarigo; das Arsenal mit Kanonengießerei; das große Operntheater la Fenice. V. hat 1 Patriarchalseminar, 1 Lyceum, 3 Gymnasien, eine Akademie der schönen Künste mit herrlicher Gemäldesammlung, viele wohlthätige Anstalten, Schiffsbau, lebhafte Industrie in Seide, Gold und Silber, Wachs, Seife, Porzellan, Rosoglio etc., Fischerei, Seehandel, der zwar die Bedeutung nicht mehr haben kann wie vor der Entdeckung des Seewegs nach Ostindien, aber unter der österr. Herrschaft seit 1815 sich bedeutend gehoben hat, namentlich durch den 1821 verliehenen Freihafen u. die Eisenbahnverbindung mit Verona u. Mailand. V. liegt zwischen den Mündungen der Piave u. Brenta, welche die Lagunen bilden, die nur von wenigen tiefen, flußähnlichen Strichen durchschnitten sind; nach der Seeseite wird das Lagunenbecken durch einen schmalen Streifen Landes, Lido, geschlossen, der 3 schmale u. nicht sehr tiefe Einfahrten hat; die Dämme und Durchstiche sind Meisterwerke der Wasserbaukunst, so daß V. gesunde Luft hat, die Lagunen nicht versanden und die Stadt eine Festung ersten Rangs ist, indem zahlreiche Forts die wenigen Zugänge von der Land- u. Seeseite her beherrschen. Die Entstehung der Stadt V. führt man auf das Jahr 452 n. Chr. zurück, als bei der Zerstörung Aquilejas durch Attila sich eine Anzahl Römer auf die Inseln der Lagunen flüchtete. Diese Ansiedlung [593] blieb Jahrh. lang eine arme demokratische Republik von Fischern u. Seefahrern, welche unter selbstgewählten Obrigkeiten (Tribunen) lebte u. die Oberherrlichkeit der wechselnden Beherrscher Oberitaliens nur dem Namen nach anerkannte. 697 wurde ein Doge (dux) an die Spitze des Staats gestellt und die richterliche Gewalt den vornehmsten Familien anvertraut, was aber nicht verhinderte, daß sich Volk, Vornehme und Doge bekämpften, so daß V. zwischen Monarchie, Aristokratie u. Demokratie längere Zeit schwankte. Unterdessen wuchs aber V. zu einer Seemacht heran, säuberte im 10. Jahrh. das adriat. Meer von saracen. u. normann. Seeräubern u. nahm dalmatische Städte in seinen Schutz auf. 1172 wurde die Macht des Dogen beschränkt u. die Leitung der Staatsangelegenheiten dem Adel (den Nobili) übertragen, jedoch so, daß die Entscheidung in den wichtigsten Dingen der Gemeinde verblieb. 1202 eroberte der Doge Enrico Dandolo mit einem fränk. Kreuzheere Konstantinopel u. während V. ein lat. Kaiserthum gründen half, wählte es für sich die jonischen Inseln, Kreta u. wohlgelegene Inseln des Archipels aus, bemächtigte sich des ägyptisch-ostind. Handels, errang nach oft erneuertem, wechselvollem Kriege endlich das Uebergewicht über Genua u. schwang sich zu der blühendsten und mächtigsten Republik Europas empor. Die aus dem Volke hervorgegangenen Kaufleute (auch der kriegerische Adel trieb Handel) waren den Parteikämpfen, welche die oberitalienischen Republiken verwirrten, sehr abhold u. unterstützten die Ausbildung der Oligarchie, welche 1297 unter dem Dogen Gradenigo in den Formen zu Stande kam, die bis zum Untergange der Republik fortdauerten. Alle Gewalt kam in die Hände der Nobili, die 1200 Familien stark waren. Die Nobili über 25 Jahren bildeten den Großen Rath, von dem die Sanction der Gesetze, die Besteuerung, die Wahl der Collegien u. einzelner Magistrate, die Verleihung des Bürger- und Adelsrechts abhing. Der Doge wurde durch einen durch vielmaliges Loosen aus dem Großen Rath hervorgegangenen Ausschuß gewählt; er repräsentirte jedoch nur den Staat, leitete ihn aber nicht, denn ihm war die Signoria beigegeben, ein Rath von 6 Mitgliedern, u. diesen 16 Savj, welche von dem Senate erwählt wurden u. mit der Signoria den Geheimen Rath (Collegio), die eigentliche Regierung bildeten. Der Große Rath ernannte ferner den Senat von 300 Mitgliedern, der über Krieg u. Frieden, Bündnisse, Anleihen beschloß und die Verwaltung, das Finanz- und Kriegswesen controlirte. Die Rechtspflege wurde von 4 Tribunalen verwaltet, von denen 3 wegen der Anzahl der Mitglieder (40) Quarantien hießen. Das Criminalgericht über die Nobili übte der Rath der Zehn, ein Polizeirath, der über Alles wachte, was mit der Sicherheit des Staats zusammenhing, u. ohne Unterschied des Standes jeden Verdächtigen oder Angeschuldigten verhaften, aburtheilen u. bestrafen konnte; derselbe concentrirte seine Gewalt in der Geheimen Staatsinquisition, einem Ausschusse von 3, deren Namen unbekannt blieben, die an nichts gebunden waren als an die Uebereinstimmung ihrer Sentenzen; diesen gab der Rath der Zehner noch einen überzähligen Inquisitor bei, damit derselbe mit 2 ein Gericht über einen dritten Collegen bilden könnte. Eine wohlorganisirte geheime Polizei überwachte alles; doch machte die Oligarchie dem gemeinen Volke das Leben möglichst angenehm, indem sie für wohlfeile Lebensmittel, für die Gesundheitspflege, die öffentliche Sicherheit, Theater und Lustbarkeiten sorgte. Die Politik gegen das Ausland wurde musterhaft geleitet u. die venet. Diplomatie galt Jahrh. lang als die ausgezeichnetste; List u. Gewalt, Geld u. Waffen wurden angewendet, je nachdem es die Umstände räthlich machten. So wurden seit 1402 Vicenza, Verona, Bassano, Feltre, Belluno u. Padua erworben, 1421 Friaul, 1428 Bergamo, Brescia u. Crema, 1489 Cypern. Mit Klugheit u. Kraft rettete sich V. gegen die Liga von Cambrai (Bündniß, das der Papst, der Kaiser, die Könige von Frankreich u. Spanien 1508 geschlossen hatten), aber die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien um das Cap gab [594] dem indischen Handel einen andern Weg; von dem levantischen rissen andere Nationen ihren Antheil an sich; die Türken nahmen das heldenmüthig vertheidigte Kreta und Cypern, 1718 wurde auch Morea u. Athen wieder verloren, das 1686 u. 87 Morosini erobert hatte, u. der Verfall brach unaufhaltsam herein. 1797 konnte V. sein Gebiet auf dem Festlande weder den österr. noch den franz. Heeren schließen; als Bonaparte über den Tagliamento vordrang, hielt man denselben in V. verloren u. erregte in seinem Rücken einen Aufstand, worauf Bonaparte den Krieg erklärte u. die Inselstadt ohne Kampf wegnahm. Im Frieden von Campo Formio erhielt Oesterreich das Venetianische diesseits der Etsch sammt V., 1805 fiel auch dieser Theil an das Königreich Italien, 1815 vereinigte es Oesterreich als Gubernium V. (433 QM. mit 21/3 Mill. E.) mit der Lombardei zum lombard.-venet. Königreiche. 1848 kam die Stadt durch die blödsinnige Unentschlossenheit des Commandanten in die Gewalt der Revolutionäre, die unter Manin eine Republik improvisirten; nach langer, mühseliger Belagerung zogen aber 23. Aug. 1849 die Oesterreicher wieder ein. (Ueber die Geschichte V.s vergl. Daru, Leo in seiner Geschichte der ital. Staaten, Sismondi, Romanin.)